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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die deutsche Bühne der Gegenwart,

aus eigner Erfahrung vermehren kann; auf den Höhen der Kunst sind sie so
gut wie in ihren Niederungen zu finden. Noch bis vor kurzer Zeit Hütte das
große Talent des Herrn Varnay, von dem in den Zeitungen viel die Rede ist,
derselben schlechten Manier seinen Tribut gezollt und dafür von den Kritikern
des Münchener Gesmumtgastspiels wenig Dank geerntet. Die erste Hälfte seines
Leontes im "Wintermärchen" und der ganze "Macbeth" waren an seiner kon¬
ventionellen Behandlung der Rollen zu Grunde gegangen. Streng und herb,
aber gerecht hatte der Tadel sich am meisten gegen ihn gewandt. Wer aber
etwa darüber Gewissensbisse empfunden haben sollte, möge sich nur beruhigen,
denn die harte Schule ist der Kunst des Herrn Barnay nur zustatten ge¬
kommen. Ich sah ihn vor einigen Wochen wieder: ein vortrefflicher "Graf
Waldemar," ein in den "Piccolomini" und zum Theil auch im "Tod" bedeu¬
tender Wallenstein, ein leidlicher Coriolan. Die letzte Rolle ganz zu erschöpfen ver¬
mag er nicht, dazu fehlt ihm die Größe und Stärke des Naturells, die immer
vermißt werden würde, selbst wenn die Durcharbeitung, die sich erkennen läßt,
besser, einheitlicher wäre; aber er zeigte das mit dem glücklichsten Gelingen ge¬
krönte Streben, auch die Formen der Tragödie breit und stilvoll zu gestalten
und die höheren Aufgaben auf das Postament zu stellen, das sie, um über
die Menge emporzuragen, beanspruchen. Daß der Wallenstein noch manchen
Bruch zeigte, beweist nicht viel, denn das Riesenproblem dieses Charakters hat
bis jetzt noch jedem Darsteller die Grenzen seines Könnens gezeigt. Es ist schon
immer etwas, den gebietenden Feldherrn, den verschlossenen, hinterhältigen Di¬
plomaten und den Mystiker überzeugend wiederzugeben und zu verschmelzen, und
das vermag Herr Bnrnay jetzt. So würde sich denn auch an ihm die Kon¬
versationsmanier zuletzt nur als eine gute Schule bewähren -- ob für die Dauer,
das hat er freilich noch zu beweisen.

Hat somit der Kultus des Konversationsstückes für die Spielweise nur einen
gewissen und zwar problematischen Wert, so hat er sich dagegen für die Jnseeniruug
als eminent wichtig und förderlich erwiesen. Man kannte noch vor zwanzig Jahren
nur den allerdürftigsteu Hausrat auf dem Theater; ein Kanapee, ein Tisch, Stühle,
so viel sich Personen setzten sollten -- das war alles. Prinzip war, nur das
ulleruotwendigste an Möbeln und Requisiten vorzuführen. Eine weise Ökonomie,
wie wir sie heute nur noch in den Bilderhumvresken von Wilhelm Busch finden,
beherrschte den Regisseur. Sieht man bei Busch einen Stock, so weiß man, daß
jemand ihn zum Schlagen gebrauchen, einen Spiegel, so weiß man, daß er zer¬
trümmert werden wird. Nichts ist umsonst da, alles dient einem künstlerischen
Zwecke. So bot auch die Regie dem Ange nur Dinge, deren praktische Ver¬
wendbarkeit sofort in die Augen sprang. Dazu wurde die Parole: Bcchu frei!
ausgegeben. Nur an deu Kulissenseiteu und an der Wand des Hintergrundes
wurden verstellbare Dinge gelitten. Der ganze mittlere Bühnenraum war frei
und gestattete dem Schauspieler die größtmögliche Bewegung. Wie anders heute!


Die deutsche Bühne der Gegenwart,

aus eigner Erfahrung vermehren kann; auf den Höhen der Kunst sind sie so
gut wie in ihren Niederungen zu finden. Noch bis vor kurzer Zeit Hütte das
große Talent des Herrn Varnay, von dem in den Zeitungen viel die Rede ist,
derselben schlechten Manier seinen Tribut gezollt und dafür von den Kritikern
des Münchener Gesmumtgastspiels wenig Dank geerntet. Die erste Hälfte seines
Leontes im „Wintermärchen" und der ganze „Macbeth" waren an seiner kon¬
ventionellen Behandlung der Rollen zu Grunde gegangen. Streng und herb,
aber gerecht hatte der Tadel sich am meisten gegen ihn gewandt. Wer aber
etwa darüber Gewissensbisse empfunden haben sollte, möge sich nur beruhigen,
denn die harte Schule ist der Kunst des Herrn Barnay nur zustatten ge¬
kommen. Ich sah ihn vor einigen Wochen wieder: ein vortrefflicher „Graf
Waldemar," ein in den „Piccolomini" und zum Theil auch im „Tod" bedeu¬
tender Wallenstein, ein leidlicher Coriolan. Die letzte Rolle ganz zu erschöpfen ver¬
mag er nicht, dazu fehlt ihm die Größe und Stärke des Naturells, die immer
vermißt werden würde, selbst wenn die Durcharbeitung, die sich erkennen läßt,
besser, einheitlicher wäre; aber er zeigte das mit dem glücklichsten Gelingen ge¬
krönte Streben, auch die Formen der Tragödie breit und stilvoll zu gestalten
und die höheren Aufgaben auf das Postament zu stellen, das sie, um über
die Menge emporzuragen, beanspruchen. Daß der Wallenstein noch manchen
Bruch zeigte, beweist nicht viel, denn das Riesenproblem dieses Charakters hat
bis jetzt noch jedem Darsteller die Grenzen seines Könnens gezeigt. Es ist schon
immer etwas, den gebietenden Feldherrn, den verschlossenen, hinterhältigen Di¬
plomaten und den Mystiker überzeugend wiederzugeben und zu verschmelzen, und
das vermag Herr Bnrnay jetzt. So würde sich denn auch an ihm die Kon¬
versationsmanier zuletzt nur als eine gute Schule bewähren — ob für die Dauer,
das hat er freilich noch zu beweisen.

Hat somit der Kultus des Konversationsstückes für die Spielweise nur einen
gewissen und zwar problematischen Wert, so hat er sich dagegen für die Jnseeniruug
als eminent wichtig und förderlich erwiesen. Man kannte noch vor zwanzig Jahren
nur den allerdürftigsteu Hausrat auf dem Theater; ein Kanapee, ein Tisch, Stühle,
so viel sich Personen setzten sollten — das war alles. Prinzip war, nur das
ulleruotwendigste an Möbeln und Requisiten vorzuführen. Eine weise Ökonomie,
wie wir sie heute nur noch in den Bilderhumvresken von Wilhelm Busch finden,
beherrschte den Regisseur. Sieht man bei Busch einen Stock, so weiß man, daß
jemand ihn zum Schlagen gebrauchen, einen Spiegel, so weiß man, daß er zer¬
trümmert werden wird. Nichts ist umsonst da, alles dient einem künstlerischen
Zwecke. So bot auch die Regie dem Ange nur Dinge, deren praktische Ver¬
wendbarkeit sofort in die Augen sprang. Dazu wurde die Parole: Bcchu frei!
ausgegeben. Nur an deu Kulissenseiteu und an der Wand des Hintergrundes
wurden verstellbare Dinge gelitten. Der ganze mittlere Bühnenraum war frei
und gestattete dem Schauspieler die größtmögliche Bewegung. Wie anders heute!


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[0037] Die deutsche Bühne der Gegenwart, aus eigner Erfahrung vermehren kann; auf den Höhen der Kunst sind sie so gut wie in ihren Niederungen zu finden. Noch bis vor kurzer Zeit Hütte das große Talent des Herrn Varnay, von dem in den Zeitungen viel die Rede ist, derselben schlechten Manier seinen Tribut gezollt und dafür von den Kritikern des Münchener Gesmumtgastspiels wenig Dank geerntet. Die erste Hälfte seines Leontes im „Wintermärchen" und der ganze „Macbeth" waren an seiner kon¬ ventionellen Behandlung der Rollen zu Grunde gegangen. Streng und herb, aber gerecht hatte der Tadel sich am meisten gegen ihn gewandt. Wer aber etwa darüber Gewissensbisse empfunden haben sollte, möge sich nur beruhigen, denn die harte Schule ist der Kunst des Herrn Barnay nur zustatten ge¬ kommen. Ich sah ihn vor einigen Wochen wieder: ein vortrefflicher „Graf Waldemar," ein in den „Piccolomini" und zum Theil auch im „Tod" bedeu¬ tender Wallenstein, ein leidlicher Coriolan. Die letzte Rolle ganz zu erschöpfen ver¬ mag er nicht, dazu fehlt ihm die Größe und Stärke des Naturells, die immer vermißt werden würde, selbst wenn die Durcharbeitung, die sich erkennen läßt, besser, einheitlicher wäre; aber er zeigte das mit dem glücklichsten Gelingen ge¬ krönte Streben, auch die Formen der Tragödie breit und stilvoll zu gestalten und die höheren Aufgaben auf das Postament zu stellen, das sie, um über die Menge emporzuragen, beanspruchen. Daß der Wallenstein noch manchen Bruch zeigte, beweist nicht viel, denn das Riesenproblem dieses Charakters hat bis jetzt noch jedem Darsteller die Grenzen seines Könnens gezeigt. Es ist schon immer etwas, den gebietenden Feldherrn, den verschlossenen, hinterhältigen Di¬ plomaten und den Mystiker überzeugend wiederzugeben und zu verschmelzen, und das vermag Herr Bnrnay jetzt. So würde sich denn auch an ihm die Kon¬ versationsmanier zuletzt nur als eine gute Schule bewähren — ob für die Dauer, das hat er freilich noch zu beweisen. Hat somit der Kultus des Konversationsstückes für die Spielweise nur einen gewissen und zwar problematischen Wert, so hat er sich dagegen für die Jnseeniruug als eminent wichtig und förderlich erwiesen. Man kannte noch vor zwanzig Jahren nur den allerdürftigsteu Hausrat auf dem Theater; ein Kanapee, ein Tisch, Stühle, so viel sich Personen setzten sollten — das war alles. Prinzip war, nur das ulleruotwendigste an Möbeln und Requisiten vorzuführen. Eine weise Ökonomie, wie wir sie heute nur noch in den Bilderhumvresken von Wilhelm Busch finden, beherrschte den Regisseur. Sieht man bei Busch einen Stock, so weiß man, daß jemand ihn zum Schlagen gebrauchen, einen Spiegel, so weiß man, daß er zer¬ trümmert werden wird. Nichts ist umsonst da, alles dient einem künstlerischen Zwecke. So bot auch die Regie dem Ange nur Dinge, deren praktische Ver¬ wendbarkeit sofort in die Augen sprang. Dazu wurde die Parole: Bcchu frei! ausgegeben. Nur an deu Kulissenseiteu und an der Wand des Hintergrundes wurden verstellbare Dinge gelitten. Der ganze mittlere Bühnenraum war frei und gestattete dem Schauspieler die größtmögliche Bewegung. Wie anders heute!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/37>, abgerufen am 05.02.2025.