Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.den der inner- und außerpolitischen Beziehungen, an feiner Gliederung der Stände Du meinst also wohl, wie unsre Zeit hoch über der Vergangenheit stehe, Ganz recht. Wenigstens insofern, als zu einer Beurteilung und Lenkung Wenn also nun der Freiherr vom Stein oder Washington wieder zum Leben In Wirklichkeit würden sie das, obwohl es ja hergebracht ist, diese Größen Daran handelst du allerdings klug, wie in allen Dingen. Aber ich selbst Du hast doch eine merkwürdige Passion, das tägliche, praktische Leben ge¬ Ja, entgegnete Dr. Stcihlhardt, da bist du freilich ein andrer Mann, und den der inner- und außerpolitischen Beziehungen, an feiner Gliederung der Stände Du meinst also wohl, wie unsre Zeit hoch über der Vergangenheit stehe, Ganz recht. Wenigstens insofern, als zu einer Beurteilung und Lenkung Wenn also nun der Freiherr vom Stein oder Washington wieder zum Leben In Wirklichkeit würden sie das, obwohl es ja hergebracht ist, diese Größen Daran handelst du allerdings klug, wie in allen Dingen. Aber ich selbst Du hast doch eine merkwürdige Passion, das tägliche, praktische Leben ge¬ Ja, entgegnete Dr. Stcihlhardt, da bist du freilich ein andrer Mann, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86231"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_418" prev="#ID_417"> den der inner- und außerpolitischen Beziehungen, an feiner Gliederung der Stände<lb/> und Parteien und Erhabenheit der herrschenden Ideen unvergleichlich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_419"> Du meinst also wohl, wie unsre Zeit hoch über der Vergangenheit stehe,<lb/> so stünden auch die Politiker der Gegenwart hoch über den Alten,</p><lb/> <p xml:id="ID_420"> Ganz recht. Wenigstens insofern, als zu einer Beurteilung und Lenkung<lb/> unsrer mehr entwickelten Zustände weit mehr Kenntnis, Erfahrung und Scharf¬<lb/> blick gehört, als in früherer Zeit für deu Politiker nötig war.</p><lb/> <p xml:id="ID_421"> Wenn also nun der Freiherr vom Stein oder Washington wieder zum Leben<lb/> erwachten, so würden sie wohl gegen euch eine lächerliche Figur spielen?</p><lb/> <p xml:id="ID_422"> In Wirklichkeit würden sie das, obwohl es ja hergebracht ist, diese Größen<lb/> der Geschichte als Vorbilder anzustaunen. Die Menschen lieben es eben, mit<lb/> der Vergangenheit einen frommen Kultus zu treiben, deshalb würde ich mich<lb/> auch wohl hüten, meine wahre Meinung öffentlich auszusprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_423"> Daran handelst du allerdings klug, wie in allen Dingen. Aber ich selbst<lb/> muß dir Recht geben, daß unsre Zeit darin einen Fortschritt gemacht hat, daß<lb/> es jetzt einem Gesetzgeber möglich ist, zugleich den Staat glücklich und sich selber<lb/> reich zu machen. Ich sehe es ja an deinen Freunden und Parteigenossen, sowie<lb/> an dir selbst. Ihr gebt die weisesten und besten Gesetze, und zwar in einer<lb/> Fülle, die früher ungeahnt war. Denke nur, wenn jetzt noch die Sitte herrschte,<lb/> Gesetze in Erz oder Marmor zu graben, wie es die Alten thaten, woher sollte<lb/> der Marmor kommen und wie oft müßte man die Erztafeln umschmelzen! Und<lb/> bei alledem kommt ihr in gute, einträgliche Stellungen, die es euch ermöglichen,<lb/> für die ungewisse Zukunft wie für das gewisse Alter ein hübsches Stück Geld<lb/> zurückzulegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_424"> Du hast doch eine merkwürdige Passion, das tägliche, praktische Leben ge¬<lb/> wissermaßen mit einer theoretischen Brühe zu übergießen. In seiner Realität<lb/> scheint es dir ganz ungenießbar zu sein. Es ist ein eigentümliches Vergnügen,<lb/> sich die natürlichen Ereignisse erst in eine bestimmte Schablone und Form der<lb/> Gelehrsamkeit zu pressen und nichts anzuerkennen, was uicht mit klassischem<lb/> Stempel als echt bezeichnet wurde. Wer Teufel denkt denn bei unsrer Politik<lb/> an Lykurg und Solon, die seit dreitausend Jahren tot sind? Gott habe sie selig!<lb/> Nun, wer dazu Lust hat, mag es ja thun. Ueber den Geschmack ist nicht zu<lb/> streiten. Nur wird derjenige es nie zu etwas bringen, dem der Gelehrte stets<lb/> in den Nacken schlägt. Aber, wie gesagt, eines schickt sich nicht für alle, sehe<lb/> jeder, wie ers treibe. Wir haben ja auch unter unser» Parlamentariern solche<lb/> Käuze, Männer, die in keiner Partei geschätzt werden, weil sie eben von ihrem<lb/> Steckenpferde nicht herunter können, Prinzipienreiter und Dvgniatiker.</p><lb/> <p xml:id="ID_425" next="#ID_426"> Ja, entgegnete Dr. Stcihlhardt, da bist du freilich ein andrer Mann, und<lb/> nicht zu deinem Schaden. Du hast bei Zeiten die Wahrheit erkannt, daß man<lb/> die Pferde auch wechseln kann und stets dasjenige reiten muß, welches am sichersten<lb/> zum Ziele führt, wenn anders man wirklich in diesen hochentwickelten Zeiten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
den der inner- und außerpolitischen Beziehungen, an feiner Gliederung der Stände
und Parteien und Erhabenheit der herrschenden Ideen unvergleichlich ist.
Du meinst also wohl, wie unsre Zeit hoch über der Vergangenheit stehe,
so stünden auch die Politiker der Gegenwart hoch über den Alten,
Ganz recht. Wenigstens insofern, als zu einer Beurteilung und Lenkung
unsrer mehr entwickelten Zustände weit mehr Kenntnis, Erfahrung und Scharf¬
blick gehört, als in früherer Zeit für deu Politiker nötig war.
Wenn also nun der Freiherr vom Stein oder Washington wieder zum Leben
erwachten, so würden sie wohl gegen euch eine lächerliche Figur spielen?
In Wirklichkeit würden sie das, obwohl es ja hergebracht ist, diese Größen
der Geschichte als Vorbilder anzustaunen. Die Menschen lieben es eben, mit
der Vergangenheit einen frommen Kultus zu treiben, deshalb würde ich mich
auch wohl hüten, meine wahre Meinung öffentlich auszusprechen.
Daran handelst du allerdings klug, wie in allen Dingen. Aber ich selbst
muß dir Recht geben, daß unsre Zeit darin einen Fortschritt gemacht hat, daß
es jetzt einem Gesetzgeber möglich ist, zugleich den Staat glücklich und sich selber
reich zu machen. Ich sehe es ja an deinen Freunden und Parteigenossen, sowie
an dir selbst. Ihr gebt die weisesten und besten Gesetze, und zwar in einer
Fülle, die früher ungeahnt war. Denke nur, wenn jetzt noch die Sitte herrschte,
Gesetze in Erz oder Marmor zu graben, wie es die Alten thaten, woher sollte
der Marmor kommen und wie oft müßte man die Erztafeln umschmelzen! Und
bei alledem kommt ihr in gute, einträgliche Stellungen, die es euch ermöglichen,
für die ungewisse Zukunft wie für das gewisse Alter ein hübsches Stück Geld
zurückzulegen.
Du hast doch eine merkwürdige Passion, das tägliche, praktische Leben ge¬
wissermaßen mit einer theoretischen Brühe zu übergießen. In seiner Realität
scheint es dir ganz ungenießbar zu sein. Es ist ein eigentümliches Vergnügen,
sich die natürlichen Ereignisse erst in eine bestimmte Schablone und Form der
Gelehrsamkeit zu pressen und nichts anzuerkennen, was uicht mit klassischem
Stempel als echt bezeichnet wurde. Wer Teufel denkt denn bei unsrer Politik
an Lykurg und Solon, die seit dreitausend Jahren tot sind? Gott habe sie selig!
Nun, wer dazu Lust hat, mag es ja thun. Ueber den Geschmack ist nicht zu
streiten. Nur wird derjenige es nie zu etwas bringen, dem der Gelehrte stets
in den Nacken schlägt. Aber, wie gesagt, eines schickt sich nicht für alle, sehe
jeder, wie ers treibe. Wir haben ja auch unter unser» Parlamentariern solche
Käuze, Männer, die in keiner Partei geschätzt werden, weil sie eben von ihrem
Steckenpferde nicht herunter können, Prinzipienreiter und Dvgniatiker.
Ja, entgegnete Dr. Stcihlhardt, da bist du freilich ein andrer Mann, und
nicht zu deinem Schaden. Du hast bei Zeiten die Wahrheit erkannt, daß man
die Pferde auch wechseln kann und stets dasjenige reiten muß, welches am sichersten
zum Ziele führt, wenn anders man wirklich in diesen hochentwickelten Zeiten
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