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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Magyaren und Doutsche.

Death und seiner Gesinnungsgenossen von der Sache der Revolution, die Dik¬
tatur des "Gouverneurs" Kossuth, welcher auf der Scheidemünze unter der
ungarischen Krone sein höchsteigenes Bildnis, wenn auch ganz winzig, anbringen
ließ, der Widerstand der "reaktionären" siebenbürger Sachsen -- das alles
wurde in einen Nebel von Redensarten gehüllt, welchen auch die Katastrophe
von Vilagos nicht zerstreute; denn Görgey war ja ein "Verräter," und ohne
ihn würden die Honveds die Russen sammt den Österreichern aus dem Laude ge¬
jagt, ja der Reaktion ans dem ganzen Erdboden den Garaus gemacht haben.
Diese Legende hätte zwar ein Blick auf die Landkarte zerstören können. Allein
das Gros der Politiker liebt ja solche Pedanterie nicht. Sollte jede Frage erst
studirt werden, ehe man über sie abspricht, so ginge die schönste Zeit verloren,
und man würde gar oft das Gegenteil von dem finden, was man finden wollte.
Der Wiener Komiker Nestroy hat den tiefsinnigen Ausspruch gethan, mit dem
Schuldenzahlen verbrauche man das meiste Geld und mit dein Arbeiten die
schönste Zeit; er hätte hinzufügen können: das trockene Studium von Ver¬
fassungen, Verträgen, statistischen Tabellen und Karten verdirbt einem das ganze
Vergnügen am Politisiren.

Genug, die ritterlichen Magyaren waren eine Zeit lang in der Mode wie
dereinst die ritterlichen Polen, und wenn sich unter die verratenen Helden auch
mancher mengte, der nur mit dein Munde und von sicherem Platze ans gefochten
hatte, die Wahrheit erfordert zu konstatiren, daß die Ungarn im allgemeinen in
der Emigration eine geachtete Stellung behaupteten und sich abseits hielten wie
die Pappenheimer. Den ernsthaften Leuten unter ihnen lag nichts ferner als
jene ihnen angedichtete Rolle der Vorkämpfer für die europäische Republik. Sie
dachten nur an ihr Vaterland und kümmerten sich blutwenig um die Schmerzen
andrer Völker. Um so fleißiger sorgten freiwillige Magyaren dafür, daß die
übrige Welt die Schmerzen Ungarns uicht vergesse. Herr Schlesiuger in Lon¬
don, Herr Hirschl-Sznrvady in Paris und andre mehr überschwemmten die
europäische Presse mit Berichten über die unerhörte Knechtschaft, in welcher das
edle Volk der Magyaren schmachte. Daß jeder Mißgriff, jede Ungeschicklichkeit,
jede Willkür österreichischer Beamten ausgebeutet und aufgebauscht wurde, ver¬
steht sich von selbst -- und wer wollte das den Geschlagenen verdenken! Aber
daß eben jene Beamten auch Ordnung machten, eine wirkliche Rechtspflege an
die Stelle der avitischcn Justiz brachten, die große Familienähnlichkeit mit der
türkischen hatte, daß man der Näubcrrvmantik energisch zu Leibe ging, daß Graf
Leo Thun PnSztenschulen gründete -- das waren ebenso viele flagrante Ver-
letzungen der altungarischen Freiheit, und sie mußten dem Abscheu der ganzen
liberalen Welt denunzirt werden. Als die unlängst verstorbene Gräfin Nostitz
auf ihrer Besitzung im Bannt, da es ihr nicht gelingen wollte, die Einheimischen
zu einer vernünftigen Kultur ihres so ergiebigen Bodens zu bewegen, eine An¬
stalt für deutsche Waisenkinder gründete, um ein neues Geschlecht von Land-


Magyaren und Doutsche.

Death und seiner Gesinnungsgenossen von der Sache der Revolution, die Dik¬
tatur des „Gouverneurs" Kossuth, welcher auf der Scheidemünze unter der
ungarischen Krone sein höchsteigenes Bildnis, wenn auch ganz winzig, anbringen
ließ, der Widerstand der „reaktionären" siebenbürger Sachsen — das alles
wurde in einen Nebel von Redensarten gehüllt, welchen auch die Katastrophe
von Vilagos nicht zerstreute; denn Görgey war ja ein „Verräter," und ohne
ihn würden die Honveds die Russen sammt den Österreichern aus dem Laude ge¬
jagt, ja der Reaktion ans dem ganzen Erdboden den Garaus gemacht haben.
Diese Legende hätte zwar ein Blick auf die Landkarte zerstören können. Allein
das Gros der Politiker liebt ja solche Pedanterie nicht. Sollte jede Frage erst
studirt werden, ehe man über sie abspricht, so ginge die schönste Zeit verloren,
und man würde gar oft das Gegenteil von dem finden, was man finden wollte.
Der Wiener Komiker Nestroy hat den tiefsinnigen Ausspruch gethan, mit dem
Schuldenzahlen verbrauche man das meiste Geld und mit dein Arbeiten die
schönste Zeit; er hätte hinzufügen können: das trockene Studium von Ver¬
fassungen, Verträgen, statistischen Tabellen und Karten verdirbt einem das ganze
Vergnügen am Politisiren.

Genug, die ritterlichen Magyaren waren eine Zeit lang in der Mode wie
dereinst die ritterlichen Polen, und wenn sich unter die verratenen Helden auch
mancher mengte, der nur mit dein Munde und von sicherem Platze ans gefochten
hatte, die Wahrheit erfordert zu konstatiren, daß die Ungarn im allgemeinen in
der Emigration eine geachtete Stellung behaupteten und sich abseits hielten wie
die Pappenheimer. Den ernsthaften Leuten unter ihnen lag nichts ferner als
jene ihnen angedichtete Rolle der Vorkämpfer für die europäische Republik. Sie
dachten nur an ihr Vaterland und kümmerten sich blutwenig um die Schmerzen
andrer Völker. Um so fleißiger sorgten freiwillige Magyaren dafür, daß die
übrige Welt die Schmerzen Ungarns uicht vergesse. Herr Schlesiuger in Lon¬
don, Herr Hirschl-Sznrvady in Paris und andre mehr überschwemmten die
europäische Presse mit Berichten über die unerhörte Knechtschaft, in welcher das
edle Volk der Magyaren schmachte. Daß jeder Mißgriff, jede Ungeschicklichkeit,
jede Willkür österreichischer Beamten ausgebeutet und aufgebauscht wurde, ver¬
steht sich von selbst — und wer wollte das den Geschlagenen verdenken! Aber
daß eben jene Beamten auch Ordnung machten, eine wirkliche Rechtspflege an
die Stelle der avitischcn Justiz brachten, die große Familienähnlichkeit mit der
türkischen hatte, daß man der Näubcrrvmantik energisch zu Leibe ging, daß Graf
Leo Thun PnSztenschulen gründete — das waren ebenso viele flagrante Ver-
letzungen der altungarischen Freiheit, und sie mußten dem Abscheu der ganzen
liberalen Welt denunzirt werden. Als die unlängst verstorbene Gräfin Nostitz
auf ihrer Besitzung im Bannt, da es ihr nicht gelingen wollte, die Einheimischen
zu einer vernünftigen Kultur ihres so ergiebigen Bodens zu bewegen, eine An¬
stalt für deutsche Waisenkinder gründete, um ein neues Geschlecht von Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/356>, abgerufen am 22.07.2024.