Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.Dio Fremdivörtovseuche. Wolfs hat eine gewisse Herrschaft über Sprache, Ausdruck und Reim. Dichten Noch ein Beispiel führe ich an. Die "Gegenwart" widmete in ihrer Nummer Endlich noch ein Beispiel. Selbst das Buch der Bücher ist angesteckt. Vor So steht es mit der eigentlichen Literatur, mit denjenigen Schriften, deren Dio Fremdivörtovseuche. Wolfs hat eine gewisse Herrschaft über Sprache, Ausdruck und Reim. Dichten Noch ein Beispiel führe ich an. Die „Gegenwart" widmete in ihrer Nummer Endlich noch ein Beispiel. Selbst das Buch der Bücher ist angesteckt. Vor So steht es mit der eigentlichen Literatur, mit denjenigen Schriften, deren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194426"/> <fw type="header" place="top"> Dio Fremdivörtovseuche.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1658" prev="#ID_1657"> Wolfs hat eine gewisse Herrschaft über Sprache, Ausdruck und Reim. Dichten<lb/> ist ihm eine Art Spiel, und die Worte sprudeln ihm wie aus unerschöpflichen<lb/> Quell hervor. Aber der Quell ist nicht rein; mit seinen Fremdwörtern, den<lb/> alten wie deu modernen, ist er auf einem breiten Irrwege. Ob er nur gar<lb/> keine Empfindung hat, wie sehr dieselben sein Werk verunstalten und beflecken?<lb/> Leibnitz sagt, daß „in einem sonst schönen deutschen Gedichte ein französisches<lb/> Wort gemeiniglich ein Schandfleck sein würde."</p><lb/> <p xml:id="ID_1659"> Noch ein Beispiel führe ich an. Die „Gegenwart" widmete in ihrer Nummer<lb/> vom 22. März 1879 den „Gedichten" eines Herrn Wilhelm Tappert fünf<lb/> Spalten, aber was bekam man unter den ausgewählten Proben zu lesen? Ich<lb/> rede nicht von den dichterischen Gedanken, ich rede nnr von der Sprache dieses<lb/> deutschen Dichters. Massenhaft fanden sich da fremdländische Nennwörter. Auf<lb/> Damen wurden Makamen und Reklamen gereimt, auf Vier Plüsir, Quartier,<lb/> Manier, Passagier, Courier, auf Stiebel torrible, inlÄlidll; und inexxroLsiblv,<lb/> und zwar französisch geschrieben! Und so etwas nennt sich Gedichte, „deutsche"<lb/> Gedichte! „Ein bischen französisch, das ist zu ämnbel, sagt Schnabel, sagt<lb/> Schnabel!" Gassenhauer für die Tingeltangel und die Singhöllen können nicht<lb/> ämabler sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1660"> Endlich noch ein Beispiel. Selbst das Buch der Bücher ist angesteckt. Vor<lb/> nur liegt eine Übersetzung des neuen Testamentes von Karl Weizsäcker in<lb/> Tübingen, in der man eine Menge Fremdwörter sindet, die doch nnr mit Absicht<lb/> gewühlt sein können, da sie die guten deutscheu Ausdrücke Luthers verdrängen.<lb/> In der Apostelgeschichte sagt Weizsäcker statt Hauptmann des Tempels „Kom¬<lb/> mandant" (IV, 2), statt Rat „Synedrinm" (V, 41), statt Schule „Synagoge,"<lb/> statt befragten sich mit Stephan» „disputirteu" (VI, 9), statt Fürst „Regent"<lb/> (VII, 10), statt den vornehmsten Männern der Stadt „Notabeln" (XXV, 23),<lb/> statt freundlich „human" (XXVII, 3), statt Getreide „Proviant" (XXVII, 38),<lb/> statt Ruhr „Dysenterie" (XXVIII, 8) und so fort. Glaube Weizsäcker etwa<lb/> auf solche Weise den Begründer der neuhochdeutschen Sprache verbessern zu<lb/> können? Glaubt er auf solche Weise Hund anlegen zu dürfen an ein Buch,<lb/> von dein jedes einzelne Wort fest im Volksbewußtsein wurzelt? Mir scheint<lb/> solche Weise eine Verballhornung zu sein und solch ein Glaube eine Verirrung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1661" next="#ID_1662"> So steht es mit der eigentlichen Literatur, mit denjenigen Schriften, deren<lb/> Sprache der Ausdruck des höhern geistigen Lebens der Nation ist. Kann man<lb/> da irgend etwas erfreuliches vou der Sprache des täglichem Lebens erwarten?<lb/> Die Zeitungen arbeiten, fast ohne Ausnahme, Tag für Tag, morgens und abends,<lb/> mit gräßlicher Beharrlichkeit auf die Verhunzung der deutschen Sprache hin!<lb/> Aber sie thun es doch nur, weil die ganze Leserwelt von der Seuche befallen<lb/> ist und den krankhaften Zustand garnicht merkt. Da ist kein Staat, kein Stand,<lb/> der hier dem andern, keine Landschaft, keine Stadt, die der andern etwas vor¬<lb/> zuwerfen Hütte. Die ganze Nation kam, an ihre Brust schlage« und sagen:</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0448]
Dio Fremdivörtovseuche.
Wolfs hat eine gewisse Herrschaft über Sprache, Ausdruck und Reim. Dichten
ist ihm eine Art Spiel, und die Worte sprudeln ihm wie aus unerschöpflichen
Quell hervor. Aber der Quell ist nicht rein; mit seinen Fremdwörtern, den
alten wie deu modernen, ist er auf einem breiten Irrwege. Ob er nur gar
keine Empfindung hat, wie sehr dieselben sein Werk verunstalten und beflecken?
Leibnitz sagt, daß „in einem sonst schönen deutschen Gedichte ein französisches
Wort gemeiniglich ein Schandfleck sein würde."
Noch ein Beispiel führe ich an. Die „Gegenwart" widmete in ihrer Nummer
vom 22. März 1879 den „Gedichten" eines Herrn Wilhelm Tappert fünf
Spalten, aber was bekam man unter den ausgewählten Proben zu lesen? Ich
rede nicht von den dichterischen Gedanken, ich rede nnr von der Sprache dieses
deutschen Dichters. Massenhaft fanden sich da fremdländische Nennwörter. Auf
Damen wurden Makamen und Reklamen gereimt, auf Vier Plüsir, Quartier,
Manier, Passagier, Courier, auf Stiebel torrible, inlÄlidll; und inexxroLsiblv,
und zwar französisch geschrieben! Und so etwas nennt sich Gedichte, „deutsche"
Gedichte! „Ein bischen französisch, das ist zu ämnbel, sagt Schnabel, sagt
Schnabel!" Gassenhauer für die Tingeltangel und die Singhöllen können nicht
ämabler sein.
Endlich noch ein Beispiel. Selbst das Buch der Bücher ist angesteckt. Vor
nur liegt eine Übersetzung des neuen Testamentes von Karl Weizsäcker in
Tübingen, in der man eine Menge Fremdwörter sindet, die doch nnr mit Absicht
gewühlt sein können, da sie die guten deutscheu Ausdrücke Luthers verdrängen.
In der Apostelgeschichte sagt Weizsäcker statt Hauptmann des Tempels „Kom¬
mandant" (IV, 2), statt Rat „Synedrinm" (V, 41), statt Schule „Synagoge,"
statt befragten sich mit Stephan» „disputirteu" (VI, 9), statt Fürst „Regent"
(VII, 10), statt den vornehmsten Männern der Stadt „Notabeln" (XXV, 23),
statt freundlich „human" (XXVII, 3), statt Getreide „Proviant" (XXVII, 38),
statt Ruhr „Dysenterie" (XXVIII, 8) und so fort. Glaube Weizsäcker etwa
auf solche Weise den Begründer der neuhochdeutschen Sprache verbessern zu
können? Glaubt er auf solche Weise Hund anlegen zu dürfen an ein Buch,
von dein jedes einzelne Wort fest im Volksbewußtsein wurzelt? Mir scheint
solche Weise eine Verballhornung zu sein und solch ein Glaube eine Verirrung.
So steht es mit der eigentlichen Literatur, mit denjenigen Schriften, deren
Sprache der Ausdruck des höhern geistigen Lebens der Nation ist. Kann man
da irgend etwas erfreuliches vou der Sprache des täglichem Lebens erwarten?
Die Zeitungen arbeiten, fast ohne Ausnahme, Tag für Tag, morgens und abends,
mit gräßlicher Beharrlichkeit auf die Verhunzung der deutschen Sprache hin!
Aber sie thun es doch nur, weil die ganze Leserwelt von der Seuche befallen
ist und den krankhaften Zustand garnicht merkt. Da ist kein Staat, kein Stand,
der hier dem andern, keine Landschaft, keine Stadt, die der andern etwas vor¬
zuwerfen Hütte. Die ganze Nation kam, an ihre Brust schlage« und sagen:
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