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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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kenntnisfrage gewonnen haben. Die ersteren haben seit mehr als drei Jahr¬
zehnten eine Parteiorganisation in der Gnadaner Konferenz angenonunen, die
letzteren haben im Anfang der siebziger Jahre die evangelische Vereinigung in
Halle, die sogenannte Mittelpartei gegründet. Zwischen beide ist die Partei der
Pvsitivunirten, die sogenannte Kösener Konferenz getreten, eine Partei, die sich
von der letztgenannten mehr durch die Personen der Führer als durch innere
Fragen uuterscheidet. Diese Parteien haben dnrch die kirchenpolitische Ent¬
wicklung der letzten zehn Jahre reiches Streitmaterial erhalten. Die Organi¬
sation der Landeskirche in Preußen und die parlamentarischen Formen der
synodalen Verhandlungen forderten zum Disputiren heraus, und ein so schwie¬
riger und komplizirter Gegenstand wie der genannte bot zu vielen differirenden
Meinungen Anlaß. Das Schlimmere aber war die Verschärfung der Partci-
nnterschiede und die gegenseitige Entfremdung der Persönlichkeiten zu eiuer Zeit,
wo die Zusammenfassung aller Kräfte nötig gewesen wäre.

Bereits in der Provinzialsynode des vorigen Jahres brach sich die Er¬
kenntnis Bahn, daß die weitere Verfolgung des eingeschlagenen Weges nicht zum
Heile der Kirche gereichen werde, mau versuchte, und zwar mit einigem Erfolge,
die Klüfte, welche die Synode teilten, zu überbrücken; einen noch besseren Weg
hat nun in diesem Jahre durch Berufung der Wittenberger Konferenz einge¬
schlagen, dnrch das Unternehmen, Pastorale Arbeiten zu treiben ohne Rücksicht
ans die Partei.

Der bedeutsamste Moment der Konferenz war die Ansprache des General¬
superintendenten I). Möller, der unter tieser Bewegung der Anwesenden seinem
Hirtenamte gehorchend die Pastoren ans der Zerstreuung zu der eigentlichsten
und innerlichsten Aufgabe ihres Amtes zurückrief. Im weiteren Verlaufe wurden
denn auch in der geschickt geleiteten Versammlung nur das geistliche Amt be¬
treffende Themen behandelt. AIs bezeichnend möge noch hervorgehoben werden,
daß keine Abstimmungen vorgenommen und keine Resolutionen gefaßt wurden
mit Ausnahme des eiuen Beschlusses, daß die Konferenz bestehen und im nächsten
Jahre in Eisleben zusammentreten solle.

Wir können den Pastoren, welche entweder in Wittenberg waren oder sonst
die Absichten des Unternehmens gefördert haben, die Anerkennung nicht versagen,
daß sie in richtiger Erkenntnis der Lage zuerst den richtigen Weg eingeschlagen
haben. Die große Mehrzahl der Gemeindemitglieder wird das anerkennen.
Dürften wir doch hoffen, daß das gute Beispiel Nachcchmnng finde -- nicht
ans kirchlichem Gebiete allein, sondern auch vornehmlich auf politischem. Aber
freilich wird der Widerspruch nicht ausbleiben. Es giebt All viele, die vom
Parteikämpfe leben oder das Parteischlagwvrt für bequemer halten als selbständiges
Denken und selbständiges Arbeiten. Vor allem sind wir -- Deutsche. Aber
den guten Willen und den guten Anfang müssen wir loben.




kenntnisfrage gewonnen haben. Die ersteren haben seit mehr als drei Jahr¬
zehnten eine Parteiorganisation in der Gnadaner Konferenz angenonunen, die
letzteren haben im Anfang der siebziger Jahre die evangelische Vereinigung in
Halle, die sogenannte Mittelpartei gegründet. Zwischen beide ist die Partei der
Pvsitivunirten, die sogenannte Kösener Konferenz getreten, eine Partei, die sich
von der letztgenannten mehr durch die Personen der Führer als durch innere
Fragen uuterscheidet. Diese Parteien haben dnrch die kirchenpolitische Ent¬
wicklung der letzten zehn Jahre reiches Streitmaterial erhalten. Die Organi¬
sation der Landeskirche in Preußen und die parlamentarischen Formen der
synodalen Verhandlungen forderten zum Disputiren heraus, und ein so schwie¬
riger und komplizirter Gegenstand wie der genannte bot zu vielen differirenden
Meinungen Anlaß. Das Schlimmere aber war die Verschärfung der Partci-
nnterschiede und die gegenseitige Entfremdung der Persönlichkeiten zu eiuer Zeit,
wo die Zusammenfassung aller Kräfte nötig gewesen wäre.

Bereits in der Provinzialsynode des vorigen Jahres brach sich die Er¬
kenntnis Bahn, daß die weitere Verfolgung des eingeschlagenen Weges nicht zum
Heile der Kirche gereichen werde, mau versuchte, und zwar mit einigem Erfolge,
die Klüfte, welche die Synode teilten, zu überbrücken; einen noch besseren Weg
hat nun in diesem Jahre durch Berufung der Wittenberger Konferenz einge¬
schlagen, dnrch das Unternehmen, Pastorale Arbeiten zu treiben ohne Rücksicht
ans die Partei.

Der bedeutsamste Moment der Konferenz war die Ansprache des General¬
superintendenten I). Möller, der unter tieser Bewegung der Anwesenden seinem
Hirtenamte gehorchend die Pastoren ans der Zerstreuung zu der eigentlichsten
und innerlichsten Aufgabe ihres Amtes zurückrief. Im weiteren Verlaufe wurden
denn auch in der geschickt geleiteten Versammlung nur das geistliche Amt be¬
treffende Themen behandelt. AIs bezeichnend möge noch hervorgehoben werden,
daß keine Abstimmungen vorgenommen und keine Resolutionen gefaßt wurden
mit Ausnahme des eiuen Beschlusses, daß die Konferenz bestehen und im nächsten
Jahre in Eisleben zusammentreten solle.

Wir können den Pastoren, welche entweder in Wittenberg waren oder sonst
die Absichten des Unternehmens gefördert haben, die Anerkennung nicht versagen,
daß sie in richtiger Erkenntnis der Lage zuerst den richtigen Weg eingeschlagen
haben. Die große Mehrzahl der Gemeindemitglieder wird das anerkennen.
Dürften wir doch hoffen, daß das gute Beispiel Nachcchmnng finde — nicht
ans kirchlichem Gebiete allein, sondern auch vornehmlich auf politischem. Aber
freilich wird der Widerspruch nicht ausbleiben. Es giebt All viele, die vom
Parteikämpfe leben oder das Parteischlagwvrt für bequemer halten als selbständiges
Denken und selbständiges Arbeiten. Vor allem sind wir — Deutsche. Aber
den guten Willen und den guten Anfang müssen wir loben.




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[0094] kenntnisfrage gewonnen haben. Die ersteren haben seit mehr als drei Jahr¬ zehnten eine Parteiorganisation in der Gnadaner Konferenz angenonunen, die letzteren haben im Anfang der siebziger Jahre die evangelische Vereinigung in Halle, die sogenannte Mittelpartei gegründet. Zwischen beide ist die Partei der Pvsitivunirten, die sogenannte Kösener Konferenz getreten, eine Partei, die sich von der letztgenannten mehr durch die Personen der Führer als durch innere Fragen uuterscheidet. Diese Parteien haben dnrch die kirchenpolitische Ent¬ wicklung der letzten zehn Jahre reiches Streitmaterial erhalten. Die Organi¬ sation der Landeskirche in Preußen und die parlamentarischen Formen der synodalen Verhandlungen forderten zum Disputiren heraus, und ein so schwie¬ riger und komplizirter Gegenstand wie der genannte bot zu vielen differirenden Meinungen Anlaß. Das Schlimmere aber war die Verschärfung der Partci- nnterschiede und die gegenseitige Entfremdung der Persönlichkeiten zu eiuer Zeit, wo die Zusammenfassung aller Kräfte nötig gewesen wäre. Bereits in der Provinzialsynode des vorigen Jahres brach sich die Er¬ kenntnis Bahn, daß die weitere Verfolgung des eingeschlagenen Weges nicht zum Heile der Kirche gereichen werde, mau versuchte, und zwar mit einigem Erfolge, die Klüfte, welche die Synode teilten, zu überbrücken; einen noch besseren Weg hat nun in diesem Jahre durch Berufung der Wittenberger Konferenz einge¬ schlagen, dnrch das Unternehmen, Pastorale Arbeiten zu treiben ohne Rücksicht ans die Partei. Der bedeutsamste Moment der Konferenz war die Ansprache des General¬ superintendenten I). Möller, der unter tieser Bewegung der Anwesenden seinem Hirtenamte gehorchend die Pastoren ans der Zerstreuung zu der eigentlichsten und innerlichsten Aufgabe ihres Amtes zurückrief. Im weiteren Verlaufe wurden denn auch in der geschickt geleiteten Versammlung nur das geistliche Amt be¬ treffende Themen behandelt. AIs bezeichnend möge noch hervorgehoben werden, daß keine Abstimmungen vorgenommen und keine Resolutionen gefaßt wurden mit Ausnahme des eiuen Beschlusses, daß die Konferenz bestehen und im nächsten Jahre in Eisleben zusammentreten solle. Wir können den Pastoren, welche entweder in Wittenberg waren oder sonst die Absichten des Unternehmens gefördert haben, die Anerkennung nicht versagen, daß sie in richtiger Erkenntnis der Lage zuerst den richtigen Weg eingeschlagen haben. Die große Mehrzahl der Gemeindemitglieder wird das anerkennen. Dürften wir doch hoffen, daß das gute Beispiel Nachcchmnng finde — nicht ans kirchlichem Gebiete allein, sondern auch vornehmlich auf politischem. Aber freilich wird der Widerspruch nicht ausbleiben. Es giebt All viele, die vom Parteikämpfe leben oder das Parteischlagwvrt für bequemer halten als selbständiges Denken und selbständiges Arbeiten. Vor allem sind wir — Deutsche. Aber den guten Willen und den guten Anfang müssen wir loben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/94>, abgerufen am 22.07.2024.