Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Die deutsche Bühne der Gegenwart, Wir bekommen mit dem modernen Zimmer eine geschlossene Dekoration, Gardinen Die deutsche Bühne der Gegenwart, Wir bekommen mit dem modernen Zimmer eine geschlossene Dekoration, Gardinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86159"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Bühne der Gegenwart,</fw><lb/> <p xml:id="ID_87" prev="#ID_86" next="#ID_88"> Wir bekommen mit dem modernen Zimmer eine geschlossene Dekoration, Gardinen<lb/> und Rouleaux vor den Fenstern, den Teppich auf demBvde»; der Kronleuchter<lb/> oder die Lampen brennen, im Kamin flackert das Feuer, auf dem Tische summt<lb/> der Samowar; Gemälde an den Wänden, die Pendule vor dem Trumeau; die<lb/> Möbel sind geschmackvoll arrangirt, der ganze Raum ist ausgefüllt. Man kümmert<lb/> sich nicht mehr darum, ob der Schauspieler, sitzend oder stehend, dem Publikum<lb/> den Rücken kehrt, alles ist zwanglose Natürlichkeit. Schüchtern griffen diese<lb/> Neuerungen auch in das Gebiet des großen Dramas über. Ende der sechziger<lb/> Jahre war es noch eine fast überall verbreitete Tradition, das Schauspiel im<lb/> „Hamlet" im Bühnenhintergründe, den ein stattlicher Vorhang schloß, sich ab¬<lb/> spielen zu lassen, in modernen Gartenkulissen, von Darstellern, die von allen<lb/> Kostümkünsten unsrer Tage profitirr hatten. Der Hof saß an der rechten oder<lb/> linken Kulissen reihe, also rechtwinklich zur Bühne, so unbequem und sinnwidrig<lb/> wie möglich; aber man ließ es geschehen, es war der steife Stil der Tradition.<lb/> Da erwog vielleicht ein wagehalsiger Regisseur, daß dies Arrangement im Grunde<lb/> ebenso unsinnig wie unmalerisch sei, er verlegte die kleine Bühne an die Seite<lb/> und ließ den Hof sich halbkreisförmig darum gruppiren; die Garteudekoration<lb/> entfernte er, das Kostüm der Darsteller des kleinen Stückes beschränkte er auf<lb/> bloße Andeutungen: der Versuch überraschte, aber er glückte, denn seine Vorzüge<lb/> leuchteten sofort ein. In London hatte Charles Kean mit den Shakespearischen<lb/> Dramen eine neue Art von Galavorstellungen entrirt, die znnüchst wohl den<lb/> Zweck hatten, das Publikum durch äußere Reize anzulocken, deren miss-mi-<lb/> soeiuz aber auf demselben Gedanken der Dctailausarbeitung beruhte. Eine Nach¬<lb/> ahmung bot die Haascsche Direktion in Leipzig Anfang der siebziger Jahre mit<lb/> dem „Kaufmann von Venedig." Das Unternehmen fand wohl Widerspruch, weil<lb/> man von dem Kultus der Außendinge eine Ablenkung von dem poetischen Kern<lb/> der Dichtung fürchtete, man bestritt ihm auch die Neuheit, denn Immermanns glor¬<lb/> reiche Theaterleitung in Düsseldorf habe schon, vielleicht mit weniger Aufwand,<lb/> ähnliches geboten. Da brach der Herzog von Meiningen mit der ersten Cäsar-<lb/> Aufführung in Berlin für das neue Prinzip Bahn. Mochte sich immerhin ein<lb/> lebhafter Streit über den künstlerischen Wert dieser eigenartigen Vorstellungen<lb/> entspinnen, mochte man das dekorative Element zu aufdringlich, die schauspiele¬<lb/> rischen Leistungen zu schwach finden, Thatsache ist doch, daß der oberste Leiter<lb/> des herzoglichen Ensembles dem deutschen Publikum etwas für uns völlig originelles<lb/> bot und daß er den Schlendrian der alten Jnseeniruug für immer unmöglich<lb/> machte. Er brachte Fluß in die Gruppen und Massen, traf den Geist einer<lb/> Dichtung mit bewundernswerter Feinheit und schuf für diesen Geist das malerische<lb/> Kleid, er motivirte jede Bewegung, wenn es sein mußte, durch die Zuthat eigener<lb/> seenischer Erfindung, und die Verdienste, die er sich damit erworben, wären<lb/> schon groß genug, auch wenn sich zu ihnen nicht die Sorgfalt gesellt hätte, die<lb/> in Meiningen auf die Ausarbeitung auch der schauspielerischen Leistung und die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Die deutsche Bühne der Gegenwart,
Wir bekommen mit dem modernen Zimmer eine geschlossene Dekoration, Gardinen
und Rouleaux vor den Fenstern, den Teppich auf demBvde»; der Kronleuchter
oder die Lampen brennen, im Kamin flackert das Feuer, auf dem Tische summt
der Samowar; Gemälde an den Wänden, die Pendule vor dem Trumeau; die
Möbel sind geschmackvoll arrangirt, der ganze Raum ist ausgefüllt. Man kümmert
sich nicht mehr darum, ob der Schauspieler, sitzend oder stehend, dem Publikum
den Rücken kehrt, alles ist zwanglose Natürlichkeit. Schüchtern griffen diese
Neuerungen auch in das Gebiet des großen Dramas über. Ende der sechziger
Jahre war es noch eine fast überall verbreitete Tradition, das Schauspiel im
„Hamlet" im Bühnenhintergründe, den ein stattlicher Vorhang schloß, sich ab¬
spielen zu lassen, in modernen Gartenkulissen, von Darstellern, die von allen
Kostümkünsten unsrer Tage profitirr hatten. Der Hof saß an der rechten oder
linken Kulissen reihe, also rechtwinklich zur Bühne, so unbequem und sinnwidrig
wie möglich; aber man ließ es geschehen, es war der steife Stil der Tradition.
Da erwog vielleicht ein wagehalsiger Regisseur, daß dies Arrangement im Grunde
ebenso unsinnig wie unmalerisch sei, er verlegte die kleine Bühne an die Seite
und ließ den Hof sich halbkreisförmig darum gruppiren; die Garteudekoration
entfernte er, das Kostüm der Darsteller des kleinen Stückes beschränkte er auf
bloße Andeutungen: der Versuch überraschte, aber er glückte, denn seine Vorzüge
leuchteten sofort ein. In London hatte Charles Kean mit den Shakespearischen
Dramen eine neue Art von Galavorstellungen entrirt, die znnüchst wohl den
Zweck hatten, das Publikum durch äußere Reize anzulocken, deren miss-mi-
soeiuz aber auf demselben Gedanken der Dctailausarbeitung beruhte. Eine Nach¬
ahmung bot die Haascsche Direktion in Leipzig Anfang der siebziger Jahre mit
dem „Kaufmann von Venedig." Das Unternehmen fand wohl Widerspruch, weil
man von dem Kultus der Außendinge eine Ablenkung von dem poetischen Kern
der Dichtung fürchtete, man bestritt ihm auch die Neuheit, denn Immermanns glor¬
reiche Theaterleitung in Düsseldorf habe schon, vielleicht mit weniger Aufwand,
ähnliches geboten. Da brach der Herzog von Meiningen mit der ersten Cäsar-
Aufführung in Berlin für das neue Prinzip Bahn. Mochte sich immerhin ein
lebhafter Streit über den künstlerischen Wert dieser eigenartigen Vorstellungen
entspinnen, mochte man das dekorative Element zu aufdringlich, die schauspiele¬
rischen Leistungen zu schwach finden, Thatsache ist doch, daß der oberste Leiter
des herzoglichen Ensembles dem deutschen Publikum etwas für uns völlig originelles
bot und daß er den Schlendrian der alten Jnseeniruug für immer unmöglich
machte. Er brachte Fluß in die Gruppen und Massen, traf den Geist einer
Dichtung mit bewundernswerter Feinheit und schuf für diesen Geist das malerische
Kleid, er motivirte jede Bewegung, wenn es sein mußte, durch die Zuthat eigener
seenischer Erfindung, und die Verdienste, die er sich damit erworben, wären
schon groß genug, auch wenn sich zu ihnen nicht die Sorgfalt gesellt hätte, die
in Meiningen auf die Ausarbeitung auch der schauspielerischen Leistung und die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |