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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwcrdt.

So ging er auch eines Abends, den Wanderstab nachdenklich durch die
Luft schwingend, einen Pfad in weiter Entfernung von Scholldorf durch dichten
Wald, ohne zu wissen und ohne sich darum zu sorgen, wohin der Weg führte,
als es ihm vorkam, als höre er einen Hilferuf. Er blieb stehen, damit das
Geräusch seiner Schritte im trocknen Laube nicht den fernen Schall übertöne,
und hörte nun deutlich noch einmal und wieder ein Helles Schreien, wie von
weiblicher Stimme und mit ängstlichem Tone. Er beschleunigte seine Schritte,
so sehr er konnte, in der Richtung dieses Hilferufs und sah, als er im vollen
Lauf durch ein dichtes Gebüsch hervorstürzte, auf einem Wege, der tief ein¬
geschnitten eine Schlucht verfolgte, zwei Fischermädchen vor sich, von denen die
eine mit einem Bauernburschen rang, der unter Lachen und Schelten sich bemühte,
sie zu küssen, während das andre Mädchen sich vergeblich anstrengte, die Ge¬
fährtin zu befreien.

Er nahm sich nicht die Zeit, das Aussehen der Streitenden näher zu be¬
trachten, obwohl es ihm auf den ersten Blick auffiel, wie hübsch die Mädchen
aussahen, von denen das eine blond, das andre schwarz war, sondern er folgte
dem Antriebe einer ritterlichen und stets zur Hilfe des Unterdrückten bereiten
Gesinnung, indem er mit lautem Rufe und drohend erhobenem Stäbe in die
Schlucht hinabsprang und auf die Gruppe zulief.

Der Bauernbursch schien nicht übel Lust zu haben, das Terrain zu be¬
haupten, und setzte sich gegen den neuen Ankömmling in trotzige Positur, aber
als der Maler sah, daß jener den Worten nicht wich, gebrauchte er den Stab
mit einer Behendigkeit und Wucht, die auf athletische Kraft und entschlossnen
Sinu schließen ließen und jedenfalls dem Trotzigen so sehr imponirten, daß er
sich schleunigst und mit zusammengebissenen Zähnen auf die schmählichste Flucht
begab.

Die Mädchen standen während dessen mit glühenden Wangen und in großer
Verlegenheit da und waren einige Augenblicke lang, als ihr hilfreicher Ritter
sich zu ihnen wandte, in einem Gewirr von Dankgefühl und Beschämung be¬
fangen, welches sie verhinderte, passende Worte zu finden. Diese kurze Pause
ging dem Maler nicht ungenutzt verloren. Er sah mit Überraschung ein paar
weibliche Wesen vor sich, welche wohl imstande gewesen wären, Ritterlichkeit
auch in der Brust eines weniger kühn angelegten Mannes zu erwecken, und es
mischte sich in seine Bewunderung ihrer Schönheit auch noch Verwunderung
über das Aussehen der beiden, insofern dieses einen rätselhaften Gegensatz in
sich zu tragen schien.

Zunächst bildeten schon die Mädchen unter sich einen dem Künstlerauge
interessanten Kontrast, indem jedes von ihnen ein Musterbild des ihm eignen
Typus genannt werden konnte. Hier der Typus der Blondine, dort der der schwarzen
Schönheit. Die Blondine glich einer aufblühenden Centifolie an Pracht der
Farben und gesunder Fülle, ihre hellen, blauen Augen und ihr prächtiges,


Die Grafen von Altenschwcrdt.

So ging er auch eines Abends, den Wanderstab nachdenklich durch die
Luft schwingend, einen Pfad in weiter Entfernung von Scholldorf durch dichten
Wald, ohne zu wissen und ohne sich darum zu sorgen, wohin der Weg führte,
als es ihm vorkam, als höre er einen Hilferuf. Er blieb stehen, damit das
Geräusch seiner Schritte im trocknen Laube nicht den fernen Schall übertöne,
und hörte nun deutlich noch einmal und wieder ein Helles Schreien, wie von
weiblicher Stimme und mit ängstlichem Tone. Er beschleunigte seine Schritte,
so sehr er konnte, in der Richtung dieses Hilferufs und sah, als er im vollen
Lauf durch ein dichtes Gebüsch hervorstürzte, auf einem Wege, der tief ein¬
geschnitten eine Schlucht verfolgte, zwei Fischermädchen vor sich, von denen die
eine mit einem Bauernburschen rang, der unter Lachen und Schelten sich bemühte,
sie zu küssen, während das andre Mädchen sich vergeblich anstrengte, die Ge¬
fährtin zu befreien.

Er nahm sich nicht die Zeit, das Aussehen der Streitenden näher zu be¬
trachten, obwohl es ihm auf den ersten Blick auffiel, wie hübsch die Mädchen
aussahen, von denen das eine blond, das andre schwarz war, sondern er folgte
dem Antriebe einer ritterlichen und stets zur Hilfe des Unterdrückten bereiten
Gesinnung, indem er mit lautem Rufe und drohend erhobenem Stäbe in die
Schlucht hinabsprang und auf die Gruppe zulief.

Der Bauernbursch schien nicht übel Lust zu haben, das Terrain zu be¬
haupten, und setzte sich gegen den neuen Ankömmling in trotzige Positur, aber
als der Maler sah, daß jener den Worten nicht wich, gebrauchte er den Stab
mit einer Behendigkeit und Wucht, die auf athletische Kraft und entschlossnen
Sinu schließen ließen und jedenfalls dem Trotzigen so sehr imponirten, daß er
sich schleunigst und mit zusammengebissenen Zähnen auf die schmählichste Flucht
begab.

Die Mädchen standen während dessen mit glühenden Wangen und in großer
Verlegenheit da und waren einige Augenblicke lang, als ihr hilfreicher Ritter
sich zu ihnen wandte, in einem Gewirr von Dankgefühl und Beschämung be¬
fangen, welches sie verhinderte, passende Worte zu finden. Diese kurze Pause
ging dem Maler nicht ungenutzt verloren. Er sah mit Überraschung ein paar
weibliche Wesen vor sich, welche wohl imstande gewesen wären, Ritterlichkeit
auch in der Brust eines weniger kühn angelegten Mannes zu erwecken, und es
mischte sich in seine Bewunderung ihrer Schönheit auch noch Verwunderung
über das Aussehen der beiden, insofern dieses einen rätselhaften Gegensatz in
sich zu tragen schien.

Zunächst bildeten schon die Mädchen unter sich einen dem Künstlerauge
interessanten Kontrast, indem jedes von ihnen ein Musterbild des ihm eignen
Typus genannt werden konnte. Hier der Typus der Blondine, dort der der schwarzen
Schönheit. Die Blondine glich einer aufblühenden Centifolie an Pracht der
Farben und gesunder Fülle, ihre hellen, blauen Augen und ihr prächtiges,


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[0107] Die Grafen von Altenschwcrdt. So ging er auch eines Abends, den Wanderstab nachdenklich durch die Luft schwingend, einen Pfad in weiter Entfernung von Scholldorf durch dichten Wald, ohne zu wissen und ohne sich darum zu sorgen, wohin der Weg führte, als es ihm vorkam, als höre er einen Hilferuf. Er blieb stehen, damit das Geräusch seiner Schritte im trocknen Laube nicht den fernen Schall übertöne, und hörte nun deutlich noch einmal und wieder ein Helles Schreien, wie von weiblicher Stimme und mit ängstlichem Tone. Er beschleunigte seine Schritte, so sehr er konnte, in der Richtung dieses Hilferufs und sah, als er im vollen Lauf durch ein dichtes Gebüsch hervorstürzte, auf einem Wege, der tief ein¬ geschnitten eine Schlucht verfolgte, zwei Fischermädchen vor sich, von denen die eine mit einem Bauernburschen rang, der unter Lachen und Schelten sich bemühte, sie zu küssen, während das andre Mädchen sich vergeblich anstrengte, die Ge¬ fährtin zu befreien. Er nahm sich nicht die Zeit, das Aussehen der Streitenden näher zu be¬ trachten, obwohl es ihm auf den ersten Blick auffiel, wie hübsch die Mädchen aussahen, von denen das eine blond, das andre schwarz war, sondern er folgte dem Antriebe einer ritterlichen und stets zur Hilfe des Unterdrückten bereiten Gesinnung, indem er mit lautem Rufe und drohend erhobenem Stäbe in die Schlucht hinabsprang und auf die Gruppe zulief. Der Bauernbursch schien nicht übel Lust zu haben, das Terrain zu be¬ haupten, und setzte sich gegen den neuen Ankömmling in trotzige Positur, aber als der Maler sah, daß jener den Worten nicht wich, gebrauchte er den Stab mit einer Behendigkeit und Wucht, die auf athletische Kraft und entschlossnen Sinu schließen ließen und jedenfalls dem Trotzigen so sehr imponirten, daß er sich schleunigst und mit zusammengebissenen Zähnen auf die schmählichste Flucht begab. Die Mädchen standen während dessen mit glühenden Wangen und in großer Verlegenheit da und waren einige Augenblicke lang, als ihr hilfreicher Ritter sich zu ihnen wandte, in einem Gewirr von Dankgefühl und Beschämung be¬ fangen, welches sie verhinderte, passende Worte zu finden. Diese kurze Pause ging dem Maler nicht ungenutzt verloren. Er sah mit Überraschung ein paar weibliche Wesen vor sich, welche wohl imstande gewesen wären, Ritterlichkeit auch in der Brust eines weniger kühn angelegten Mannes zu erwecken, und es mischte sich in seine Bewunderung ihrer Schönheit auch noch Verwunderung über das Aussehen der beiden, insofern dieses einen rätselhaften Gegensatz in sich zu tragen schien. Zunächst bildeten schon die Mädchen unter sich einen dem Künstlerauge interessanten Kontrast, indem jedes von ihnen ein Musterbild des ihm eignen Typus genannt werden konnte. Hier der Typus der Blondine, dort der der schwarzen Schönheit. Die Blondine glich einer aufblühenden Centifolie an Pracht der Farben und gesunder Fülle, ihre hellen, blauen Augen und ihr prächtiges,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/107>, abgerufen am 03.07.2024.