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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Gustav Schwab als Prosaiker.

die landläufige Vorstellung gründlich zerstreuen, gegen welche allerdings schon
der wackere Goedeke in seinem "Grundriß" seine Stimme erhoben hat, die Vor¬
stellung, daß die süddeutsche Dichtergruppe, als deren kritischer Sprecher Gustav
Schwab nach innerm Beruf und äußern Anlässen vielfach auftrat, vou der
Mattherzigkeit, Plattheit und unerquicklichen Trivialrvmantik der sogenannten
Restaurationsepoche ganz und gar erfüllt gewesen sei. Die von Klüpfel neu
publizirten Aufsätze Schwabs über Uhland und Hölderlin, über Justinus Kerner
und Rückert, über Lenaus Gedichte und Mörikes "Maler Rollen" erweisen von
allem das Gegenteil. Sie belegen, daß Schwab so gut wie andre deu Jammer
und die kleinlich-schlaffe Atmosphäre der zwanziger Jahre empfunden hatte und
daß er seinerseits auf seinem eigensten Gebiet zu einer energischen Gegenwirkung
befähigt und immer bereit war. Herostrntische Naturen verbrennen einen Tempel,
in dem sich Spinnweben und Fledermäuse eingenistet haben, klarblickende und
edler geartete suchen ihn zu reinigen, vor Besudelung zu schirmen und seine
Würde zu bewahren. Die poetische Literatur und das allverbreitete Interesse
an ihr waren im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts nur da¬
durch eine Gefahr für die deutsche Bildung, daß sie zu entarten und herabzu-
sinken drohten. Nicht also diejenigen leisteten dem deutschen Volke den größern
Dienst, die unterschiedslos und oberflächlich der Dichtung und dem Genuß an
guter Literatur den Krieg erklärten, sondern diejenigen, welche darauf drangen,
daß das Vorzügliche vom Alltäglichen, das Gute vom Mittelmäßigen unter¬
schieden werde. Mau fühlt, daß dies der Grundgedanke, die Tendenz von
Schwabs gesammter literarisch-kritischer Thätigkeit gewesen ist. Und der Kritiker
erhält die glänzendste Rechtfertigung, die überhaupt in seinem Falle existirt --
sein Urteil ist in dem Menschenalter, welches seit Schwabs Tode verstrichen,
das allgemeine geworden. Wer denkt über Uhlands Dichtungen heute anders,
als Schwab in den beiden interessanten Aufsätzen über seinen Landsmann und
Freund? Wer fühlt nicht, daß die große Anschauung vom Wert und Wesen
der poetischen Literatur, die der Autor besaß, sich in seiner frühen Erkenntnis
der originellen und nachhaltigen Talente eines Lenau und Mörike bewahrt hat?
Wer stimmt gegenwärtig nicht in Schwabs vor beinahe fünfzig Jahren lautge-
wordeues Vedaueru ein, daß ein Meister wie Rückert gelegentlich, ja oft, den
Dichter, der aus der Fülle der Seele und mit der Weihe der Kunst schafft,
hinter deu Sprachvirtuosen zurücksetzt, welcher beides entbehren kaun? Selbst da,
wo die Stimmung des Tages einen stärkern Einfluß auf Schwab ausgeübt
hat, wie dies in deu Rezensionen über die Gedichte König Ludwigs von Baiern
und die Gedichte von Chr. Matzerath offenbar der Fall ist, welch ein Unter¬
schied zwischen der milden, allzuwvhlwolleudeu Kritik Schwabs, die das Indi¬
viduum schonend behandelt, aber das ästhetische Gesetz kennt und behauptet, und
zwischen der frechen Reklame von heute, die darauf rechnet, daß jedermann in
liternrischen Dingen so bildungslvs sei, wie sie selbst!


Gustav Schwab als Prosaiker.

die landläufige Vorstellung gründlich zerstreuen, gegen welche allerdings schon
der wackere Goedeke in seinem „Grundriß" seine Stimme erhoben hat, die Vor¬
stellung, daß die süddeutsche Dichtergruppe, als deren kritischer Sprecher Gustav
Schwab nach innerm Beruf und äußern Anlässen vielfach auftrat, vou der
Mattherzigkeit, Plattheit und unerquicklichen Trivialrvmantik der sogenannten
Restaurationsepoche ganz und gar erfüllt gewesen sei. Die von Klüpfel neu
publizirten Aufsätze Schwabs über Uhland und Hölderlin, über Justinus Kerner
und Rückert, über Lenaus Gedichte und Mörikes „Maler Rollen" erweisen von
allem das Gegenteil. Sie belegen, daß Schwab so gut wie andre deu Jammer
und die kleinlich-schlaffe Atmosphäre der zwanziger Jahre empfunden hatte und
daß er seinerseits auf seinem eigensten Gebiet zu einer energischen Gegenwirkung
befähigt und immer bereit war. Herostrntische Naturen verbrennen einen Tempel,
in dem sich Spinnweben und Fledermäuse eingenistet haben, klarblickende und
edler geartete suchen ihn zu reinigen, vor Besudelung zu schirmen und seine
Würde zu bewahren. Die poetische Literatur und das allverbreitete Interesse
an ihr waren im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts nur da¬
durch eine Gefahr für die deutsche Bildung, daß sie zu entarten und herabzu-
sinken drohten. Nicht also diejenigen leisteten dem deutschen Volke den größern
Dienst, die unterschiedslos und oberflächlich der Dichtung und dem Genuß an
guter Literatur den Krieg erklärten, sondern diejenigen, welche darauf drangen,
daß das Vorzügliche vom Alltäglichen, das Gute vom Mittelmäßigen unter¬
schieden werde. Mau fühlt, daß dies der Grundgedanke, die Tendenz von
Schwabs gesammter literarisch-kritischer Thätigkeit gewesen ist. Und der Kritiker
erhält die glänzendste Rechtfertigung, die überhaupt in seinem Falle existirt —
sein Urteil ist in dem Menschenalter, welches seit Schwabs Tode verstrichen,
das allgemeine geworden. Wer denkt über Uhlands Dichtungen heute anders,
als Schwab in den beiden interessanten Aufsätzen über seinen Landsmann und
Freund? Wer fühlt nicht, daß die große Anschauung vom Wert und Wesen
der poetischen Literatur, die der Autor besaß, sich in seiner frühen Erkenntnis
der originellen und nachhaltigen Talente eines Lenau und Mörike bewahrt hat?
Wer stimmt gegenwärtig nicht in Schwabs vor beinahe fünfzig Jahren lautge-
wordeues Vedaueru ein, daß ein Meister wie Rückert gelegentlich, ja oft, den
Dichter, der aus der Fülle der Seele und mit der Weihe der Kunst schafft,
hinter deu Sprachvirtuosen zurücksetzt, welcher beides entbehren kaun? Selbst da,
wo die Stimmung des Tages einen stärkern Einfluß auf Schwab ausgeübt
hat, wie dies in deu Rezensionen über die Gedichte König Ludwigs von Baiern
und die Gedichte von Chr. Matzerath offenbar der Fall ist, welch ein Unter¬
schied zwischen der milden, allzuwvhlwolleudeu Kritik Schwabs, die das Indi¬
viduum schonend behandelt, aber das ästhetische Gesetz kennt und behauptet, und
zwischen der frechen Reklame von heute, die darauf rechnet, daß jedermann in
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[0347] Gustav Schwab als Prosaiker. die landläufige Vorstellung gründlich zerstreuen, gegen welche allerdings schon der wackere Goedeke in seinem „Grundriß" seine Stimme erhoben hat, die Vor¬ stellung, daß die süddeutsche Dichtergruppe, als deren kritischer Sprecher Gustav Schwab nach innerm Beruf und äußern Anlässen vielfach auftrat, vou der Mattherzigkeit, Plattheit und unerquicklichen Trivialrvmantik der sogenannten Restaurationsepoche ganz und gar erfüllt gewesen sei. Die von Klüpfel neu publizirten Aufsätze Schwabs über Uhland und Hölderlin, über Justinus Kerner und Rückert, über Lenaus Gedichte und Mörikes „Maler Rollen" erweisen von allem das Gegenteil. Sie belegen, daß Schwab so gut wie andre deu Jammer und die kleinlich-schlaffe Atmosphäre der zwanziger Jahre empfunden hatte und daß er seinerseits auf seinem eigensten Gebiet zu einer energischen Gegenwirkung befähigt und immer bereit war. Herostrntische Naturen verbrennen einen Tempel, in dem sich Spinnweben und Fledermäuse eingenistet haben, klarblickende und edler geartete suchen ihn zu reinigen, vor Besudelung zu schirmen und seine Würde zu bewahren. Die poetische Literatur und das allverbreitete Interesse an ihr waren im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts nur da¬ durch eine Gefahr für die deutsche Bildung, daß sie zu entarten und herabzu- sinken drohten. Nicht also diejenigen leisteten dem deutschen Volke den größern Dienst, die unterschiedslos und oberflächlich der Dichtung und dem Genuß an guter Literatur den Krieg erklärten, sondern diejenigen, welche darauf drangen, daß das Vorzügliche vom Alltäglichen, das Gute vom Mittelmäßigen unter¬ schieden werde. Mau fühlt, daß dies der Grundgedanke, die Tendenz von Schwabs gesammter literarisch-kritischer Thätigkeit gewesen ist. Und der Kritiker erhält die glänzendste Rechtfertigung, die überhaupt in seinem Falle existirt — sein Urteil ist in dem Menschenalter, welches seit Schwabs Tode verstrichen, das allgemeine geworden. Wer denkt über Uhlands Dichtungen heute anders, als Schwab in den beiden interessanten Aufsätzen über seinen Landsmann und Freund? Wer fühlt nicht, daß die große Anschauung vom Wert und Wesen der poetischen Literatur, die der Autor besaß, sich in seiner frühen Erkenntnis der originellen und nachhaltigen Talente eines Lenau und Mörike bewahrt hat? Wer stimmt gegenwärtig nicht in Schwabs vor beinahe fünfzig Jahren lautge- wordeues Vedaueru ein, daß ein Meister wie Rückert gelegentlich, ja oft, den Dichter, der aus der Fülle der Seele und mit der Weihe der Kunst schafft, hinter deu Sprachvirtuosen zurücksetzt, welcher beides entbehren kaun? Selbst da, wo die Stimmung des Tages einen stärkern Einfluß auf Schwab ausgeübt hat, wie dies in deu Rezensionen über die Gedichte König Ludwigs von Baiern und die Gedichte von Chr. Matzerath offenbar der Fall ist, welch ein Unter¬ schied zwischen der milden, allzuwvhlwolleudeu Kritik Schwabs, die das Indi¬ viduum schonend behandelt, aber das ästhetische Gesetz kennt und behauptet, und zwischen der frechen Reklame von heute, die darauf rechnet, daß jedermann in liternrischen Dingen so bildungslvs sei, wie sie selbst!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/347>, abgerufen am 22.07.2024.