Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Faustkommentare.

fehlende große Stück vom Abgänge Wagners bis zum Schluß der Vcrtrags-
szene zu den ältesten Bestandteilen der Dichtung rechnet. Hiermit steht er
Löper diametral gegenüber, der annimmt, daß seit 1797 im wesentliche" alles
neu hinzukam, was der erste Teil mehr enthält als das Fragment. Das Fehlen
im Fragment mag Schröer nicht als beweisend für ein späteres Entstehen an¬
sehen. Aber was kann Goethe, der doch, als es sich um die Drucklegung handelte,
um eine Abrundung ernstlich bemüht war, veranlaßt haben, diese große Lücke
zu lassen, wenn sie in der That schon, und dem Plane des Ganzen gemäß, aus¬
gefüllt war? Diese Frage wirft Schröer gar nicht auf. Beim zusammenhängenden
Lesen sofort auffällig ist der ganz andre Ton, mit dem der zweite Monolog
des Faust einsetzt; auch durch die andre Vcrsbehandlung markirt er scharf einen
neuen Ansatz. Faust erscheint ferner in ihm bedeutend älter als im ersten Mono¬
log. Ebenso auffällig ist später der plötzliche Umschwung, der am Schluß der
ursprünglichen Lücke in Fausts Stimmung ganz unvermittelt eintritt. Zu beachten
ist endlich auch, daß Goethe noch 1800 in einem Briefe an Schiller auf die
große, noch nicht ganz ausgefüllte Lücke hinweist, womit doch nur das in Rede
stehende Stück gemeint sein kann. Daß von demselben in älterer Zeit noch
gar nichts vorhanden gewesen sei, soll nicht behauptet werden, nur daß es die
Gestalt, wie es seit 1808 uns vorliegt, noch nicht gehabt haben kann. Mit
dieser Anschauung sehr ivvhl vereinigen lassen sich die Parallelen, die Schröer
zu einzelnen Stellen dieses Stückes in andern Schriften Goethes aus der ersten
Hälfte der siebziger Jahre nachweist. Von diesen sind einige nicht sehr schlagend.
Daß sich zudem leicht dieselbe Gedankcuvorstelluug in weit auseinander liegenden
Zeiträumen einstellen kann, davon bringt Schröer selbst el" Beispiel, wenn er
die Vorstellung von einem "Sich zu einer Welt Erweitern" sowohl im "Pro¬
metheus" (1773) als auch in einem Briefe an Lavater vom Jahre 1781 nach¬
weist. Trotzdem sollen ähnlich anklingende Stellen aus der Lücke im "Faust"
mit Notwendigkeit in jene ältere Zeit zurückreichen. Man wird diese ganze, im
Fragment noch fehlende Partie (2. Monolog des Faust, Osterspaziergang, die
beiden Szenen zwischen Faust und Mephistopheles bis zu den Worten, wo das
Fragment wieder einsetzt) nicht so in Bausch und Bogen behandeln können,
fondern hier sehr im einzelnen unterscheiden müssen, eine Untersuchung, die bisher
"och nicht in genügender Weise angestellt worden ist.

Die wichtigste Frage wird immer die bleiben, ob auch die Nertragsszeue
"ut der Pakt mit Mephistopheles schon zu der ersten Konzeption gehöre,
Schröer muß dies nach dem oben angeführten bejahen. Obwohl er sich von
hinein historisch-kritischen Standpunkte ans vorurteilsfrei der Dichtung gegenüber¬
stellt, mit Recht nachdrücklich betont, daß der erste Faust immer Fragment ge¬
blieben ist und eine durchgreifende Redaktion desselben niemals stattgefunden hat,
und obwohl er vielfach die durch die Art der Entstehung in der Dichtung vor¬
handenen Widersprüche heraushebt, bekämpft er doch Kuno Fischers Annahme


Zwei Faustkommentare.

fehlende große Stück vom Abgänge Wagners bis zum Schluß der Vcrtrags-
szene zu den ältesten Bestandteilen der Dichtung rechnet. Hiermit steht er
Löper diametral gegenüber, der annimmt, daß seit 1797 im wesentliche» alles
neu hinzukam, was der erste Teil mehr enthält als das Fragment. Das Fehlen
im Fragment mag Schröer nicht als beweisend für ein späteres Entstehen an¬
sehen. Aber was kann Goethe, der doch, als es sich um die Drucklegung handelte,
um eine Abrundung ernstlich bemüht war, veranlaßt haben, diese große Lücke
zu lassen, wenn sie in der That schon, und dem Plane des Ganzen gemäß, aus¬
gefüllt war? Diese Frage wirft Schröer gar nicht auf. Beim zusammenhängenden
Lesen sofort auffällig ist der ganz andre Ton, mit dem der zweite Monolog
des Faust einsetzt; auch durch die andre Vcrsbehandlung markirt er scharf einen
neuen Ansatz. Faust erscheint ferner in ihm bedeutend älter als im ersten Mono¬
log. Ebenso auffällig ist später der plötzliche Umschwung, der am Schluß der
ursprünglichen Lücke in Fausts Stimmung ganz unvermittelt eintritt. Zu beachten
ist endlich auch, daß Goethe noch 1800 in einem Briefe an Schiller auf die
große, noch nicht ganz ausgefüllte Lücke hinweist, womit doch nur das in Rede
stehende Stück gemeint sein kann. Daß von demselben in älterer Zeit noch
gar nichts vorhanden gewesen sei, soll nicht behauptet werden, nur daß es die
Gestalt, wie es seit 1808 uns vorliegt, noch nicht gehabt haben kann. Mit
dieser Anschauung sehr ivvhl vereinigen lassen sich die Parallelen, die Schröer
zu einzelnen Stellen dieses Stückes in andern Schriften Goethes aus der ersten
Hälfte der siebziger Jahre nachweist. Von diesen sind einige nicht sehr schlagend.
Daß sich zudem leicht dieselbe Gedankcuvorstelluug in weit auseinander liegenden
Zeiträumen einstellen kann, davon bringt Schröer selbst el» Beispiel, wenn er
die Vorstellung von einem „Sich zu einer Welt Erweitern" sowohl im „Pro¬
metheus" (1773) als auch in einem Briefe an Lavater vom Jahre 1781 nach¬
weist. Trotzdem sollen ähnlich anklingende Stellen aus der Lücke im „Faust"
mit Notwendigkeit in jene ältere Zeit zurückreichen. Man wird diese ganze, im
Fragment noch fehlende Partie (2. Monolog des Faust, Osterspaziergang, die
beiden Szenen zwischen Faust und Mephistopheles bis zu den Worten, wo das
Fragment wieder einsetzt) nicht so in Bausch und Bogen behandeln können,
fondern hier sehr im einzelnen unterscheiden müssen, eine Untersuchung, die bisher
"och nicht in genügender Weise angestellt worden ist.

Die wichtigste Frage wird immer die bleiben, ob auch die Nertragsszeue
"ut der Pakt mit Mephistopheles schon zu der ersten Konzeption gehöre,
Schröer muß dies nach dem oben angeführten bejahen. Obwohl er sich von
hinein historisch-kritischen Standpunkte ans vorurteilsfrei der Dichtung gegenüber¬
stellt, mit Recht nachdrücklich betont, daß der erste Faust immer Fragment ge¬
blieben ist und eine durchgreifende Redaktion desselben niemals stattgefunden hat,
und obwohl er vielfach die durch die Art der Entstehung in der Dichtung vor¬
handenen Widersprüche heraushebt, bekämpft er doch Kuno Fischers Annahme


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86364"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei Faustkommentare.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> fehlende große Stück vom Abgänge Wagners bis zum Schluß der Vcrtrags-<lb/>
szene zu den ältesten Bestandteilen der Dichtung rechnet. Hiermit steht er<lb/>
Löper diametral gegenüber, der annimmt, daß seit 1797 im wesentliche» alles<lb/>
neu hinzukam, was der erste Teil mehr enthält als das Fragment. Das Fehlen<lb/>
im Fragment mag Schröer nicht als beweisend für ein späteres Entstehen an¬<lb/>
sehen. Aber was kann Goethe, der doch, als es sich um die Drucklegung handelte,<lb/>
um eine Abrundung ernstlich bemüht war, veranlaßt haben, diese große Lücke<lb/>
zu lassen, wenn sie in der That schon, und dem Plane des Ganzen gemäß, aus¬<lb/>
gefüllt war? Diese Frage wirft Schröer gar nicht auf. Beim zusammenhängenden<lb/>
Lesen sofort auffällig ist der ganz andre Ton, mit dem der zweite Monolog<lb/>
des Faust einsetzt; auch durch die andre Vcrsbehandlung markirt er scharf einen<lb/>
neuen Ansatz. Faust erscheint ferner in ihm bedeutend älter als im ersten Mono¬<lb/>
log. Ebenso auffällig ist später der plötzliche Umschwung, der am Schluß der<lb/>
ursprünglichen Lücke in Fausts Stimmung ganz unvermittelt eintritt. Zu beachten<lb/>
ist endlich auch, daß Goethe noch 1800 in einem Briefe an Schiller auf die<lb/>
große, noch nicht ganz ausgefüllte Lücke hinweist, womit doch nur das in Rede<lb/>
stehende Stück gemeint sein kann. Daß von demselben in älterer Zeit noch<lb/>
gar nichts vorhanden gewesen sei, soll nicht behauptet werden, nur daß es die<lb/>
Gestalt, wie es seit 1808 uns vorliegt, noch nicht gehabt haben kann. Mit<lb/>
dieser Anschauung sehr ivvhl vereinigen lassen sich die Parallelen, die Schröer<lb/>
zu einzelnen Stellen dieses Stückes in andern Schriften Goethes aus der ersten<lb/>
Hälfte der siebziger Jahre nachweist. Von diesen sind einige nicht sehr schlagend.<lb/>
Daß sich zudem leicht dieselbe Gedankcuvorstelluug in weit auseinander liegenden<lb/>
Zeiträumen einstellen kann, davon bringt Schröer selbst el» Beispiel, wenn er<lb/>
die Vorstellung von einem &#x201E;Sich zu einer Welt Erweitern" sowohl im &#x201E;Pro¬<lb/>
metheus" (1773) als auch in einem Briefe an Lavater vom Jahre 1781 nach¬<lb/>
weist. Trotzdem sollen ähnlich anklingende Stellen aus der Lücke im &#x201E;Faust"<lb/>
mit Notwendigkeit in jene ältere Zeit zurückreichen. Man wird diese ganze, im<lb/>
Fragment noch fehlende Partie (2. Monolog des Faust, Osterspaziergang, die<lb/>
beiden Szenen zwischen Faust und Mephistopheles bis zu den Worten, wo das<lb/>
Fragment wieder einsetzt) nicht so in Bausch und Bogen behandeln können,<lb/>
fondern hier sehr im einzelnen unterscheiden müssen, eine Untersuchung, die bisher<lb/>
"och nicht in genügender Weise angestellt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987" next="#ID_988"> Die wichtigste Frage wird immer die bleiben, ob auch die Nertragsszeue<lb/>
"ut der Pakt mit Mephistopheles schon zu der ersten Konzeption gehöre,<lb/>
Schröer muß dies nach dem oben angeführten bejahen. Obwohl er sich von<lb/>
hinein historisch-kritischen Standpunkte ans vorurteilsfrei der Dichtung gegenüber¬<lb/>
stellt, mit Recht nachdrücklich betont, daß der erste Faust immer Fragment ge¬<lb/>
blieben ist und eine durchgreifende Redaktion desselben niemals stattgefunden hat,<lb/>
und obwohl er vielfach die durch die Art der Entstehung in der Dichtung vor¬<lb/>
handenen Widersprüche heraushebt, bekämpft er doch Kuno Fischers Annahme</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Zwei Faustkommentare. fehlende große Stück vom Abgänge Wagners bis zum Schluß der Vcrtrags- szene zu den ältesten Bestandteilen der Dichtung rechnet. Hiermit steht er Löper diametral gegenüber, der annimmt, daß seit 1797 im wesentliche» alles neu hinzukam, was der erste Teil mehr enthält als das Fragment. Das Fehlen im Fragment mag Schröer nicht als beweisend für ein späteres Entstehen an¬ sehen. Aber was kann Goethe, der doch, als es sich um die Drucklegung handelte, um eine Abrundung ernstlich bemüht war, veranlaßt haben, diese große Lücke zu lassen, wenn sie in der That schon, und dem Plane des Ganzen gemäß, aus¬ gefüllt war? Diese Frage wirft Schröer gar nicht auf. Beim zusammenhängenden Lesen sofort auffällig ist der ganz andre Ton, mit dem der zweite Monolog des Faust einsetzt; auch durch die andre Vcrsbehandlung markirt er scharf einen neuen Ansatz. Faust erscheint ferner in ihm bedeutend älter als im ersten Mono¬ log. Ebenso auffällig ist später der plötzliche Umschwung, der am Schluß der ursprünglichen Lücke in Fausts Stimmung ganz unvermittelt eintritt. Zu beachten ist endlich auch, daß Goethe noch 1800 in einem Briefe an Schiller auf die große, noch nicht ganz ausgefüllte Lücke hinweist, womit doch nur das in Rede stehende Stück gemeint sein kann. Daß von demselben in älterer Zeit noch gar nichts vorhanden gewesen sei, soll nicht behauptet werden, nur daß es die Gestalt, wie es seit 1808 uns vorliegt, noch nicht gehabt haben kann. Mit dieser Anschauung sehr ivvhl vereinigen lassen sich die Parallelen, die Schröer zu einzelnen Stellen dieses Stückes in andern Schriften Goethes aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre nachweist. Von diesen sind einige nicht sehr schlagend. Daß sich zudem leicht dieselbe Gedankcuvorstelluug in weit auseinander liegenden Zeiträumen einstellen kann, davon bringt Schröer selbst el» Beispiel, wenn er die Vorstellung von einem „Sich zu einer Welt Erweitern" sowohl im „Pro¬ metheus" (1773) als auch in einem Briefe an Lavater vom Jahre 1781 nach¬ weist. Trotzdem sollen ähnlich anklingende Stellen aus der Lücke im „Faust" mit Notwendigkeit in jene ältere Zeit zurückreichen. Man wird diese ganze, im Fragment noch fehlende Partie (2. Monolog des Faust, Osterspaziergang, die beiden Szenen zwischen Faust und Mephistopheles bis zu den Worten, wo das Fragment wieder einsetzt) nicht so in Bausch und Bogen behandeln können, fondern hier sehr im einzelnen unterscheiden müssen, eine Untersuchung, die bisher "och nicht in genügender Weise angestellt worden ist. Die wichtigste Frage wird immer die bleiben, ob auch die Nertragsszeue "ut der Pakt mit Mephistopheles schon zu der ersten Konzeption gehöre, Schröer muß dies nach dem oben angeführten bejahen. Obwohl er sich von hinein historisch-kritischen Standpunkte ans vorurteilsfrei der Dichtung gegenüber¬ stellt, mit Recht nachdrücklich betont, daß der erste Faust immer Fragment ge¬ blieben ist und eine durchgreifende Redaktion desselben niemals stattgefunden hat, und obwohl er vielfach die durch die Art der Entstehung in der Dichtung vor¬ handenen Widersprüche heraushebt, bekämpft er doch Kuno Fischers Annahme

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/243>, abgerufen am 23.07.2024.