Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Lindau.

Auch manche andre seiner frühern Arbeiten machten einen ähnlichen Ein¬
druck auf den unbefangenen Leser. Mit Vergnügen sah man den Namen Lindau
nu der Spitze kritischer Aufsätze und konnte i" der Regel darauf rechnen, das;
dieser wohlunterrichtete, feine und satirische Kopf durch die Entwicklung seiner
Ideen uus einen besonderen Genus; bereiten würde.

Ja wir müssen gestehen, daß wir soeben, die Feder beiseite legend und die
"Harmlosen Briefe," die "Litcrarischcn Rücksichtslosigkeiten," die "Gesammelten
Aufsätze," die "Dramaturgischen Blätter" und die "Überflüssigem Briefe" durch¬
blätternd, so angenehm berührt wurden in Erinnerung an das herzliche Lachen bei
der ersten Lektüre vor Jahren, daß wir große Lust hüllen, diesen Aufsatz nicht
weiter zu schreiben. Wir sagten uns, das; es eine Undankbarkeit wäre, wenn
wir für den Genuß, den uns der amüsante, witzige Autor einst bereitet, ihm
vielleicht eine Kränkung zufügten. Aber -- ainioris ?l^to, irraZis .imie-ki. vöritg,".
Warum ist er sich nicht gleich geblieben? Warum hat er so edle Gaben nicht
immer in edlem Sinne gebraucht? Warum hat er sein Pfund vergraben?

Hatte der Leser in den ersten Schriften an vereinzelten Stellen innegehalten,
und sich gefragt, ob wirklich die höchsten ästhetischen Gesichtspunkte allein den
Autor zu seinen Angriffen auf die großen Herren der Literatur veranlaßten, so
bildete sich ihm aus deu spätern Schriften, als Lindau sich vorwiegend damit
ergötzte, unbekannte Leute ans Tageslicht zu zerren und öffeurlich lächerlich zu
macheu, als er ferner die Werke der Großen so sehr vorsichtig anfaßte, diesen
Herren gleichsam den Pelz wusch, ohne ihn naß zu macheu, eine andre An¬
schauung. Der Leser fragte sich, wie es komme, daß Herkules die nemeischen
Löwen ruhig gehen ließe und die Lämmer an des Baches Rand zerrisse.

Es lag die Vermutung nahe, Lindau habe zu Anfang den großen Gutzkow
nicht allein wegen seiner Sünden gegen den Geist der Dichtkunst, sondern viel¬
leicht mit zu dem Zwecke angegriffen, sich selber einen Namen zu machen. Er
.habe sich damals überlegt, daß es wenig nützen, daß es gar nicht auffallen
würde, wenn er ein kleines Haupt opferte, daß er nur dadurch in den Mund
der Leute kommen könne, das; er eines der größten zum Altar schleppe. Und
in Anbetracht der Bundesgenossenschaft, die der Angreifer bei allen Feinden
Gntztows finden mußte, namentlich in denjenigen Kreisen, welche Gutzkows ab¬
fällige Bemerkungen über die Juden übelgenommen, erschien das Wagnis nicht
allzu groß.

So gewann es den Anschein, als sei bei Lindau die Weltklugheit doch
größer als der Eifer für die gute Sache, als habe sein scharfer Verstand ihm
etwa folgende Rede gehalten: Paul, sei kein Narr! Sei vorsichtig, Paul! Du
wirst die Welt nicht ändern. Wenn du die Leute da anfassest, wo es ihnen
weh thut, so werden sie mit Steinen nach dir werfen. Das Leben ist so schon
sauer genug, und ein Mann, der selber sein Vergnügen haben will, muß sich
umsehen, daß er ander" nicht ans die Füße tritt. Die Leute sind doch zu dumm,


Paul Lindau.

Auch manche andre seiner frühern Arbeiten machten einen ähnlichen Ein¬
druck auf den unbefangenen Leser. Mit Vergnügen sah man den Namen Lindau
nu der Spitze kritischer Aufsätze und konnte i» der Regel darauf rechnen, das;
dieser wohlunterrichtete, feine und satirische Kopf durch die Entwicklung seiner
Ideen uus einen besonderen Genus; bereiten würde.

Ja wir müssen gestehen, daß wir soeben, die Feder beiseite legend und die
„Harmlosen Briefe," die „Litcrarischcn Rücksichtslosigkeiten," die „Gesammelten
Aufsätze," die „Dramaturgischen Blätter" und die „Überflüssigem Briefe" durch¬
blätternd, so angenehm berührt wurden in Erinnerung an das herzliche Lachen bei
der ersten Lektüre vor Jahren, daß wir große Lust hüllen, diesen Aufsatz nicht
weiter zu schreiben. Wir sagten uns, das; es eine Undankbarkeit wäre, wenn
wir für den Genuß, den uns der amüsante, witzige Autor einst bereitet, ihm
vielleicht eine Kränkung zufügten. Aber — ainioris ?l^to, irraZis .imie-ki. vöritg,«.
Warum ist er sich nicht gleich geblieben? Warum hat er so edle Gaben nicht
immer in edlem Sinne gebraucht? Warum hat er sein Pfund vergraben?

Hatte der Leser in den ersten Schriften an vereinzelten Stellen innegehalten,
und sich gefragt, ob wirklich die höchsten ästhetischen Gesichtspunkte allein den
Autor zu seinen Angriffen auf die großen Herren der Literatur veranlaßten, so
bildete sich ihm aus deu spätern Schriften, als Lindau sich vorwiegend damit
ergötzte, unbekannte Leute ans Tageslicht zu zerren und öffeurlich lächerlich zu
macheu, als er ferner die Werke der Großen so sehr vorsichtig anfaßte, diesen
Herren gleichsam den Pelz wusch, ohne ihn naß zu macheu, eine andre An¬
schauung. Der Leser fragte sich, wie es komme, daß Herkules die nemeischen
Löwen ruhig gehen ließe und die Lämmer an des Baches Rand zerrisse.

Es lag die Vermutung nahe, Lindau habe zu Anfang den großen Gutzkow
nicht allein wegen seiner Sünden gegen den Geist der Dichtkunst, sondern viel¬
leicht mit zu dem Zwecke angegriffen, sich selber einen Namen zu machen. Er
.habe sich damals überlegt, daß es wenig nützen, daß es gar nicht auffallen
würde, wenn er ein kleines Haupt opferte, daß er nur dadurch in den Mund
der Leute kommen könne, das; er eines der größten zum Altar schleppe. Und
in Anbetracht der Bundesgenossenschaft, die der Angreifer bei allen Feinden
Gntztows finden mußte, namentlich in denjenigen Kreisen, welche Gutzkows ab¬
fällige Bemerkungen über die Juden übelgenommen, erschien das Wagnis nicht
allzu groß.

So gewann es den Anschein, als sei bei Lindau die Weltklugheit doch
größer als der Eifer für die gute Sache, als habe sein scharfer Verstand ihm
etwa folgende Rede gehalten: Paul, sei kein Narr! Sei vorsichtig, Paul! Du
wirst die Welt nicht ändern. Wenn du die Leute da anfassest, wo es ihnen
weh thut, so werden sie mit Steinen nach dir werfen. Das Leben ist so schon
sauer genug, und ein Mann, der selber sein Vergnügen haben will, muß sich
umsehen, daß er ander» nicht ans die Füße tritt. Die Leute sind doch zu dumm,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86257"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Lindau.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Auch manche andre seiner frühern Arbeiten machten einen ähnlichen Ein¬<lb/>
druck auf den unbefangenen Leser. Mit Vergnügen sah man den Namen Lindau<lb/>
nu der Spitze kritischer Aufsätze und konnte i» der Regel darauf rechnen, das;<lb/>
dieser wohlunterrichtete, feine und satirische Kopf durch die Entwicklung seiner<lb/>
Ideen uus einen besonderen Genus; bereiten würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517"> Ja wir müssen gestehen, daß wir soeben, die Feder beiseite legend und die<lb/>
&#x201E;Harmlosen Briefe," die &#x201E;Litcrarischcn Rücksichtslosigkeiten," die &#x201E;Gesammelten<lb/>
Aufsätze," die &#x201E;Dramaturgischen Blätter" und die &#x201E;Überflüssigem Briefe" durch¬<lb/>
blätternd, so angenehm berührt wurden in Erinnerung an das herzliche Lachen bei<lb/>
der ersten Lektüre vor Jahren, daß wir große Lust hüllen, diesen Aufsatz nicht<lb/>
weiter zu schreiben. Wir sagten uns, das; es eine Undankbarkeit wäre, wenn<lb/>
wir für den Genuß, den uns der amüsante, witzige Autor einst bereitet, ihm<lb/>
vielleicht eine Kränkung zufügten. Aber &#x2014; ainioris ?l^to, irraZis .imie-ki. vöritg,«.<lb/>
Warum ist er sich nicht gleich geblieben? Warum hat er so edle Gaben nicht<lb/>
immer in edlem Sinne gebraucht? Warum hat er sein Pfund vergraben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518"> Hatte der Leser in den ersten Schriften an vereinzelten Stellen innegehalten,<lb/>
und sich gefragt, ob wirklich die höchsten ästhetischen Gesichtspunkte allein den<lb/>
Autor zu seinen Angriffen auf die großen Herren der Literatur veranlaßten, so<lb/>
bildete sich ihm aus deu spätern Schriften, als Lindau sich vorwiegend damit<lb/>
ergötzte, unbekannte Leute ans Tageslicht zu zerren und öffeurlich lächerlich zu<lb/>
macheu, als er ferner die Werke der Großen so sehr vorsichtig anfaßte, diesen<lb/>
Herren gleichsam den Pelz wusch, ohne ihn naß zu macheu, eine andre An¬<lb/>
schauung. Der Leser fragte sich, wie es komme, daß Herkules die nemeischen<lb/>
Löwen ruhig gehen ließe und die Lämmer an des Baches Rand zerrisse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_519"> Es lag die Vermutung nahe, Lindau habe zu Anfang den großen Gutzkow<lb/>
nicht allein wegen seiner Sünden gegen den Geist der Dichtkunst, sondern viel¬<lb/>
leicht mit zu dem Zwecke angegriffen, sich selber einen Namen zu machen. Er<lb/>
.habe sich damals überlegt, daß es wenig nützen, daß es gar nicht auffallen<lb/>
würde, wenn er ein kleines Haupt opferte, daß er nur dadurch in den Mund<lb/>
der Leute kommen könne, das; er eines der größten zum Altar schleppe. Und<lb/>
in Anbetracht der Bundesgenossenschaft, die der Angreifer bei allen Feinden<lb/>
Gntztows finden mußte, namentlich in denjenigen Kreisen, welche Gutzkows ab¬<lb/>
fällige Bemerkungen über die Juden übelgenommen, erschien das Wagnis nicht<lb/>
allzu groß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_520" next="#ID_521"> So gewann es den Anschein, als sei bei Lindau die Weltklugheit doch<lb/>
größer als der Eifer für die gute Sache, als habe sein scharfer Verstand ihm<lb/>
etwa folgende Rede gehalten: Paul, sei kein Narr! Sei vorsichtig, Paul! Du<lb/>
wirst die Welt nicht ändern. Wenn du die Leute da anfassest, wo es ihnen<lb/>
weh thut, so werden sie mit Steinen nach dir werfen. Das Leben ist so schon<lb/>
sauer genug, und ein Mann, der selber sein Vergnügen haben will, muß sich<lb/>
umsehen, daß er ander» nicht ans die Füße tritt. Die Leute sind doch zu dumm,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Paul Lindau. Auch manche andre seiner frühern Arbeiten machten einen ähnlichen Ein¬ druck auf den unbefangenen Leser. Mit Vergnügen sah man den Namen Lindau nu der Spitze kritischer Aufsätze und konnte i» der Regel darauf rechnen, das; dieser wohlunterrichtete, feine und satirische Kopf durch die Entwicklung seiner Ideen uus einen besonderen Genus; bereiten würde. Ja wir müssen gestehen, daß wir soeben, die Feder beiseite legend und die „Harmlosen Briefe," die „Litcrarischcn Rücksichtslosigkeiten," die „Gesammelten Aufsätze," die „Dramaturgischen Blätter" und die „Überflüssigem Briefe" durch¬ blätternd, so angenehm berührt wurden in Erinnerung an das herzliche Lachen bei der ersten Lektüre vor Jahren, daß wir große Lust hüllen, diesen Aufsatz nicht weiter zu schreiben. Wir sagten uns, das; es eine Undankbarkeit wäre, wenn wir für den Genuß, den uns der amüsante, witzige Autor einst bereitet, ihm vielleicht eine Kränkung zufügten. Aber — ainioris ?l^to, irraZis .imie-ki. vöritg,«. Warum ist er sich nicht gleich geblieben? Warum hat er so edle Gaben nicht immer in edlem Sinne gebraucht? Warum hat er sein Pfund vergraben? Hatte der Leser in den ersten Schriften an vereinzelten Stellen innegehalten, und sich gefragt, ob wirklich die höchsten ästhetischen Gesichtspunkte allein den Autor zu seinen Angriffen auf die großen Herren der Literatur veranlaßten, so bildete sich ihm aus deu spätern Schriften, als Lindau sich vorwiegend damit ergötzte, unbekannte Leute ans Tageslicht zu zerren und öffeurlich lächerlich zu macheu, als er ferner die Werke der Großen so sehr vorsichtig anfaßte, diesen Herren gleichsam den Pelz wusch, ohne ihn naß zu macheu, eine andre An¬ schauung. Der Leser fragte sich, wie es komme, daß Herkules die nemeischen Löwen ruhig gehen ließe und die Lämmer an des Baches Rand zerrisse. Es lag die Vermutung nahe, Lindau habe zu Anfang den großen Gutzkow nicht allein wegen seiner Sünden gegen den Geist der Dichtkunst, sondern viel¬ leicht mit zu dem Zwecke angegriffen, sich selber einen Namen zu machen. Er .habe sich damals überlegt, daß es wenig nützen, daß es gar nicht auffallen würde, wenn er ein kleines Haupt opferte, daß er nur dadurch in den Mund der Leute kommen könne, das; er eines der größten zum Altar schleppe. Und in Anbetracht der Bundesgenossenschaft, die der Angreifer bei allen Feinden Gntztows finden mußte, namentlich in denjenigen Kreisen, welche Gutzkows ab¬ fällige Bemerkungen über die Juden übelgenommen, erschien das Wagnis nicht allzu groß. So gewann es den Anschein, als sei bei Lindau die Weltklugheit doch größer als der Eifer für die gute Sache, als habe sein scharfer Verstand ihm etwa folgende Rede gehalten: Paul, sei kein Narr! Sei vorsichtig, Paul! Du wirst die Welt nicht ändern. Wenn du die Leute da anfassest, wo es ihnen weh thut, so werden sie mit Steinen nach dir werfen. Das Leben ist so schon sauer genug, und ein Mann, der selber sein Vergnügen haben will, muß sich umsehen, daß er ander» nicht ans die Füße tritt. Die Leute sind doch zu dumm,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/136>, abgerufen am 23.07.2024.