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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Politische Briefe.

entfernt ist. Richtig aber ist, daß die gesellschaftlichen Elemente, ans welche der
Liberalismus sich stützt, in den Kreisen der gewerblichen Produktion, des Handels
und der geistigen Berufe zu suchen sind. Wenn der Liberalismus jetzt der Be¬
steuerung des fundirten Einkommens, bei der es, da der Grundbesitz längst seine
eigne Steuer hat, auf das bewegliche Kapital abgesehen ist, das Wort redet,
so hat er ein dreifaches Motiv. Zuerst ein freilich irriges Auslands- oder Ge-
rechtigkeitsmvtiv, weil der bewegliche Kapitalbesitz fälschlicherweise als der steuer¬
fähigste gilt. Zweitens ein doktrinäres Motiv, das auf einem falschen Schluß
beruht. Der Staat, sagt sich der Liberalismus, kann seine Mittel nur der
Kapitalkraft des Volkes entnehmen. Dieser Satz ist unanfechtbar. Aber falsch
ist der Schluß, daß man die Kapitalkraft in Gestalt eines Objektes oder auch
eines erkennbaren, festbegrenzten individuellen Krastquantnms fassen und besteuern
könne. Das Kapital und nur das Kapital kann und soll den Staatsbedarf
aufbringen; dies ist uns eine Wahrheit, die erkannt wird, sobald man auf sie
gestoßen, und die sich der Verstand nicht mehr entreißen läßt, sobald sie einmal
begriffen worden ist. Aber daraus folgt uicht die direkte Besteuerung des Kapitals,
weder als Fonds noch als Rente, noch die hohe indirekte Besteuerung aller der
Kapitalsübertragung dienenden Operationen.

Die Steuersragen bilden ein Gebiet, ans welches aus erklärlichen Gründen
der Dilettantismus von je mit Vorliebe sich geworfen hat. Dem Dilettantismus
liegt nichts näher als die Besteuerung des Kapitals. Wäre es nnr zu fasse"
und zu finden. In seinem Dünkel gerät der Dilettantismus bei dieser Schwierig¬
keit auf den abscheulichen Weg der Varbareu, die einem Feldherrn, einem Staats¬
mann das Haupt entzwei schlugen, um die Quelle zu sehen, der die großen
Entwürfe entstammen. Wie der Geist nur in seinen Leistungen sichtbar ist, so
ist auch die Quelle des Kapitals unsichtbar und unmeßbar. Keine Inquisition
kann zu ihr dringen. Die Einkommensteuer ist der Versuch, die individuelle
wirtschaftliche Kraft zu besteuern. Aber diese Steuer ist nur erträglich bei der
gescholtenen Unvollkommenheit der preußischen Einkommensteuer, bei einem mäßigen
Prozentsatz nnter oberflächlicher Einschätzung nach äußeren Merkmalen. Sobald
mit der genauen Messung der wirtschaftlichen Kraft Ernst gemacht werde" soll,
wird diese Steuer unerträglich und unausführbar. Um die Unausführbarst
zu besiegen, ist der Dilettantismus auf zwei Wege versallen. Der eine ist die
Besteuerung der Kapitalsvbjekte. Es konnte nicht irrationell geheißen werden,
eine Besteuerung aller zinstragenden Papiere vorzuschlagen. Nur ist dieser oft
gemachte Vorschlag immer sogleich dnrch die Erwägung in die Flucht geschlagen
worden, daß man die Steuer nur bei den inländischen Papieren durchführen
kann und folglich diese zu Gunsten der ausländischen Papiere im Preise herab¬
mindern würde. Da ist um die dilettantische Weisheit ans den unvergleich¬
lichen Einfall gekommen, die Besteuerung, die man bei der Aufgabe der Papiere
unterlassen muß, um nicht den Preis der Waare zu vermindern, in den Schränken


Politische Briefe.

entfernt ist. Richtig aber ist, daß die gesellschaftlichen Elemente, ans welche der
Liberalismus sich stützt, in den Kreisen der gewerblichen Produktion, des Handels
und der geistigen Berufe zu suchen sind. Wenn der Liberalismus jetzt der Be¬
steuerung des fundirten Einkommens, bei der es, da der Grundbesitz längst seine
eigne Steuer hat, auf das bewegliche Kapital abgesehen ist, das Wort redet,
so hat er ein dreifaches Motiv. Zuerst ein freilich irriges Auslands- oder Ge-
rechtigkeitsmvtiv, weil der bewegliche Kapitalbesitz fälschlicherweise als der steuer¬
fähigste gilt. Zweitens ein doktrinäres Motiv, das auf einem falschen Schluß
beruht. Der Staat, sagt sich der Liberalismus, kann seine Mittel nur der
Kapitalkraft des Volkes entnehmen. Dieser Satz ist unanfechtbar. Aber falsch
ist der Schluß, daß man die Kapitalkraft in Gestalt eines Objektes oder auch
eines erkennbaren, festbegrenzten individuellen Krastquantnms fassen und besteuern
könne. Das Kapital und nur das Kapital kann und soll den Staatsbedarf
aufbringen; dies ist uns eine Wahrheit, die erkannt wird, sobald man auf sie
gestoßen, und die sich der Verstand nicht mehr entreißen läßt, sobald sie einmal
begriffen worden ist. Aber daraus folgt uicht die direkte Besteuerung des Kapitals,
weder als Fonds noch als Rente, noch die hohe indirekte Besteuerung aller der
Kapitalsübertragung dienenden Operationen.

Die Steuersragen bilden ein Gebiet, ans welches aus erklärlichen Gründen
der Dilettantismus von je mit Vorliebe sich geworfen hat. Dem Dilettantismus
liegt nichts näher als die Besteuerung des Kapitals. Wäre es nnr zu fasse»
und zu finden. In seinem Dünkel gerät der Dilettantismus bei dieser Schwierig¬
keit auf den abscheulichen Weg der Varbareu, die einem Feldherrn, einem Staats¬
mann das Haupt entzwei schlugen, um die Quelle zu sehen, der die großen
Entwürfe entstammen. Wie der Geist nur in seinen Leistungen sichtbar ist, so
ist auch die Quelle des Kapitals unsichtbar und unmeßbar. Keine Inquisition
kann zu ihr dringen. Die Einkommensteuer ist der Versuch, die individuelle
wirtschaftliche Kraft zu besteuern. Aber diese Steuer ist nur erträglich bei der
gescholtenen Unvollkommenheit der preußischen Einkommensteuer, bei einem mäßigen
Prozentsatz nnter oberflächlicher Einschätzung nach äußeren Merkmalen. Sobald
mit der genauen Messung der wirtschaftlichen Kraft Ernst gemacht werde» soll,
wird diese Steuer unerträglich und unausführbar. Um die Unausführbarst
zu besiegen, ist der Dilettantismus auf zwei Wege versallen. Der eine ist die
Besteuerung der Kapitalsvbjekte. Es konnte nicht irrationell geheißen werden,
eine Besteuerung aller zinstragenden Papiere vorzuschlagen. Nur ist dieser oft
gemachte Vorschlag immer sogleich dnrch die Erwägung in die Flucht geschlagen
worden, daß man die Steuer nur bei den inländischen Papieren durchführen
kann und folglich diese zu Gunsten der ausländischen Papiere im Preise herab¬
mindern würde. Da ist um die dilettantische Weisheit ans den unvergleich¬
lichen Einfall gekommen, die Besteuerung, die man bei der Aufgabe der Papiere
unterlassen muß, um nicht den Preis der Waare zu vermindern, in den Schränken


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[0012] Politische Briefe. entfernt ist. Richtig aber ist, daß die gesellschaftlichen Elemente, ans welche der Liberalismus sich stützt, in den Kreisen der gewerblichen Produktion, des Handels und der geistigen Berufe zu suchen sind. Wenn der Liberalismus jetzt der Be¬ steuerung des fundirten Einkommens, bei der es, da der Grundbesitz längst seine eigne Steuer hat, auf das bewegliche Kapital abgesehen ist, das Wort redet, so hat er ein dreifaches Motiv. Zuerst ein freilich irriges Auslands- oder Ge- rechtigkeitsmvtiv, weil der bewegliche Kapitalbesitz fälschlicherweise als der steuer¬ fähigste gilt. Zweitens ein doktrinäres Motiv, das auf einem falschen Schluß beruht. Der Staat, sagt sich der Liberalismus, kann seine Mittel nur der Kapitalkraft des Volkes entnehmen. Dieser Satz ist unanfechtbar. Aber falsch ist der Schluß, daß man die Kapitalkraft in Gestalt eines Objektes oder auch eines erkennbaren, festbegrenzten individuellen Krastquantnms fassen und besteuern könne. Das Kapital und nur das Kapital kann und soll den Staatsbedarf aufbringen; dies ist uns eine Wahrheit, die erkannt wird, sobald man auf sie gestoßen, und die sich der Verstand nicht mehr entreißen läßt, sobald sie einmal begriffen worden ist. Aber daraus folgt uicht die direkte Besteuerung des Kapitals, weder als Fonds noch als Rente, noch die hohe indirekte Besteuerung aller der Kapitalsübertragung dienenden Operationen. Die Steuersragen bilden ein Gebiet, ans welches aus erklärlichen Gründen der Dilettantismus von je mit Vorliebe sich geworfen hat. Dem Dilettantismus liegt nichts näher als die Besteuerung des Kapitals. Wäre es nnr zu fasse» und zu finden. In seinem Dünkel gerät der Dilettantismus bei dieser Schwierig¬ keit auf den abscheulichen Weg der Varbareu, die einem Feldherrn, einem Staats¬ mann das Haupt entzwei schlugen, um die Quelle zu sehen, der die großen Entwürfe entstammen. Wie der Geist nur in seinen Leistungen sichtbar ist, so ist auch die Quelle des Kapitals unsichtbar und unmeßbar. Keine Inquisition kann zu ihr dringen. Die Einkommensteuer ist der Versuch, die individuelle wirtschaftliche Kraft zu besteuern. Aber diese Steuer ist nur erträglich bei der gescholtenen Unvollkommenheit der preußischen Einkommensteuer, bei einem mäßigen Prozentsatz nnter oberflächlicher Einschätzung nach äußeren Merkmalen. Sobald mit der genauen Messung der wirtschaftlichen Kraft Ernst gemacht werde» soll, wird diese Steuer unerträglich und unausführbar. Um die Unausführbarst zu besiegen, ist der Dilettantismus auf zwei Wege versallen. Der eine ist die Besteuerung der Kapitalsvbjekte. Es konnte nicht irrationell geheißen werden, eine Besteuerung aller zinstragenden Papiere vorzuschlagen. Nur ist dieser oft gemachte Vorschlag immer sogleich dnrch die Erwägung in die Flucht geschlagen worden, daß man die Steuer nur bei den inländischen Papieren durchführen kann und folglich diese zu Gunsten der ausländischen Papiere im Preise herab¬ mindern würde. Da ist um die dilettantische Weisheit ans den unvergleich¬ lichen Einfall gekommen, die Besteuerung, die man bei der Aufgabe der Papiere unterlassen muß, um nicht den Preis der Waare zu vermindern, in den Schränken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/12>, abgerufen am 22.07.2024.