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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Herr von Giers in Varzin.

as Ereignis der vorigen Woche war die Reise des russischen Mi¬
nisters der auswärtigen Angelegenheiten von Petersburg über
Berlin "ach Pisa und sein Abstecher nach Varzin, und nicht un¬
natürlich kann mau es finden, wenn der letztere die Geisteskräfte
der Staatsweisen, welche die europäische Presse mit Leitartikeln
und Korrespondenzen zu versehen haben, in ungewöhnlichem Grade in Anspruch
nahm und namentlich deren Spürsinn in Bewegung setzte. Aber freilich ist dabei
neben vielen wunderlichen Spekulationen und neben einigen handgreiflichen Ab¬
geschmacktheiten nicht eben viel herausgekommen, was sich hören läßt. Daß wir
dazu die Tabelle von Fragen nicht zählen, die Herr von Giers nach der Ver¬
sicherung eines Berliner Sezessiouistenorgans in den Falten seines Reisesacks zur
Besprechung mit dem Reichskanzler mitgebracht hat, brauchen wir nicht zu be-
tonen, obwohl das Blatt sie von "guter Hand" haben wollte. Lächeln und
Achselzucken ist alles, was verständige Leute und Kenner der Verhältnisse und
Personen für solche Leichtgläubigkeit oder die Voraussetzung solcher Leichtgläubig¬
keit beim Publikum haben können. Auch das, was manche französischen Zei¬
tungen sich über den Besuch des russischen Staatsmannes beim Fürsten Bismarck
herausspintisirt haben, entbehrt nicht der Eigenschaft, den denkenden Leser heiter
zu stimmen. Die "France" z. B. berichtet, daß Giers vor seiner Abreise vom
Kaiser Alexander nicht empfangen worden sei, und giebt damit zu verstehen,
daß dieser von der Reise seines Ministers nach Hinterpommern und den fried¬
lichen Versicherungen, die derselbe abgegeben, nichts gewußt habe, als ob solch
eigenmächtiges Verfahren in Rußland oder irgendwo auf Erden erlaubt wäre.
Nicht viel weniger ergötzlich ist die Meinung des "Gnulois," es habe sich bei


Grenzboten IV. 1882. !>9


Herr von Giers in Varzin.

as Ereignis der vorigen Woche war die Reise des russischen Mi¬
nisters der auswärtigen Angelegenheiten von Petersburg über
Berlin »ach Pisa und sein Abstecher nach Varzin, und nicht un¬
natürlich kann mau es finden, wenn der letztere die Geisteskräfte
der Staatsweisen, welche die europäische Presse mit Leitartikeln
und Korrespondenzen zu versehen haben, in ungewöhnlichem Grade in Anspruch
nahm und namentlich deren Spürsinn in Bewegung setzte. Aber freilich ist dabei
neben vielen wunderlichen Spekulationen und neben einigen handgreiflichen Ab¬
geschmacktheiten nicht eben viel herausgekommen, was sich hören läßt. Daß wir
dazu die Tabelle von Fragen nicht zählen, die Herr von Giers nach der Ver¬
sicherung eines Berliner Sezessiouistenorgans in den Falten seines Reisesacks zur
Besprechung mit dem Reichskanzler mitgebracht hat, brauchen wir nicht zu be-
tonen, obwohl das Blatt sie von „guter Hand" haben wollte. Lächeln und
Achselzucken ist alles, was verständige Leute und Kenner der Verhältnisse und
Personen für solche Leichtgläubigkeit oder die Voraussetzung solcher Leichtgläubig¬
keit beim Publikum haben können. Auch das, was manche französischen Zei¬
tungen sich über den Besuch des russischen Staatsmannes beim Fürsten Bismarck
herausspintisirt haben, entbehrt nicht der Eigenschaft, den denkenden Leser heiter
zu stimmen. Die „France" z. B. berichtet, daß Giers vor seiner Abreise vom
Kaiser Alexander nicht empfangen worden sei, und giebt damit zu verstehen,
daß dieser von der Reise seines Ministers nach Hinterpommern und den fried¬
lichen Versicherungen, die derselbe abgegeben, nichts gewußt habe, als ob solch
eigenmächtiges Verfahren in Rußland oder irgendwo auf Erden erlaubt wäre.
Nicht viel weniger ergötzlich ist die Meinung des „Gnulois," es habe sich bei


Grenzboten IV. 1882. !>9
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[0469] [Abbildung] Herr von Giers in Varzin. as Ereignis der vorigen Woche war die Reise des russischen Mi¬ nisters der auswärtigen Angelegenheiten von Petersburg über Berlin »ach Pisa und sein Abstecher nach Varzin, und nicht un¬ natürlich kann mau es finden, wenn der letztere die Geisteskräfte der Staatsweisen, welche die europäische Presse mit Leitartikeln und Korrespondenzen zu versehen haben, in ungewöhnlichem Grade in Anspruch nahm und namentlich deren Spürsinn in Bewegung setzte. Aber freilich ist dabei neben vielen wunderlichen Spekulationen und neben einigen handgreiflichen Ab¬ geschmacktheiten nicht eben viel herausgekommen, was sich hören läßt. Daß wir dazu die Tabelle von Fragen nicht zählen, die Herr von Giers nach der Ver¬ sicherung eines Berliner Sezessiouistenorgans in den Falten seines Reisesacks zur Besprechung mit dem Reichskanzler mitgebracht hat, brauchen wir nicht zu be- tonen, obwohl das Blatt sie von „guter Hand" haben wollte. Lächeln und Achselzucken ist alles, was verständige Leute und Kenner der Verhältnisse und Personen für solche Leichtgläubigkeit oder die Voraussetzung solcher Leichtgläubig¬ keit beim Publikum haben können. Auch das, was manche französischen Zei¬ tungen sich über den Besuch des russischen Staatsmannes beim Fürsten Bismarck herausspintisirt haben, entbehrt nicht der Eigenschaft, den denkenden Leser heiter zu stimmen. Die „France" z. B. berichtet, daß Giers vor seiner Abreise vom Kaiser Alexander nicht empfangen worden sei, und giebt damit zu verstehen, daß dieser von der Reise seines Ministers nach Hinterpommern und den fried¬ lichen Versicherungen, die derselbe abgegeben, nichts gewußt habe, als ob solch eigenmächtiges Verfahren in Rußland oder irgendwo auf Erden erlaubt wäre. Nicht viel weniger ergötzlich ist die Meinung des „Gnulois," es habe sich bei Grenzboten IV. 1882. !>9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/469>, abgerufen am 22.07.2024.