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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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und ans ihr gelernt, so würde er zur Erkenntnis der Meinung gekommen sein,
welche Kant über die Entstehung des Scheins ausspricht.

Kant sagt: "Man kann allen Schein darein setzen, daß die subjektive Be¬
dingung des Denkens für die Erkenntnis des Objekts gehalten wird." Und:
"Ob diese oder jene vermeinte Erfahrung nicht bloß Einbildung sei, muß uach
den besondern Bestimmungen derselben und durch Zusammenballung mit den
Kriterien aller wirklichen Erfahrung ausgemittelt werden." Diese Kriterien
sind aber nicht Dinge an sich, denn diese kennen wir nicht, und durch diese können
wir nichts ausmitteln, sondern die Kriterien aller wirklichen Erfahrung sind die
Anwendung der Erkenntnisfuuttivnen nach den Grundsätzen des reinen Verstandes
ans den Gegenstand der Wahrnehmung.

Wenn wir z. B einen Menschen im Nebel sehen und halten ihn für größer
als er ist, so Verfahren wir nach der Regel, daß alles im Trüben gesehene ferner
ist als das Klare; und die Gestalt würde in der That größer sein müssen, wenn
sie mit denselben Umrissen, wie sie dem Auge gegeben wird, in größerer Ent¬
fernung sich befände. Diese Regel, die subjektive Bedingung des Denkens, führt
aber diesmal zum täuschenden Schein, weil der Mensch in der That näher ist,
als es scheint, und die Trübung seines Bildes nur durch den Nebel erzeugt
wird. Wir zerstören diesen Schein dadurch, daß wir alle Erkenntuisfuuktivucn
auf die Wahrnehmung anwenden und die Ursache der Täuschung uns klar
macheu, uicht aber dadurch, daß wir fragen, ob unsre Wahrnehmung den
Charakter des Dinges an sich trage. Noch einfacher ist das Beispiel, wenn
wir in der Dämmerung aus einer weißen Figur mit Hilfe der Einbildungskraft
einen Geist machen und dnrch Zuhilfenahme aller Kriterien der Erfahrung,
namentlich anch des Tastsinnes, die Erscheinung auf ihren richtigen Grund
zurückführen, der uus Wohl den Gegenstand so erscheinen läßt, wie er wirklich
ist, aber mit dem Begriff vom Ding um sich gar nichts zu thun hat.

Deu Kantischen Lehrbegriff des Dinges an sich hat eben K. Fischer mi߬
verstanden. Er sagt (S. 569): "Die Beschaffenheit und Einrichtung unsrer Ver¬
nunft ist nicht das letzte. Ihr und damit allen Erscheinungen überhaupt muß
etwas zu Grunde liegen, das als solches nicht erscheint, vielmehr von allen Er¬
scheinungen, von allen Vernunftformen, also auch von Raum und Zeit, völlig
unabhängig, darum anch unerkennbar ist und von Kant mit dem Worte Ding
an sich bezeichnet wird. Die Realität eines solchen Urgrundes hat der Philosoph
niemals verneint... Was die Dinge an sich betrifft, so hat der Philosoph ihre
transcendentale Wirklichkeit stets bejaht."

Also Kant soll die Realität eines Urgrundes, welcher weder Anschauung
noch Veruunftform ist, zum Gegenstande einer Erkenntnis gemacht, d. h. sie
nicht verneint, sondern ihre transcendentale Wirklichkeit bejaht haben! Nun ist
Wirklichkeit eine Kategorie, die nach Kants Lehre nur auf Erscheinung ange¬
wendet werden darf. Daher ist transeendentale Wirklichkeit eine Wortzusammen-


und ans ihr gelernt, so würde er zur Erkenntnis der Meinung gekommen sein,
welche Kant über die Entstehung des Scheins ausspricht.

Kant sagt: „Man kann allen Schein darein setzen, daß die subjektive Be¬
dingung des Denkens für die Erkenntnis des Objekts gehalten wird." Und:
„Ob diese oder jene vermeinte Erfahrung nicht bloß Einbildung sei, muß uach
den besondern Bestimmungen derselben und durch Zusammenballung mit den
Kriterien aller wirklichen Erfahrung ausgemittelt werden." Diese Kriterien
sind aber nicht Dinge an sich, denn diese kennen wir nicht, und durch diese können
wir nichts ausmitteln, sondern die Kriterien aller wirklichen Erfahrung sind die
Anwendung der Erkenntnisfuuttivnen nach den Grundsätzen des reinen Verstandes
ans den Gegenstand der Wahrnehmung.

Wenn wir z. B einen Menschen im Nebel sehen und halten ihn für größer
als er ist, so Verfahren wir nach der Regel, daß alles im Trüben gesehene ferner
ist als das Klare; und die Gestalt würde in der That größer sein müssen, wenn
sie mit denselben Umrissen, wie sie dem Auge gegeben wird, in größerer Ent¬
fernung sich befände. Diese Regel, die subjektive Bedingung des Denkens, führt
aber diesmal zum täuschenden Schein, weil der Mensch in der That näher ist,
als es scheint, und die Trübung seines Bildes nur durch den Nebel erzeugt
wird. Wir zerstören diesen Schein dadurch, daß wir alle Erkenntuisfuuktivucn
auf die Wahrnehmung anwenden und die Ursache der Täuschung uns klar
macheu, uicht aber dadurch, daß wir fragen, ob unsre Wahrnehmung den
Charakter des Dinges an sich trage. Noch einfacher ist das Beispiel, wenn
wir in der Dämmerung aus einer weißen Figur mit Hilfe der Einbildungskraft
einen Geist machen und dnrch Zuhilfenahme aller Kriterien der Erfahrung,
namentlich anch des Tastsinnes, die Erscheinung auf ihren richtigen Grund
zurückführen, der uus Wohl den Gegenstand so erscheinen läßt, wie er wirklich
ist, aber mit dem Begriff vom Ding um sich gar nichts zu thun hat.

Deu Kantischen Lehrbegriff des Dinges an sich hat eben K. Fischer mi߬
verstanden. Er sagt (S. 569): „Die Beschaffenheit und Einrichtung unsrer Ver¬
nunft ist nicht das letzte. Ihr und damit allen Erscheinungen überhaupt muß
etwas zu Grunde liegen, das als solches nicht erscheint, vielmehr von allen Er¬
scheinungen, von allen Vernunftformen, also auch von Raum und Zeit, völlig
unabhängig, darum anch unerkennbar ist und von Kant mit dem Worte Ding
an sich bezeichnet wird. Die Realität eines solchen Urgrundes hat der Philosoph
niemals verneint... Was die Dinge an sich betrifft, so hat der Philosoph ihre
transcendentale Wirklichkeit stets bejaht."

Also Kant soll die Realität eines Urgrundes, welcher weder Anschauung
noch Veruunftform ist, zum Gegenstande einer Erkenntnis gemacht, d. h. sie
nicht verneint, sondern ihre transcendentale Wirklichkeit bejaht haben! Nun ist
Wirklichkeit eine Kategorie, die nach Kants Lehre nur auf Erscheinung ange¬
wendet werden darf. Daher ist transeendentale Wirklichkeit eine Wortzusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/18>, abgerufen am 22.07.2024.