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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Kscherin von Malamocco.
Novelle von Adolf Stern.
(schiltst.)

le im Traum folgte Margherita ihreiu geistlichen Berater durch
einen dunkeln Kreuzgang, durch eine schmucklose Halle, deren offne
kreisrunde Fenster anf den breiten Kanal der Giudeeea hinaus-
gingen, und zuletzt einige Stufen hinab. In der Halle harrten'
eine ganze Anzahl von Menschen des Einlasses, die zitternde junge
Frau, die jetzt halb bewußtlos an Pater Girolamos Seite ging, unterschied
weder Gestalten noch Gesichter, aber an ihr Ohr schlugen deutsche Lante und
erhöhten die Erregung, mit der sie in die Zelle eintrat. Hier bot sich ihren
Augen nichts schreckhaftes dar: ein langer schmaler Raum, mit einer vergitterten
Luke, die nur spärliches Licht einließ, Fußboden, Wände und Decke von dem
gleichen granrötlichen Backstein, kein Gerät im ganzen Gemach als die steinerne
Bank an der Rückwand, neben der ein irduer Wasserkrug stand, auf der Bank
aber eine zusnmineugekrümmte Gestalt in der braunen, mit einem Strick gegürteten
Kutte der Minvritenbriider, ein Mann, von dem die Erhebende zunächst nichts
deutlich wahrnahm als das graue Haupthaar, das ihm wirr über die Stirne
fiel, und deu ergrauten Bart, der bis auf die Brust herabreichte. Nur allmählich
unterschied Margherita in dem fahlen, runzligen Gesicht des ans dem Steiubett
liegenden Mannes die dunkeln Angen, die so tief eingesunken waren und doch
mit unheimlichen Glänzen über die Zelle hinweg und durch die Mauern hin-
durchzublickcn schienen, die hohlen Wangen, die blutleeren Lippen, die sich bald
zuckend bewegten, bald krampfhaft schlössen, als sollten sie nie wieder geöffnet
werden. Sie schauerte vor dein Anblick, obschon ihr die Erscheinung des Büßers
völlig fremd war und sie umsonst im Gesicht des Elenden dort einen Zug des
Mannes zu erkennen suchte, dessen Bild unauslöschlich in ihrer Erinnerung stand.
Pater Girolamo hatte besorgt ihre Hand erfaßt, der Minoritenbruder, der an




Die Kscherin von Malamocco.
Novelle von Adolf Stern.
(schiltst.)

le im Traum folgte Margherita ihreiu geistlichen Berater durch
einen dunkeln Kreuzgang, durch eine schmucklose Halle, deren offne
kreisrunde Fenster anf den breiten Kanal der Giudeeea hinaus-
gingen, und zuletzt einige Stufen hinab. In der Halle harrten'
eine ganze Anzahl von Menschen des Einlasses, die zitternde junge
Frau, die jetzt halb bewußtlos an Pater Girolamos Seite ging, unterschied
weder Gestalten noch Gesichter, aber an ihr Ohr schlugen deutsche Lante und
erhöhten die Erregung, mit der sie in die Zelle eintrat. Hier bot sich ihren
Augen nichts schreckhaftes dar: ein langer schmaler Raum, mit einer vergitterten
Luke, die nur spärliches Licht einließ, Fußboden, Wände und Decke von dem
gleichen granrötlichen Backstein, kein Gerät im ganzen Gemach als die steinerne
Bank an der Rückwand, neben der ein irduer Wasserkrug stand, auf der Bank
aber eine zusnmineugekrümmte Gestalt in der braunen, mit einem Strick gegürteten
Kutte der Minvritenbriider, ein Mann, von dem die Erhebende zunächst nichts
deutlich wahrnahm als das graue Haupthaar, das ihm wirr über die Stirne
fiel, und deu ergrauten Bart, der bis auf die Brust herabreichte. Nur allmählich
unterschied Margherita in dem fahlen, runzligen Gesicht des ans dem Steiubett
liegenden Mannes die dunkeln Angen, die so tief eingesunken waren und doch
mit unheimlichen Glänzen über die Zelle hinweg und durch die Mauern hin-
durchzublickcn schienen, die hohlen Wangen, die blutleeren Lippen, die sich bald
zuckend bewegten, bald krampfhaft schlössen, als sollten sie nie wieder geöffnet
werden. Sie schauerte vor dein Anblick, obschon ihr die Erscheinung des Büßers
völlig fremd war und sie umsonst im Gesicht des Elenden dort einen Zug des
Mannes zu erkennen suchte, dessen Bild unauslöschlich in ihrer Erinnerung stand.
Pater Girolamo hatte besorgt ihre Hand erfaßt, der Minoritenbruder, der an


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[0671] [Abbildung] Die Kscherin von Malamocco. Novelle von Adolf Stern. (schiltst.) le im Traum folgte Margherita ihreiu geistlichen Berater durch einen dunkeln Kreuzgang, durch eine schmucklose Halle, deren offne kreisrunde Fenster anf den breiten Kanal der Giudeeea hinaus- gingen, und zuletzt einige Stufen hinab. In der Halle harrten' eine ganze Anzahl von Menschen des Einlasses, die zitternde junge Frau, die jetzt halb bewußtlos an Pater Girolamos Seite ging, unterschied weder Gestalten noch Gesichter, aber an ihr Ohr schlugen deutsche Lante und erhöhten die Erregung, mit der sie in die Zelle eintrat. Hier bot sich ihren Augen nichts schreckhaftes dar: ein langer schmaler Raum, mit einer vergitterten Luke, die nur spärliches Licht einließ, Fußboden, Wände und Decke von dem gleichen granrötlichen Backstein, kein Gerät im ganzen Gemach als die steinerne Bank an der Rückwand, neben der ein irduer Wasserkrug stand, auf der Bank aber eine zusnmineugekrümmte Gestalt in der braunen, mit einem Strick gegürteten Kutte der Minvritenbriider, ein Mann, von dem die Erhebende zunächst nichts deutlich wahrnahm als das graue Haupthaar, das ihm wirr über die Stirne fiel, und deu ergrauten Bart, der bis auf die Brust herabreichte. Nur allmählich unterschied Margherita in dem fahlen, runzligen Gesicht des ans dem Steiubett liegenden Mannes die dunkeln Angen, die so tief eingesunken waren und doch mit unheimlichen Glänzen über die Zelle hinweg und durch die Mauern hin- durchzublickcn schienen, die hohlen Wangen, die blutleeren Lippen, die sich bald zuckend bewegten, bald krampfhaft schlössen, als sollten sie nie wieder geöffnet werden. Sie schauerte vor dein Anblick, obschon ihr die Erscheinung des Büßers völlig fremd war und sie umsonst im Gesicht des Elenden dort einen Zug des Mannes zu erkennen suchte, dessen Bild unauslöschlich in ihrer Erinnerung stand. Pater Girolamo hatte besorgt ihre Hand erfaßt, der Minoritenbruder, der an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/671>, abgerufen am 22.07.2024.