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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

dulden müssen. Viel zu fein organisirt für die gewöhnliche Berührung des täg¬
lichen Lebens und sein eigentliches Leben in Idealen führend, empfand er den
Druck der Wirklichkeit wie das Pressen eines grausamen Folterinstrnments.

Doch enthielt er sich nnter Zusammennähme aller seiner Kraft einer be¬
leidigenden Äußerung und wandte sich mit einem rührenden Tone des Schmerzes,
in welchem eine gleichgestimmte Seele die Geschichte seines Leidens gelesen haben
würde, mit der Bitte an Flörchen: O, füge du mir nicht diesen Schimpf zu,
dann will ich mit dem Herrn schon fertig werden.

Flörchen zauderte einen kurzen Augenblick zwischen ihrer großen Lust, mit
diesem flotten Tänzer davon zu eilen, und einer kleinen Anwandlung von Reue.
Dann siegte die Lust, und sie sagte in schnippischen Tone, womit sie sich selber
über ihre Bedenken hinweghalf: Geh' mir hin! Wo ist denn da ein Schimpf?
Du bist mir heute wieder recht verkehrt.

Komiueu Sie, mein schönes Kind, sagte der Offizier ungeduldig, denn das
Gespräch dauerte ihm zu lange, dös ist an unverschämter Jndenjnng'!

Ephraim trat zurück und athmete schwer. Ein Schlag, der ihn getroffen,
hätte ihn nicht anders berühren können als dieses Wort. Aber in diese edle
Natur kehrte unter dein Übermaß des Leidens der stolze Trotz zurück und er¬
füllte sie mit männlicher Würde. Eisige Ruhe bemächtigte sich der bebenden
Nerven, und das bleiche Gesicht nahm den Ausdruck fester Entschlossenheit an.

Während der Österreicher mit Flörchen davoneilte und das Paar sich dem
muntern Kreise der Tanzenden anschloß, entdeckte Ephraims suchender Blick nnter
den entfernter stehenden Herren eine preußische Uniform, und es erwachte in
ihm das Gefühl, dort den sichern Halt für Ehre zu finden, dessen er jetzt
bedürfte.

Er wurde in seiner Erwartung nicht getäuscht. Der Offizier, an welchen
er sich wandte, obwohl anfänglich erstaunt über Ephraims Anrede, war ein fein¬
sinniger Mann, auf welchen Ephraims Natur in sympathetischer Weise wirkte.
Die dunkeln, glühenden Angen sagten ihm deutlich, wie ernstlich das Anliegen
sei, welches ihm vorgetragen wurde, und Ephraims ganzes Gebahren zeigte den
Gentleman. Er las die Karte, welche ihm dieser überreichte, und so unge¬
wöhnlich auch ein solcher Schritt ihm vorkam und so wenig er in das Fest
hineinpaßte, denn der Offizier merkte alsbald, um was es sich handelte, beschloß
er doch, dein fremden Jüngling beizustehen. Nur wollte er zuvor versuchen
einen Streit beizulegen, der ihm selbst sehr störend war und in den sich zu
mischen ihn nur der Eindrnck von Ephraims Persönlichkeit bewog. Nachdem ihm
dieser daher die Beleidigung erzählt hatte, welche ihm zugefügt worden war, machte
er ihn mit einem Achselzucken und in einer leichten Manier, die darauf berechnet
war, die Erregtheit Ephraims zu mildern, darauf aufmerksam, daß der öster¬
reichische Offizier ein geborner Ungar, ein Graf Ujfalvy sei, dessen mangelhafte
Kenntnis der deutschen Sprache und rasches Wesen vielleicht eine Beleidigung


Bakchen und Thyrsosträger.

dulden müssen. Viel zu fein organisirt für die gewöhnliche Berührung des täg¬
lichen Lebens und sein eigentliches Leben in Idealen führend, empfand er den
Druck der Wirklichkeit wie das Pressen eines grausamen Folterinstrnments.

Doch enthielt er sich nnter Zusammennähme aller seiner Kraft einer be¬
leidigenden Äußerung und wandte sich mit einem rührenden Tone des Schmerzes,
in welchem eine gleichgestimmte Seele die Geschichte seines Leidens gelesen haben
würde, mit der Bitte an Flörchen: O, füge du mir nicht diesen Schimpf zu,
dann will ich mit dem Herrn schon fertig werden.

Flörchen zauderte einen kurzen Augenblick zwischen ihrer großen Lust, mit
diesem flotten Tänzer davon zu eilen, und einer kleinen Anwandlung von Reue.
Dann siegte die Lust, und sie sagte in schnippischen Tone, womit sie sich selber
über ihre Bedenken hinweghalf: Geh' mir hin! Wo ist denn da ein Schimpf?
Du bist mir heute wieder recht verkehrt.

Komiueu Sie, mein schönes Kind, sagte der Offizier ungeduldig, denn das
Gespräch dauerte ihm zu lange, dös ist an unverschämter Jndenjnng'!

Ephraim trat zurück und athmete schwer. Ein Schlag, der ihn getroffen,
hätte ihn nicht anders berühren können als dieses Wort. Aber in diese edle
Natur kehrte unter dein Übermaß des Leidens der stolze Trotz zurück und er¬
füllte sie mit männlicher Würde. Eisige Ruhe bemächtigte sich der bebenden
Nerven, und das bleiche Gesicht nahm den Ausdruck fester Entschlossenheit an.

Während der Österreicher mit Flörchen davoneilte und das Paar sich dem
muntern Kreise der Tanzenden anschloß, entdeckte Ephraims suchender Blick nnter
den entfernter stehenden Herren eine preußische Uniform, und es erwachte in
ihm das Gefühl, dort den sichern Halt für Ehre zu finden, dessen er jetzt
bedürfte.

Er wurde in seiner Erwartung nicht getäuscht. Der Offizier, an welchen
er sich wandte, obwohl anfänglich erstaunt über Ephraims Anrede, war ein fein¬
sinniger Mann, auf welchen Ephraims Natur in sympathetischer Weise wirkte.
Die dunkeln, glühenden Angen sagten ihm deutlich, wie ernstlich das Anliegen
sei, welches ihm vorgetragen wurde, und Ephraims ganzes Gebahren zeigte den
Gentleman. Er las die Karte, welche ihm dieser überreichte, und so unge¬
wöhnlich auch ein solcher Schritt ihm vorkam und so wenig er in das Fest
hineinpaßte, denn der Offizier merkte alsbald, um was es sich handelte, beschloß
er doch, dein fremden Jüngling beizustehen. Nur wollte er zuvor versuchen
einen Streit beizulegen, der ihm selbst sehr störend war und in den sich zu
mischen ihn nur der Eindrnck von Ephraims Persönlichkeit bewog. Nachdem ihm
dieser daher die Beleidigung erzählt hatte, welche ihm zugefügt worden war, machte
er ihn mit einem Achselzucken und in einer leichten Manier, die darauf berechnet
war, die Erregtheit Ephraims zu mildern, darauf aufmerksam, daß der öster¬
reichische Offizier ein geborner Ungar, ein Graf Ujfalvy sei, dessen mangelhafte
Kenntnis der deutschen Sprache und rasches Wesen vielleicht eine Beleidigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/99>, abgerufen am 05.07.2024.