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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

Maria jeder Schandthat für fähig hielt, weil sie katholisch war, und weil seiner
strengen puritanischen Denkungsart das lustige Treiben an dem Hofe der jugend¬
lichen Königin als der Greuel des Satans erschien, und daß er den Gläubigen
bei jeder Gelegenheit die Strafe des Himmels verkündete. Thöricht wäre es
also von, Knox ein unparteiisches Urteil über die Königin zu erwarten.

An zweiter Stelle kommen zur Beurteilung der Frage nach der Schuld
Marias die Memoiren von James Melon in Betracht. Melon war Protestant
und Parteigänger Murrays. und so kann schon um deswillen von ihm ein un¬
parteiischer Bericht nicht erwartet werden. Er schrieb aber überdies erst im
hohen Alter, und zu einer Zeit, da sein Gedächtnis schon ermattet war. In
der That weist Bekker an einzelnen, und zwar sehr wichtigen Punkten nach, daß
Melvils Darstellung arge Unrichtigkeiten enthält, so daß bei Benutzung seiner
Memoiren Vorsicht geraten erscheint.

Noch wertloser ist die Erzählung eines der bekanntesten und berühmtesten
Geschichtschreibers des 16. Jahrhunderts, des Franzosen Thuanus. Dieser hat,
wo er von der Königin Maria handelt, die lisrum LoottioiU'um Historis,, wie
Better beweist, meist wörtlich abgeschrieben. Ähnliches gilt von den Darstel¬
lungen Spottiswoodes und Calderwoods. Beide, Verfasser von Geschichten der
schottischen Kirche, waren an sich schon als presbyterianische Geistliche geneigt,
jedem Gerücht, das auf Marias Namen einen Schatten werfen konnte, Glauben
zu schenken, hatten aber überdies noch Buchanan als Vorbild vor Augen.

So sind also die Werke George Buchancins der Ausgangspunkt aller jener
falschen Anschauungen über die Königin Maria geworden, und diese Anschauungen,
wenngleich im einzelnen bedeutend gemildert, sind im großen und ganzen die
herrschenden geblieben bis auf den heutigen Tag. Ans Buchanan stützen sich
alle modernen Verurtciler der Königin, darunter Laing, Mignet, Fronde, Burton
und noch zuletzt die neueste deutsche Arbeit über Maria Stuart von Arnold
Gädeke. Die Kritik wird also zuerst bei der on-wotio einzusetzen haben, dem
Grundstein der ganzen Frage. Lassen sich die Angaben jener Anklageschrift er¬
schüttern, so fallen auch die Briefe Marias an Bvthwell und fällt auch die
Schuld der Königin an der Ermordung ihres Gemahls. Denn bestand kein
unerlaubtes Verhältnis zwischen der Königin und dem Grafen Bothwell, so
hatte sie mich keinen Anteil an dem tragischen Ende Darnleys.

Mit großem Fleiß und Scharfsinn sucht nun Bekker den Bericht Buchanans,
gestützt einzig und allein auf zuverlässige Quelle", zu widerlegen. Die wich¬
tigsten Punkte sind folgende.

Zunächst ist erlogen, daß Maria, seitdem sie den Beweis in den Händen
hatte, daß Dnrnley an der Ermordung Riccios teilgenommen, gegen ihren Gatten
einen Absehen gefaßt, welcher sich bald in den tödlichsten Haß verwandelt und
schließlich den Anlaß zur Ermordung des Königs gegeben habe. Vielmehr liegen
positive Beweise vor, daß Marin, in deren Natur es überhaupt nicht lag, lange


Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

Maria jeder Schandthat für fähig hielt, weil sie katholisch war, und weil seiner
strengen puritanischen Denkungsart das lustige Treiben an dem Hofe der jugend¬
lichen Königin als der Greuel des Satans erschien, und daß er den Gläubigen
bei jeder Gelegenheit die Strafe des Himmels verkündete. Thöricht wäre es
also von, Knox ein unparteiisches Urteil über die Königin zu erwarten.

An zweiter Stelle kommen zur Beurteilung der Frage nach der Schuld
Marias die Memoiren von James Melon in Betracht. Melon war Protestant
und Parteigänger Murrays. und so kann schon um deswillen von ihm ein un¬
parteiischer Bericht nicht erwartet werden. Er schrieb aber überdies erst im
hohen Alter, und zu einer Zeit, da sein Gedächtnis schon ermattet war. In
der That weist Bekker an einzelnen, und zwar sehr wichtigen Punkten nach, daß
Melvils Darstellung arge Unrichtigkeiten enthält, so daß bei Benutzung seiner
Memoiren Vorsicht geraten erscheint.

Noch wertloser ist die Erzählung eines der bekanntesten und berühmtesten
Geschichtschreibers des 16. Jahrhunderts, des Franzosen Thuanus. Dieser hat,
wo er von der Königin Maria handelt, die lisrum LoottioiU'um Historis,, wie
Better beweist, meist wörtlich abgeschrieben. Ähnliches gilt von den Darstel¬
lungen Spottiswoodes und Calderwoods. Beide, Verfasser von Geschichten der
schottischen Kirche, waren an sich schon als presbyterianische Geistliche geneigt,
jedem Gerücht, das auf Marias Namen einen Schatten werfen konnte, Glauben
zu schenken, hatten aber überdies noch Buchanan als Vorbild vor Augen.

So sind also die Werke George Buchancins der Ausgangspunkt aller jener
falschen Anschauungen über die Königin Maria geworden, und diese Anschauungen,
wenngleich im einzelnen bedeutend gemildert, sind im großen und ganzen die
herrschenden geblieben bis auf den heutigen Tag. Ans Buchanan stützen sich
alle modernen Verurtciler der Königin, darunter Laing, Mignet, Fronde, Burton
und noch zuletzt die neueste deutsche Arbeit über Maria Stuart von Arnold
Gädeke. Die Kritik wird also zuerst bei der on-wotio einzusetzen haben, dem
Grundstein der ganzen Frage. Lassen sich die Angaben jener Anklageschrift er¬
schüttern, so fallen auch die Briefe Marias an Bvthwell und fällt auch die
Schuld der Königin an der Ermordung ihres Gemahls. Denn bestand kein
unerlaubtes Verhältnis zwischen der Königin und dem Grafen Bothwell, so
hatte sie mich keinen Anteil an dem tragischen Ende Darnleys.

Mit großem Fleiß und Scharfsinn sucht nun Bekker den Bericht Buchanans,
gestützt einzig und allein auf zuverlässige Quelle», zu widerlegen. Die wich¬
tigsten Punkte sind folgende.

Zunächst ist erlogen, daß Maria, seitdem sie den Beweis in den Händen
hatte, daß Dnrnley an der Ermordung Riccios teilgenommen, gegen ihren Gatten
einen Absehen gefaßt, welcher sich bald in den tödlichsten Haß verwandelt und
schließlich den Anlaß zur Ermordung des Königs gegeben habe. Vielmehr liegen
positive Beweise vor, daß Marin, in deren Natur es überhaupt nicht lag, lange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/130>, abgerufen am 22.07.2024.