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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Pmnslamismiis.

Tripolis zu zittern. Jene Niederlage in der Person eines Stellvertreters der
Macht des Sultans war um so schmerzlicher, als sie Folge der beispiellosen
Thatsache war, das ein dem Islam angehöriges Land und Volk sich so gut
wie ohne Kampf in sein Schicksal ergeben hatte. Unter den Mohammedanern
fallen Theologie und Jurisprudenz praktisch zusammen, und beide haben stets
den Satz anerkannt, daß durch Siege gewonnene Rechte durch Niederlagen ver¬
loren werden tonnen, sie wissen sich vor Schicksalsgcboten zu beugen, die mit
dem Schwerte geschrieben werden. Aber ein Sultan, der vor einem Feldzuge auf
dem Papier zurücktrat, nahm unter den Rechtgläubigen eine bedenkliche Position el",
und als die Hauptstadt Tunis und das heilige Kerwan ohne Widerstand vor den Ba¬
taillonen und Kanonen der Gianrs seine Thore öffneten, wurde die Lage noch
gefährlicher. Dies muß in Konstaniinopel besonders schwer empfunden worden
sein, da man seit der Unterzeichnung des Berliner Vertrages sich mit allein
Eifer bemüht hatte, den Einfluß des Sultans als des Kalifen, d. h. in seiner
Eigenschaft als geistliches Haupt der Muslime, als Nachfolger des Propheten
zu vertiefen und auszubreiten -- ein Bemühen, welches an das der Ultramon-
tanen erinnert, nach Verlust der weltlichen Herrschaft des Papstes Ersatz in
Vertiefung und Ausdehnung der Autorität desselben als Herrschers über die
katholischen Seelen zu suchen. Dieses Predigen des Panislamismus bringt die
Türkei unmittelbarer mit Frankreich in Widerstreit als'mit irgend einer andern
Großmacht. Der Fanatismus der Muslime ist aber immer noch eine gewisse
Macht, mit der Frankreich in Algerien zu rechnen hat, und er wird durch jedes
Feuer genährt, das in Tunis und Tripolis aufgeht. Sollte es zu offenem Feind¬
seligkeiten zwischen Frankreich und der Türkei kommen, so würde das den Sultan
nötigen, den Krieg nach Nordafrika zu tragen, und dieser würde die Verwendung
eines sehr erheblichen Teiles der französischen Armee in diesen Gegenden be¬
anspruchen.

So weit läßt sich gegen die Gedanken, welche die panislamitische Politik
der Pforte in der englischen Presse und einem Teile der deutschen hervorgerufen
hat, nichts einwenden. Dagegen müssen, wir ganz entschieden Verwahrung ein¬
legen, wenn man etwa folgendermaßen weitere Schlüsse gezogen hat. Man er¬
innert sich, wie Italien 1865 Preußen seine Allianz gegen Österreich anbot.
Der Sultan spielt jetzt eine ähnliche Rolle, indem er in Berlin Anerbietungen
macht, die praktisch darauf hinauslaufen: Wenn ihr Deutschen gezwungen sein
solltet, die Franzosen in Europa zu bekämpfen, so könnten wir sie in Afrika
angreifen. Dies ist weder wahr noch gut erfunden, und dasselbe gilt,
wenn man fortfährt, es passe Deutschland, wenn die Welt wisse, es gebiete über
die Kräfte eines Verbündeten, dessen Dienste sicher als nützliche Diversion wirken
würden, und die Entferntheit der Wirkungssphäre desselben werde die Allianz
erleichtern. Richtiger würde, wenn eine Annäherung wie die obige überhaupt
stattgefunden hätte -- was wir auf gute Gründe hin für unmöglich halten --


Pmnslamismiis.

Tripolis zu zittern. Jene Niederlage in der Person eines Stellvertreters der
Macht des Sultans war um so schmerzlicher, als sie Folge der beispiellosen
Thatsache war, das ein dem Islam angehöriges Land und Volk sich so gut
wie ohne Kampf in sein Schicksal ergeben hatte. Unter den Mohammedanern
fallen Theologie und Jurisprudenz praktisch zusammen, und beide haben stets
den Satz anerkannt, daß durch Siege gewonnene Rechte durch Niederlagen ver¬
loren werden tonnen, sie wissen sich vor Schicksalsgcboten zu beugen, die mit
dem Schwerte geschrieben werden. Aber ein Sultan, der vor einem Feldzuge auf
dem Papier zurücktrat, nahm unter den Rechtgläubigen eine bedenkliche Position el»,
und als die Hauptstadt Tunis und das heilige Kerwan ohne Widerstand vor den Ba¬
taillonen und Kanonen der Gianrs seine Thore öffneten, wurde die Lage noch
gefährlicher. Dies muß in Konstaniinopel besonders schwer empfunden worden
sein, da man seit der Unterzeichnung des Berliner Vertrages sich mit allein
Eifer bemüht hatte, den Einfluß des Sultans als des Kalifen, d. h. in seiner
Eigenschaft als geistliches Haupt der Muslime, als Nachfolger des Propheten
zu vertiefen und auszubreiten — ein Bemühen, welches an das der Ultramon-
tanen erinnert, nach Verlust der weltlichen Herrschaft des Papstes Ersatz in
Vertiefung und Ausdehnung der Autorität desselben als Herrschers über die
katholischen Seelen zu suchen. Dieses Predigen des Panislamismus bringt die
Türkei unmittelbarer mit Frankreich in Widerstreit als'mit irgend einer andern
Großmacht. Der Fanatismus der Muslime ist aber immer noch eine gewisse
Macht, mit der Frankreich in Algerien zu rechnen hat, und er wird durch jedes
Feuer genährt, das in Tunis und Tripolis aufgeht. Sollte es zu offenem Feind¬
seligkeiten zwischen Frankreich und der Türkei kommen, so würde das den Sultan
nötigen, den Krieg nach Nordafrika zu tragen, und dieser würde die Verwendung
eines sehr erheblichen Teiles der französischen Armee in diesen Gegenden be¬
anspruchen.

So weit läßt sich gegen die Gedanken, welche die panislamitische Politik
der Pforte in der englischen Presse und einem Teile der deutschen hervorgerufen
hat, nichts einwenden. Dagegen müssen, wir ganz entschieden Verwahrung ein¬
legen, wenn man etwa folgendermaßen weitere Schlüsse gezogen hat. Man er¬
innert sich, wie Italien 1865 Preußen seine Allianz gegen Österreich anbot.
Der Sultan spielt jetzt eine ähnliche Rolle, indem er in Berlin Anerbietungen
macht, die praktisch darauf hinauslaufen: Wenn ihr Deutschen gezwungen sein
solltet, die Franzosen in Europa zu bekämpfen, so könnten wir sie in Afrika
angreifen. Dies ist weder wahr noch gut erfunden, und dasselbe gilt,
wenn man fortfährt, es passe Deutschland, wenn die Welt wisse, es gebiete über
die Kräfte eines Verbündeten, dessen Dienste sicher als nützliche Diversion wirken
würden, und die Entferntheit der Wirkungssphäre desselben werde die Allianz
erleichtern. Richtiger würde, wenn eine Annäherung wie die obige überhaupt
stattgefunden hätte — was wir auf gute Gründe hin für unmöglich halten —


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[0115] Pmnslamismiis. Tripolis zu zittern. Jene Niederlage in der Person eines Stellvertreters der Macht des Sultans war um so schmerzlicher, als sie Folge der beispiellosen Thatsache war, das ein dem Islam angehöriges Land und Volk sich so gut wie ohne Kampf in sein Schicksal ergeben hatte. Unter den Mohammedanern fallen Theologie und Jurisprudenz praktisch zusammen, und beide haben stets den Satz anerkannt, daß durch Siege gewonnene Rechte durch Niederlagen ver¬ loren werden tonnen, sie wissen sich vor Schicksalsgcboten zu beugen, die mit dem Schwerte geschrieben werden. Aber ein Sultan, der vor einem Feldzuge auf dem Papier zurücktrat, nahm unter den Rechtgläubigen eine bedenkliche Position el», und als die Hauptstadt Tunis und das heilige Kerwan ohne Widerstand vor den Ba¬ taillonen und Kanonen der Gianrs seine Thore öffneten, wurde die Lage noch gefährlicher. Dies muß in Konstaniinopel besonders schwer empfunden worden sein, da man seit der Unterzeichnung des Berliner Vertrages sich mit allein Eifer bemüht hatte, den Einfluß des Sultans als des Kalifen, d. h. in seiner Eigenschaft als geistliches Haupt der Muslime, als Nachfolger des Propheten zu vertiefen und auszubreiten — ein Bemühen, welches an das der Ultramon- tanen erinnert, nach Verlust der weltlichen Herrschaft des Papstes Ersatz in Vertiefung und Ausdehnung der Autorität desselben als Herrschers über die katholischen Seelen zu suchen. Dieses Predigen des Panislamismus bringt die Türkei unmittelbarer mit Frankreich in Widerstreit als'mit irgend einer andern Großmacht. Der Fanatismus der Muslime ist aber immer noch eine gewisse Macht, mit der Frankreich in Algerien zu rechnen hat, und er wird durch jedes Feuer genährt, das in Tunis und Tripolis aufgeht. Sollte es zu offenem Feind¬ seligkeiten zwischen Frankreich und der Türkei kommen, so würde das den Sultan nötigen, den Krieg nach Nordafrika zu tragen, und dieser würde die Verwendung eines sehr erheblichen Teiles der französischen Armee in diesen Gegenden be¬ anspruchen. So weit läßt sich gegen die Gedanken, welche die panislamitische Politik der Pforte in der englischen Presse und einem Teile der deutschen hervorgerufen hat, nichts einwenden. Dagegen müssen, wir ganz entschieden Verwahrung ein¬ legen, wenn man etwa folgendermaßen weitere Schlüsse gezogen hat. Man er¬ innert sich, wie Italien 1865 Preußen seine Allianz gegen Österreich anbot. Der Sultan spielt jetzt eine ähnliche Rolle, indem er in Berlin Anerbietungen macht, die praktisch darauf hinauslaufen: Wenn ihr Deutschen gezwungen sein solltet, die Franzosen in Europa zu bekämpfen, so könnten wir sie in Afrika angreifen. Dies ist weder wahr noch gut erfunden, und dasselbe gilt, wenn man fortfährt, es passe Deutschland, wenn die Welt wisse, es gebiete über die Kräfte eines Verbündeten, dessen Dienste sicher als nützliche Diversion wirken würden, und die Entferntheit der Wirkungssphäre desselben werde die Allianz erleichtern. Richtiger würde, wenn eine Annäherung wie die obige überhaupt stattgefunden hätte — was wir auf gute Gründe hin für unmöglich halten —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/115>, abgerufen am 29.09.2024.