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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Leopold von Rankes Römische Geschichte.

Es ist so viel Schönes und Großes in Nnnkeö Buch, daß jeder Leser, der mit
dem behandelten Stoffe bereits vertraut ist, hohe Freude an der Lektüre habe"
wird. Vor allem bewundern wir den gedrungenen Stil, die knappe Ausdrucks¬
weise, die nie in Breite sich verliert, sondern immer zum Aufmerken und Denken
zwingt. Sodann verschmäht es Ranke, die moderne Brille beim Anschauen antiker
Verhältnisse aufzusetzen und sich z. B. der modernen Phraseologie bei der Be¬
urteilung römischer Parteien zu bedienen. Er weiß, daß nichts damit gewonnen
ist, von Pfaffen und Junkern in Rom zu sprechen, daß das Hineintragen moderner
Ideen in die Welt des Altertums nur bewirkt, daß man sich falsche Vorstellungen
davon bildet. Wie wunderbar fein sind ferner die Charakterschilderungen, die
"us Ranke giebt! Man vergleiche das Bild, das er vou dem älteren Scipio, dem
Sieger vou Zama, und von Flaummus, dem Befreier der Griechen, zeichnet.
Wir wüßten nichts ähnliches dem an die Seite zu stellen. Wer entsinne sich
nicht der Schilderungen, die Mommsen von Cicero, Cato, Pompejus und Cäsar
entwirft? Sie gelten als Glanzleistungen des bekannten Historikers, und sie sind
es auch. Geistreicheres ist in so schöner Form über jene Größen der römischen
Revolutionszeit gewiß nie gesagt worden. Und doch wird man jene Charakte¬
ristiken nicht als Meisterstücke der historischen Kunst bewundern dürfen. Der
jammervolle, hohle, eitle Cicero, der bornirte Cato, der nicht einsehen will, daß
es mit der Republik vorüber ist, und daß der einsichtige Mensch sich daher dem
großen Imperator zu unterwerfen habe, der schlechte Politiker und unfähige
Feldherr Pompejus: mit bewundernswerter Kunst sind sie von Mommsen konstruirt
""d gezeichnet. Ob sie aber in Wirklichkeit so aussahen, ist eine andre Frage.
Wichtige Thatsachen sprechen dagegen. Lesen wir Rankes Bericht, so erhalten
Kur ein andres Bild, ohne Spekulation, kein Phantasiegemälde, und beruhigt
^upfangen wir den Eindruck, daß Cicero ebensowenig ein Mensch ohne Einsicht,
^uflade und Übersicht, als Cato ein römischer Don Quixote war.

Der Tradition der ältern Geschichte begegnet Ranke nicht mit der souveränen
Verachtung, die ihr sonst gezollt wird. Auch das rechnen wir ihm zum Lobe
Er verzichtet auf den vergeblichen Versuch, hier Dichtung von Wahrheit
trennen. Denn wozu führt ein solcher Versuch als zu endlosen Hypothesen?
läßt die von den Historikern berichteten Begebenheiten einfach an unserm
Leiste vorüberziehen. Nur hie und da unterbricht er sich. Wo etwas Charak-
^'istifth^s oder Vorbildliches vorkommt, setzt er es, mag es wahr oder sagen-
^ sui. in Helles Licht. "Auch die Dichtung, sagt er, hat ihre Wahrheit,
Diesem sie eine alte Tradition darstellt. Solche Zeiträume giebt es, in denen
^cidition und Geschichte sich untrennbar ineinander verschlingen. Es war
"si der Mühe wert, diese traditionelle Wahrheit zur Anschauung zu bringen.
^ ^ucntlich lud der Inhalt der großen Epoche von der ersten Sezession, durch
^che die Tribunen geschaffen, bis zu der zweiten, durch welche die Dezemvirn
stürzt wurden, hierzu ein; sie hat etwas Vorbildliches für alle Zeiten." So


Leopold von Rankes Römische Geschichte.

Es ist so viel Schönes und Großes in Nnnkeö Buch, daß jeder Leser, der mit
dem behandelten Stoffe bereits vertraut ist, hohe Freude an der Lektüre habe»
wird. Vor allem bewundern wir den gedrungenen Stil, die knappe Ausdrucks¬
weise, die nie in Breite sich verliert, sondern immer zum Aufmerken und Denken
zwingt. Sodann verschmäht es Ranke, die moderne Brille beim Anschauen antiker
Verhältnisse aufzusetzen und sich z. B. der modernen Phraseologie bei der Be¬
urteilung römischer Parteien zu bedienen. Er weiß, daß nichts damit gewonnen
ist, von Pfaffen und Junkern in Rom zu sprechen, daß das Hineintragen moderner
Ideen in die Welt des Altertums nur bewirkt, daß man sich falsche Vorstellungen
davon bildet. Wie wunderbar fein sind ferner die Charakterschilderungen, die
»us Ranke giebt! Man vergleiche das Bild, das er vou dem älteren Scipio, dem
Sieger vou Zama, und von Flaummus, dem Befreier der Griechen, zeichnet.
Wir wüßten nichts ähnliches dem an die Seite zu stellen. Wer entsinne sich
nicht der Schilderungen, die Mommsen von Cicero, Cato, Pompejus und Cäsar
entwirft? Sie gelten als Glanzleistungen des bekannten Historikers, und sie sind
es auch. Geistreicheres ist in so schöner Form über jene Größen der römischen
Revolutionszeit gewiß nie gesagt worden. Und doch wird man jene Charakte¬
ristiken nicht als Meisterstücke der historischen Kunst bewundern dürfen. Der
jammervolle, hohle, eitle Cicero, der bornirte Cato, der nicht einsehen will, daß
es mit der Republik vorüber ist, und daß der einsichtige Mensch sich daher dem
großen Imperator zu unterwerfen habe, der schlechte Politiker und unfähige
Feldherr Pompejus: mit bewundernswerter Kunst sind sie von Mommsen konstruirt
""d gezeichnet. Ob sie aber in Wirklichkeit so aussahen, ist eine andre Frage.
Wichtige Thatsachen sprechen dagegen. Lesen wir Rankes Bericht, so erhalten
Kur ein andres Bild, ohne Spekulation, kein Phantasiegemälde, und beruhigt
^upfangen wir den Eindruck, daß Cicero ebensowenig ein Mensch ohne Einsicht,
^uflade und Übersicht, als Cato ein römischer Don Quixote war.

Der Tradition der ältern Geschichte begegnet Ranke nicht mit der souveränen
Verachtung, die ihr sonst gezollt wird. Auch das rechnen wir ihm zum Lobe
Er verzichtet auf den vergeblichen Versuch, hier Dichtung von Wahrheit
trennen. Denn wozu führt ein solcher Versuch als zu endlosen Hypothesen?
läßt die von den Historikern berichteten Begebenheiten einfach an unserm
Leiste vorüberziehen. Nur hie und da unterbricht er sich. Wo etwas Charak-
^'istifth^s oder Vorbildliches vorkommt, setzt er es, mag es wahr oder sagen-
^ sui. in Helles Licht. „Auch die Dichtung, sagt er, hat ihre Wahrheit,
Diesem sie eine alte Tradition darstellt. Solche Zeiträume giebt es, in denen
^cidition und Geschichte sich untrennbar ineinander verschlingen. Es war
"si der Mühe wert, diese traditionelle Wahrheit zur Anschauung zu bringen.
^ ^ucntlich lud der Inhalt der großen Epoche von der ersten Sezession, durch
^che die Tribunen geschaffen, bis zu der zweiten, durch welche die Dezemvirn
stürzt wurden, hierzu ein; sie hat etwas Vorbildliches für alle Zeiten." So


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[0235] Leopold von Rankes Römische Geschichte. Es ist so viel Schönes und Großes in Nnnkeö Buch, daß jeder Leser, der mit dem behandelten Stoffe bereits vertraut ist, hohe Freude an der Lektüre habe» wird. Vor allem bewundern wir den gedrungenen Stil, die knappe Ausdrucks¬ weise, die nie in Breite sich verliert, sondern immer zum Aufmerken und Denken zwingt. Sodann verschmäht es Ranke, die moderne Brille beim Anschauen antiker Verhältnisse aufzusetzen und sich z. B. der modernen Phraseologie bei der Be¬ urteilung römischer Parteien zu bedienen. Er weiß, daß nichts damit gewonnen ist, von Pfaffen und Junkern in Rom zu sprechen, daß das Hineintragen moderner Ideen in die Welt des Altertums nur bewirkt, daß man sich falsche Vorstellungen davon bildet. Wie wunderbar fein sind ferner die Charakterschilderungen, die »us Ranke giebt! Man vergleiche das Bild, das er vou dem älteren Scipio, dem Sieger vou Zama, und von Flaummus, dem Befreier der Griechen, zeichnet. Wir wüßten nichts ähnliches dem an die Seite zu stellen. Wer entsinne sich nicht der Schilderungen, die Mommsen von Cicero, Cato, Pompejus und Cäsar entwirft? Sie gelten als Glanzleistungen des bekannten Historikers, und sie sind es auch. Geistreicheres ist in so schöner Form über jene Größen der römischen Revolutionszeit gewiß nie gesagt worden. Und doch wird man jene Charakte¬ ristiken nicht als Meisterstücke der historischen Kunst bewundern dürfen. Der jammervolle, hohle, eitle Cicero, der bornirte Cato, der nicht einsehen will, daß es mit der Republik vorüber ist, und daß der einsichtige Mensch sich daher dem großen Imperator zu unterwerfen habe, der schlechte Politiker und unfähige Feldherr Pompejus: mit bewundernswerter Kunst sind sie von Mommsen konstruirt ""d gezeichnet. Ob sie aber in Wirklichkeit so aussahen, ist eine andre Frage. Wichtige Thatsachen sprechen dagegen. Lesen wir Rankes Bericht, so erhalten Kur ein andres Bild, ohne Spekulation, kein Phantasiegemälde, und beruhigt ^upfangen wir den Eindruck, daß Cicero ebensowenig ein Mensch ohne Einsicht, ^uflade und Übersicht, als Cato ein römischer Don Quixote war. Der Tradition der ältern Geschichte begegnet Ranke nicht mit der souveränen Verachtung, die ihr sonst gezollt wird. Auch das rechnen wir ihm zum Lobe Er verzichtet auf den vergeblichen Versuch, hier Dichtung von Wahrheit trennen. Denn wozu führt ein solcher Versuch als zu endlosen Hypothesen? läßt die von den Historikern berichteten Begebenheiten einfach an unserm Leiste vorüberziehen. Nur hie und da unterbricht er sich. Wo etwas Charak- ^'istifth^s oder Vorbildliches vorkommt, setzt er es, mag es wahr oder sagen- ^ sui. in Helles Licht. „Auch die Dichtung, sagt er, hat ihre Wahrheit, Diesem sie eine alte Tradition darstellt. Solche Zeiträume giebt es, in denen ^cidition und Geschichte sich untrennbar ineinander verschlingen. Es war "si der Mühe wert, diese traditionelle Wahrheit zur Anschauung zu bringen. ^ ^ucntlich lud der Inhalt der großen Epoche von der ersten Sezession, durch ^che die Tribunen geschaffen, bis zu der zweiten, durch welche die Dezemvirn stürzt wurden, hierzu ein; sie hat etwas Vorbildliches für alle Zeiten." So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/235>, abgerufen am 22.07.2024.