Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.Die Fremdwörterseuche. 1. Der heutige Zustand. Sollte ich den heutigen Zustand der Fremdwörterseuche umfassend und er¬ Zunächst will ich mittelst einiger Beispiele ans die beklagenswerte und zum Wenn irgend jemand deutsch empfunden hat, so war es Melchior Mehr. Denselben Grund nehme ich auch bei Paul Heyse an, der in einigen seiner Grenzboten IV. 1882. 5"
Die Fremdwörterseuche. 1. Der heutige Zustand. Sollte ich den heutigen Zustand der Fremdwörterseuche umfassend und er¬ Zunächst will ich mittelst einiger Beispiele ans die beklagenswerte und zum Wenn irgend jemand deutsch empfunden hat, so war es Melchior Mehr. Denselben Grund nehme ich auch bei Paul Heyse an, der in einigen seiner Grenzboten IV. 1882. 5«
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Die Fremdwörterseuche.
1. Der heutige Zustand.
Sollte ich den heutigen Zustand der Fremdwörterseuche umfassend und er¬
schöpfend schildern, so müßte ich ein ganzes Buch schreiben, ein Buch, welches
sicherlich höchst langweilig und widerwärtig und dazu auch wenig nützlich sein
würde. Denn diese Plage umgiebt und durchdringt uns ja überall. Überall
im täglichen Leben, in der Unterhaltung, im Geschäftsverkehr, in der Verwaltung,
in Büchern und in Zeitungen begegnen uns die widerwärtigen Eindringlinge,
die sie zeitigt, häufig in entsetzlicher Masse, immer wechselnd und stets sich er¬
neuert. Man braucht nur um sich zu schauen und zu hören, und hat an jedem
Finger dntzende oder Hunderte. Wer soll dieses Unkraut alles sammeln und
ordnen! Nur nach einigen Richtungen hin möchte ich und muß ich ein paar
Bemerkungen machen.
Zunächst will ich mittelst einiger Beispiele ans die beklagenswerte und zum
Teil sehr gefährliche Verwälschuug und Verfälschung der Sprache in Schrift¬
werken hinweisen, die zur eigentlichen Literatur gehören.
Wenn irgend jemand deutsch empfunden hat, so war es Melchior Mehr.
Er hat deutsche Bauerngeschichteu geschrieben, seine herrlichen „Erznhluugen aus
dem Ries." Aber selbst er mischt in seine Sprache entstellende Wörter, wie
respektabel, existiren, ignoriren, Refrain, Galanterie, alteriren, Plaisir, Repräsen¬
tant, Kontrast, kommod, geniren, expliziren, Skrupel — lauter Ausdrücke, die
sehr leicht hätten vermieden werden können und die nur der Macht der schlechten
Gewohnheit ihre Stelle verdanken.
Denselben Grund nehme ich auch bei Paul Heyse an, der in einigen seiner
Erzählungen ziemlich starke Dinge leistet. So findet man in der „Kleopatra"
folgende Fremdwörter: Cousin, Perron, Voliöre, detestabel, Abbe, deperdiren,
Portiere, hvrribel, Loge des Portiers, respektabel, Flaneur u. s. w. Auch die
„Tochter der Exzellenz" zeichnet sich ihrem Range gemäß aus durch: Jalousien,
Carriere, Cour, Gaudium, Trottoir, Equipage, Moment, Nckognvseirnng, Atelier,
Etage, elegant, Toilette, Rekouvaleseenz, Chikane, patrouillireu, Metier, Kor¬
pulenz, Couvert. appelliren, kondoliren, indiscret u. s. w. In andern Arbeiten,
z. V. der unlängst veröffentlichten Erzählung „Die Dichterin von Carcassonne"
hat sich Paul Heyse einer erheblich größern Reinheit der Sprache befleißigt;
umso empfindlicher aber berühre» auch hier einige häßliche Wildlinge. So
spricht er einmal mit Bezug ans die Verstoßung einer Rittersfrau von dem
„blutigen Verstoße gegen alleu edlen Brauch und die heiligsten Gesetze der
Courtoisie," ein andermal von „allen Regungen der Courtoisie"; dort hieße es
besser, treffender und schöner „ritterliche Sitte," hier „Höflichkeit." Statt
„Kollation" wäre wohl auch „Bewirtung" oder „Erfrischung" richtiger und an¬
mutiger gewesen, und selbst statt des „triumphirenden Lächelns" Hütte es edler
und klangvoller geheißen „siegesfrohcs Lächeln." Wenn man nur will, so geht
Grenzboten IV. 1882. 5«
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