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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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panislamismus.

reißig, vielleicht vierzig Jahre noch, und es wird im Morgenlande
ein großer Umschwung der Dinge stattfinden. Dann werden die
Moskof kommen und Stambul einnehmen, und der Padischa wird
mit dem ganzen Volke der Rechtgläubigen das Land am Bosporus
verlassen und zurückkehren uach Kcchira, der Kalifenstadt am
Nil, wo seine Vorfahren gesessen in alter Zeit. Von dort her wird mit Hilfe
der Engländer, welche den Islam annehmen, Spanien der Religion des Propheten
wieder erobert werden. Man wird den Schlüssel zu den in der großen Pyramide
liegenden Schützen Salomos, des Königs der Geister, aus dem Nil, in den er
einst versenkt worden, herausfischen, und für die mohammedanische Welt wird
eine neue Periode des Ruhmes und des Reichtums beginnen.

So ungefähr stellte sich vor einigen Jahrzehnten der Glaube des niedern
Volkes in Ägypten die Zukunft vor, nachdem es wieder einige Decennien früher,
nach Mehemed Alis Siegen über den Sultan, gehofft, der Schwerpunkt des
Islam werde am Goldner Horn verbleiben, aber das in Ägypten mächtig ge¬
wordene Fürstengeschlecht werde das Kalifat an sich reißen. Mehemed Alis
Nachkommen hatten nicht den Geist ihres Ahnherrn, die Moskowiter kamen im
letzten Kriege bis vor Stambul, und wenn der Padischa Europa noch nicht ver¬
lassen hat, so war es nicht die Stärke der Türken, die ihm das Bleiben erlaubte.

Was das niedere Volk dunkel und phantastisch ahnte, ist Überzeugung der
weiterblickenden Bekenner des Islam, und daraus hat sich in der letzten Zeit
das Bestreben entwickelt, die locker gewordene Verbindung der einzelnen Glieder
dieses Glaubens wieder fester zusammen zu schließen und den alten Zustand,
wo der Sultan von Stmubul als Nachfolger der Kalifen über die Kräfte der
ganzen mohammedanischen Welt Westasiens und Nordafrikas bis nach Marokko


Grmzbow, I. 183S. 14


panislamismus.

reißig, vielleicht vierzig Jahre noch, und es wird im Morgenlande
ein großer Umschwung der Dinge stattfinden. Dann werden die
Moskof kommen und Stambul einnehmen, und der Padischa wird
mit dem ganzen Volke der Rechtgläubigen das Land am Bosporus
verlassen und zurückkehren uach Kcchira, der Kalifenstadt am
Nil, wo seine Vorfahren gesessen in alter Zeit. Von dort her wird mit Hilfe
der Engländer, welche den Islam annehmen, Spanien der Religion des Propheten
wieder erobert werden. Man wird den Schlüssel zu den in der großen Pyramide
liegenden Schützen Salomos, des Königs der Geister, aus dem Nil, in den er
einst versenkt worden, herausfischen, und für die mohammedanische Welt wird
eine neue Periode des Ruhmes und des Reichtums beginnen.

So ungefähr stellte sich vor einigen Jahrzehnten der Glaube des niedern
Volkes in Ägypten die Zukunft vor, nachdem es wieder einige Decennien früher,
nach Mehemed Alis Siegen über den Sultan, gehofft, der Schwerpunkt des
Islam werde am Goldner Horn verbleiben, aber das in Ägypten mächtig ge¬
wordene Fürstengeschlecht werde das Kalifat an sich reißen. Mehemed Alis
Nachkommen hatten nicht den Geist ihres Ahnherrn, die Moskowiter kamen im
letzten Kriege bis vor Stambul, und wenn der Padischa Europa noch nicht ver¬
lassen hat, so war es nicht die Stärke der Türken, die ihm das Bleiben erlaubte.

Was das niedere Volk dunkel und phantastisch ahnte, ist Überzeugung der
weiterblickenden Bekenner des Islam, und daraus hat sich in der letzten Zeit
das Bestreben entwickelt, die locker gewordene Verbindung der einzelnen Glieder
dieses Glaubens wieder fester zusammen zu schließen und den alten Zustand,
wo der Sultan von Stmubul als Nachfolger der Kalifen über die Kräfte der
ganzen mohammedanischen Welt Westasiens und Nordafrikas bis nach Marokko


Grmzbow, I. 183S. 14
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[0113] [Abbildung] panislamismus. reißig, vielleicht vierzig Jahre noch, und es wird im Morgenlande ein großer Umschwung der Dinge stattfinden. Dann werden die Moskof kommen und Stambul einnehmen, und der Padischa wird mit dem ganzen Volke der Rechtgläubigen das Land am Bosporus verlassen und zurückkehren uach Kcchira, der Kalifenstadt am Nil, wo seine Vorfahren gesessen in alter Zeit. Von dort her wird mit Hilfe der Engländer, welche den Islam annehmen, Spanien der Religion des Propheten wieder erobert werden. Man wird den Schlüssel zu den in der großen Pyramide liegenden Schützen Salomos, des Königs der Geister, aus dem Nil, in den er einst versenkt worden, herausfischen, und für die mohammedanische Welt wird eine neue Periode des Ruhmes und des Reichtums beginnen. So ungefähr stellte sich vor einigen Jahrzehnten der Glaube des niedern Volkes in Ägypten die Zukunft vor, nachdem es wieder einige Decennien früher, nach Mehemed Alis Siegen über den Sultan, gehofft, der Schwerpunkt des Islam werde am Goldner Horn verbleiben, aber das in Ägypten mächtig ge¬ wordene Fürstengeschlecht werde das Kalifat an sich reißen. Mehemed Alis Nachkommen hatten nicht den Geist ihres Ahnherrn, die Moskowiter kamen im letzten Kriege bis vor Stambul, und wenn der Padischa Europa noch nicht ver¬ lassen hat, so war es nicht die Stärke der Türken, die ihm das Bleiben erlaubte. Was das niedere Volk dunkel und phantastisch ahnte, ist Überzeugung der weiterblickenden Bekenner des Islam, und daraus hat sich in der letzten Zeit das Bestreben entwickelt, die locker gewordene Verbindung der einzelnen Glieder dieses Glaubens wieder fester zusammen zu schließen und den alten Zustand, wo der Sultan von Stmubul als Nachfolger der Kalifen über die Kräfte der ganzen mohammedanischen Welt Westasiens und Nordafrikas bis nach Marokko Grmzbow, I. 183S. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/113>, abgerufen am 05.02.2025.