Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Ich will nicht die Frau sein, fuhr sie fort, als er an der Thür umkehrte Er fuhr mit seiner knochigen Hand leise über ihr üppiges, tiefblondcs Haar Und darüber gerietest du so in Heiterkeit? Dies kleine Buch enthält die Erläuterungen, welche mein ehemaliger philo¬ Warum ist denn das lächerlich? Liebe Clara, ich lachte, weil ich bei Lektüre dieser Erläuterungen so recht Clara zuckte ungeduldig die Schultern. Er ist ein großer Freund der Philosophie, fuhr der Alte fort. Er hat Ja, bemerkte sie kalt, du findest an allen Gelehrten etwas auszusetzen, aber Die Sophisten nämlich, sagte Dr. Stahlhardt, seinen eindringlichen Blick Ich will nicht die Frau sein, fuhr sie fort, als er an der Thür umkehrte Er fuhr mit seiner knochigen Hand leise über ihr üppiges, tiefblondcs Haar Und darüber gerietest du so in Heiterkeit? Dies kleine Buch enthält die Erläuterungen, welche mein ehemaliger philo¬ Warum ist denn das lächerlich? Liebe Clara, ich lachte, weil ich bei Lektüre dieser Erläuterungen so recht Clara zuckte ungeduldig die Schultern. Er ist ein großer Freund der Philosophie, fuhr der Alte fort. Er hat Ja, bemerkte sie kalt, du findest an allen Gelehrten etwas auszusetzen, aber Die Sophisten nämlich, sagte Dr. Stahlhardt, seinen eindringlichen Blick <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86173"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_132"> Ich will nicht die Frau sein, fuhr sie fort, als er an der Thür umkehrte<lb/> und sich wieder in den Sessel setzte, ich will nicht die zänkische Frau sein, die<lb/> ihren Mann aus dem Hause treibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_133"> Er fuhr mit seiner knochigen Hand leise über ihr üppiges, tiefblondcs Haar<lb/> und sagte: Zur Belohnung dafür, liebe Clara, und zugleich zu deiner Beruhigung<lb/> will ich dir auch Antwort auf deine erste Frage geben. Siehst du dies kleine<lb/> Buch?</p><lb/> <p xml:id="ID_134"> Und darüber gerietest du so in Heiterkeit?</p><lb/> <p xml:id="ID_135"> Dies kleine Buch enthält die Erläuterungen, welche mein ehemaliger philo¬<lb/> sophischer Freund zu Kants Kritik der reinen Vernunft geschrieben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_136"> Warum ist denn das lächerlich?</p><lb/> <p xml:id="ID_137"> Liebe Clara, ich lachte, weil ich bei Lektüre dieser Erläuterungen so recht<lb/> deutlich sah, wie fest die Menschen in der ihnen angebornen Haut stecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_138"> Clara zuckte ungeduldig die Schultern.</p><lb/> <p xml:id="ID_139"> Er ist ein großer Freund der Philosophie, fuhr der Alte fort. Er hat<lb/> den Spinoza erklärt, den Descartes, den Baco, ja sogar den Plato. Ich glaube,<lb/> er will sie alle el «schlachten, die Denker der Menschheit. Rock, Hose und Weste<lb/> schneidet er sich aus der Metaphysik. Er walzt die Ideen platt wie Kuchen<lb/> und prüscntirt sie dem großen Publikum säuberlich ans einem Brett. Er kennt<lb/> den Streit zwischen Plato und dem Dionys, und giebt dem letztern Recht. Er<lb/> hat die Gespräche des Sokrates mit den Sophisten gelesen und steht im Herzen<lb/> auf Seiten der Sophisten. Das ist es, was mich lachen machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_140"> Ja, bemerkte sie kalt, du findest an allen Gelehrten etwas auszusetzen, aber<lb/> ich sehe immer noch nicht das große Werk, das dich selbst berühmt und reich<lb/> gemacht hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_141" next="#ID_142"> Die Sophisten nämlich, sagte Dr. Stahlhardt, seinen eindringlichen Blick<lb/> fest auf ihr Gesicht richtend, waren solche Leute, die durch die Wissenschaft reich<lb/> und berühmt wurden. Sie waren Doktoren und Professoren, Konsistorialräte,<lb/> Studienräte, Negierungsräte, Staatsräte, Legativnsräte und Geheimräte im<lb/> alten Griechenland. Im Knopfloch ihres Chiton trugen sie den lakedämonischen<lb/> Löwenorden, den athenischen Fuchsorden, den Sticrordcn von Theben und das<lb/> goldne Lamm von Arkadien. Aber um die Wahrheit kümmerten sie sich nicht.<lb/> Sokrates dagegen war ein Mann, den sein Freund Alkibiades mit den Silenen<lb/> vergleicht, wie sie die Bildhauer verfertigten, rohe Figuren mit Hirtenpfeifen<lb/> oder Flöten. Diese plumpen und lächerlichen Gestalten konnten geöffnet werden,<lb/> und inwendig bargen sie Götterbilder. So sagt auch mein Freund Rabelais,<lb/> den du nicht lesen magst, wer Sokrates nur mit den Augen betrachtet habe,<lb/> der würde wohl keine Zwiebelschale für ihn gegeben haben, so häßlich sei sein<lb/> Körper gewesen, so lächerlich seine Manieren, so stier sein Blick, so einfältig sei<lb/> er in seinen Sitten gewesen, so bäurisch in seiner Tracht, so arm an Geld und<lb/> Gut, so unglücklich bei den Weibern, so untauglich zu jedem Amte der Republik.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Ich will nicht die Frau sein, fuhr sie fort, als er an der Thür umkehrte
und sich wieder in den Sessel setzte, ich will nicht die zänkische Frau sein, die
ihren Mann aus dem Hause treibt.
Er fuhr mit seiner knochigen Hand leise über ihr üppiges, tiefblondcs Haar
und sagte: Zur Belohnung dafür, liebe Clara, und zugleich zu deiner Beruhigung
will ich dir auch Antwort auf deine erste Frage geben. Siehst du dies kleine
Buch?
Und darüber gerietest du so in Heiterkeit?
Dies kleine Buch enthält die Erläuterungen, welche mein ehemaliger philo¬
sophischer Freund zu Kants Kritik der reinen Vernunft geschrieben hat.
Warum ist denn das lächerlich?
Liebe Clara, ich lachte, weil ich bei Lektüre dieser Erläuterungen so recht
deutlich sah, wie fest die Menschen in der ihnen angebornen Haut stecken.
Clara zuckte ungeduldig die Schultern.
Er ist ein großer Freund der Philosophie, fuhr der Alte fort. Er hat
den Spinoza erklärt, den Descartes, den Baco, ja sogar den Plato. Ich glaube,
er will sie alle el «schlachten, die Denker der Menschheit. Rock, Hose und Weste
schneidet er sich aus der Metaphysik. Er walzt die Ideen platt wie Kuchen
und prüscntirt sie dem großen Publikum säuberlich ans einem Brett. Er kennt
den Streit zwischen Plato und dem Dionys, und giebt dem letztern Recht. Er
hat die Gespräche des Sokrates mit den Sophisten gelesen und steht im Herzen
auf Seiten der Sophisten. Das ist es, was mich lachen machte.
Ja, bemerkte sie kalt, du findest an allen Gelehrten etwas auszusetzen, aber
ich sehe immer noch nicht das große Werk, das dich selbst berühmt und reich
gemacht hätte.
Die Sophisten nämlich, sagte Dr. Stahlhardt, seinen eindringlichen Blick
fest auf ihr Gesicht richtend, waren solche Leute, die durch die Wissenschaft reich
und berühmt wurden. Sie waren Doktoren und Professoren, Konsistorialräte,
Studienräte, Negierungsräte, Staatsräte, Legativnsräte und Geheimräte im
alten Griechenland. Im Knopfloch ihres Chiton trugen sie den lakedämonischen
Löwenorden, den athenischen Fuchsorden, den Sticrordcn von Theben und das
goldne Lamm von Arkadien. Aber um die Wahrheit kümmerten sie sich nicht.
Sokrates dagegen war ein Mann, den sein Freund Alkibiades mit den Silenen
vergleicht, wie sie die Bildhauer verfertigten, rohe Figuren mit Hirtenpfeifen
oder Flöten. Diese plumpen und lächerlichen Gestalten konnten geöffnet werden,
und inwendig bargen sie Götterbilder. So sagt auch mein Freund Rabelais,
den du nicht lesen magst, wer Sokrates nur mit den Augen betrachtet habe,
der würde wohl keine Zwiebelschale für ihn gegeben haben, so häßlich sei sein
Körper gewesen, so lächerlich seine Manieren, so stier sein Blick, so einfältig sei
er in seinen Sitten gewesen, so bäurisch in seiner Tracht, so arm an Geld und
Gut, so unglücklich bei den Weibern, so untauglich zu jedem Amte der Republik.
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