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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Paul Lindau.

Vor Jahren, als die ersten Bände der "Ahnen" erschienen waren, meinte
Lindau, "es wäre entsetzlich, wenn dieser Stil Nachahmer fände. Fast kein Satz
ist so, wie er naturgemäß sein sollte; .... die den Hauptwörtern beigefügten
Prädikate sind oft mühevoll, geziert und unbescheiden, der ehrliche Artikel wird
ohne allen Grund ausgestoßen u. s. w." Er tadelt die Prosa, welche aus Versen
bestehe, ohne den Mut ihrer Meinung zu haben. "Es ist kaum zu beschreiben,
wie sehr es irritirt und die Nerven abspannt, wenn man bei der Lektüre des
Wertes, welches sich als Prosaschrift darstellt, auf diese metrischen Stellen stößt."
Er tadelt "die seltsamen sprachlichen Umschreibungen für alle möglichen Begriffe;
die unbegreifliche Liebhaberei des Dichters für gewisse Wörter, die er immer
und immer wieder anwendet und geradezu zu Tode hetzt; die Übertreibungen in
der Schilderung der beständig wechselnden Gemütsstimmung seiner Helden; die
beabsichtigten Naivetäten, deren Absichtlichkeit sehr verstimmend wirkt; die un¬
ablässig wiederkehrenden Bilder aus dem Tierreiche, die schließlich kaum uoch
zu ertrage" sind." "Offenbar hat sich der Dichter bei Abfassung dieses Romans
zu stark an Brehm angelehnt." Nunmehr aber, wo die "Ahnen" fertig sind,
ist Lindau zu andrer Einsicht gekommen. Seine Nerven müssen sich sehr ge¬
bessert haben, denn er hat die ganze Bändereihe gelesen und findet, daß sie ein
großes, schönes Dichterwerk sind.

Auch Spielhagen hatte in frühern Jahren nicht das Glück, ganz nach Lin¬
daus Geschmack zu sein. "Ich berühre den Punkt, der mir schon an Spielhagens
frühern Arbeiten aufgefallen ist: er will in die Tiefe dringen und geht anstatt
dessen bisweilen in die Breite." "Ich bin wahrhaftig nicht prüde, aber der vom
Dichter meiner Phantasie auferlegte Zwang, mir die kleine Stephanie beständig
"unter deu gegebene" Bedingungen" vorzustellen, hat mich unangenehm berührt."
"Mit den Charakteren ergeht es Spielhagen i" "Allzeit voran" wie mit den
Motiven. Bis auf den frisch und gut gezeichnete" Grase" Heinrich ermangeln
die Hauptcharcckterc der Originalität und Sympathie." "Ebenso wie mit den
Motiven verhält es sich mit den Citaten; mich hier giebt es eine erkleckliche An¬
zahl, die durch den beständigen Gebrauch von Hand zu Hand so abgegriffen
sind, daß man sie füglich nicht mehr als baare Münze ausgeben sollte."

Und nun diese Kritik über "Angela"! Wir glauben Lindau vor uns sitzen
und ihn, obwohl schon herabgestimmt und ein bischen stumpf geworden durch
das "Glück" und die lange Gewohnheit der Trivialität, dennoch ein wenig un¬
mutig zucken zu sehen, bis er endlich sich selber einen Stoß giebt und nun
loslegt in einer Art, die das alte Lindcmsche Gepräge kaum noch erkennen läßt.
Um doch nur etwas zu sagen, schiebt er jemanden vor, der gesagt habe, des
Großstädters Sinne seien durch Lärm und Aufregung verändert worden, und
deshalb bedürfe die Kunst, um den Großstädter zu reizen, andrer Mittel, als
die frühere einfache Kunst notwendig gehabt hätte! Auf diese Weise sei eine
Markartschc Malerei, eine Wagnersche Musik und endlich ein Spielhagenschcr


Paul Lindau.

Vor Jahren, als die ersten Bände der „Ahnen" erschienen waren, meinte
Lindau, „es wäre entsetzlich, wenn dieser Stil Nachahmer fände. Fast kein Satz
ist so, wie er naturgemäß sein sollte; .... die den Hauptwörtern beigefügten
Prädikate sind oft mühevoll, geziert und unbescheiden, der ehrliche Artikel wird
ohne allen Grund ausgestoßen u. s. w." Er tadelt die Prosa, welche aus Versen
bestehe, ohne den Mut ihrer Meinung zu haben. „Es ist kaum zu beschreiben,
wie sehr es irritirt und die Nerven abspannt, wenn man bei der Lektüre des
Wertes, welches sich als Prosaschrift darstellt, auf diese metrischen Stellen stößt."
Er tadelt „die seltsamen sprachlichen Umschreibungen für alle möglichen Begriffe;
die unbegreifliche Liebhaberei des Dichters für gewisse Wörter, die er immer
und immer wieder anwendet und geradezu zu Tode hetzt; die Übertreibungen in
der Schilderung der beständig wechselnden Gemütsstimmung seiner Helden; die
beabsichtigten Naivetäten, deren Absichtlichkeit sehr verstimmend wirkt; die un¬
ablässig wiederkehrenden Bilder aus dem Tierreiche, die schließlich kaum uoch
zu ertrage» sind." „Offenbar hat sich der Dichter bei Abfassung dieses Romans
zu stark an Brehm angelehnt." Nunmehr aber, wo die „Ahnen" fertig sind,
ist Lindau zu andrer Einsicht gekommen. Seine Nerven müssen sich sehr ge¬
bessert haben, denn er hat die ganze Bändereihe gelesen und findet, daß sie ein
großes, schönes Dichterwerk sind.

Auch Spielhagen hatte in frühern Jahren nicht das Glück, ganz nach Lin¬
daus Geschmack zu sein. „Ich berühre den Punkt, der mir schon an Spielhagens
frühern Arbeiten aufgefallen ist: er will in die Tiefe dringen und geht anstatt
dessen bisweilen in die Breite." „Ich bin wahrhaftig nicht prüde, aber der vom
Dichter meiner Phantasie auferlegte Zwang, mir die kleine Stephanie beständig
„unter deu gegebene» Bedingungen" vorzustellen, hat mich unangenehm berührt."
„Mit den Charakteren ergeht es Spielhagen i» „Allzeit voran" wie mit den
Motiven. Bis auf den frisch und gut gezeichnete» Grase» Heinrich ermangeln
die Hauptcharcckterc der Originalität und Sympathie." „Ebenso wie mit den
Motiven verhält es sich mit den Citaten; mich hier giebt es eine erkleckliche An¬
zahl, die durch den beständigen Gebrauch von Hand zu Hand so abgegriffen
sind, daß man sie füglich nicht mehr als baare Münze ausgeben sollte."

Und nun diese Kritik über „Angela"! Wir glauben Lindau vor uns sitzen
und ihn, obwohl schon herabgestimmt und ein bischen stumpf geworden durch
das „Glück" und die lange Gewohnheit der Trivialität, dennoch ein wenig un¬
mutig zucken zu sehen, bis er endlich sich selber einen Stoß giebt und nun
loslegt in einer Art, die das alte Lindcmsche Gepräge kaum noch erkennen läßt.
Um doch nur etwas zu sagen, schiebt er jemanden vor, der gesagt habe, des
Großstädters Sinne seien durch Lärm und Aufregung verändert worden, und
deshalb bedürfe die Kunst, um den Großstädter zu reizen, andrer Mittel, als
die frühere einfache Kunst notwendig gehabt hätte! Auf diese Weise sei eine
Markartschc Malerei, eine Wagnersche Musik und endlich ein Spielhagenschcr


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[0142] Paul Lindau. Vor Jahren, als die ersten Bände der „Ahnen" erschienen waren, meinte Lindau, „es wäre entsetzlich, wenn dieser Stil Nachahmer fände. Fast kein Satz ist so, wie er naturgemäß sein sollte; .... die den Hauptwörtern beigefügten Prädikate sind oft mühevoll, geziert und unbescheiden, der ehrliche Artikel wird ohne allen Grund ausgestoßen u. s. w." Er tadelt die Prosa, welche aus Versen bestehe, ohne den Mut ihrer Meinung zu haben. „Es ist kaum zu beschreiben, wie sehr es irritirt und die Nerven abspannt, wenn man bei der Lektüre des Wertes, welches sich als Prosaschrift darstellt, auf diese metrischen Stellen stößt." Er tadelt „die seltsamen sprachlichen Umschreibungen für alle möglichen Begriffe; die unbegreifliche Liebhaberei des Dichters für gewisse Wörter, die er immer und immer wieder anwendet und geradezu zu Tode hetzt; die Übertreibungen in der Schilderung der beständig wechselnden Gemütsstimmung seiner Helden; die beabsichtigten Naivetäten, deren Absichtlichkeit sehr verstimmend wirkt; die un¬ ablässig wiederkehrenden Bilder aus dem Tierreiche, die schließlich kaum uoch zu ertrage» sind." „Offenbar hat sich der Dichter bei Abfassung dieses Romans zu stark an Brehm angelehnt." Nunmehr aber, wo die „Ahnen" fertig sind, ist Lindau zu andrer Einsicht gekommen. Seine Nerven müssen sich sehr ge¬ bessert haben, denn er hat die ganze Bändereihe gelesen und findet, daß sie ein großes, schönes Dichterwerk sind. Auch Spielhagen hatte in frühern Jahren nicht das Glück, ganz nach Lin¬ daus Geschmack zu sein. „Ich berühre den Punkt, der mir schon an Spielhagens frühern Arbeiten aufgefallen ist: er will in die Tiefe dringen und geht anstatt dessen bisweilen in die Breite." „Ich bin wahrhaftig nicht prüde, aber der vom Dichter meiner Phantasie auferlegte Zwang, mir die kleine Stephanie beständig „unter deu gegebene» Bedingungen" vorzustellen, hat mich unangenehm berührt." „Mit den Charakteren ergeht es Spielhagen i» „Allzeit voran" wie mit den Motiven. Bis auf den frisch und gut gezeichnete» Grase» Heinrich ermangeln die Hauptcharcckterc der Originalität und Sympathie." „Ebenso wie mit den Motiven verhält es sich mit den Citaten; mich hier giebt es eine erkleckliche An¬ zahl, die durch den beständigen Gebrauch von Hand zu Hand so abgegriffen sind, daß man sie füglich nicht mehr als baare Münze ausgeben sollte." Und nun diese Kritik über „Angela"! Wir glauben Lindau vor uns sitzen und ihn, obwohl schon herabgestimmt und ein bischen stumpf geworden durch das „Glück" und die lange Gewohnheit der Trivialität, dennoch ein wenig un¬ mutig zucken zu sehen, bis er endlich sich selber einen Stoß giebt und nun loslegt in einer Art, die das alte Lindcmsche Gepräge kaum noch erkennen läßt. Um doch nur etwas zu sagen, schiebt er jemanden vor, der gesagt habe, des Großstädters Sinne seien durch Lärm und Aufregung verändert worden, und deshalb bedürfe die Kunst, um den Großstädter zu reizen, andrer Mittel, als die frühere einfache Kunst notwendig gehabt hätte! Auf diese Weise sei eine Markartschc Malerei, eine Wagnersche Musik und endlich ein Spielhagenschcr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/142>, abgerufen am 23.07.2024.