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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Programmmnsik, Tonmalerei und musikalischer Kolorismus.

so hat sie diesen Vorzug jener höchsten Eigenschaft zu danken, jede innere Re¬
gung ohne Mithilfe der so mannichfachen lind doch so beschränkten Formen des
Verstandes mitteilen zu können, was diese schließlich doch nur ermöglichen, indem
sie unsere Affekte bestätigen lind beschreiben. Die volle Intensität der letzteren
unmittelbar ausdrücken können sie nicht oder nur annähernd, weil sie gezwungen
sind, es durch Bilder und Vergleiche zu thun. Die Musik dagegen giebt gleich¬
zeitig Stärke und Ausdruck des Gefühls; sie ist verkörperte, faßbare Wesenheit des
Geistes. . . . Das Gefühl selbst lebt und leuchtet in der Musik ohne bildliche
Verkleidung, ohne vermittelnde That, ohne vermittelnden Gedanken. . . . Einzig
in der Musik hebt das lebendig gegenwärtige, ausstrahlende Gefühl den Bann
auf, welcher mit den Leiden irdischer Ohnmacht unsern Geist belastet.

Hier könnte ich abbrechen, den Namen des Autors dieser weisen und wahren
Zeilen darunterschreiben und alles weitere dem Leser überlassen. Ich würde dann
schon ungefähr das gethan haben, was ich thun will, nämlich einen Beitrag lie¬
fern zur Ausgleichung des Gegensatzes zwischen den Verfechtern der Progrnmm-
mnsik und denen der absoluten Musik. Ist doch gerade der Mann der Ver¬
fasser jener Worte, den man als den Vertreter der extremsten Richtung der
Programmmusik anzusehen gewohnt ist -- Franz Liszt.") Wenn ich dennoch
diesen Aussprüchen des von seinen Anhängern ebenso glühend verehrten wie von
seinen Feinden verunglimpften Meisters einige spezialisirende Gedanken nicht über
die absolute, sondern über die darstellende Musik folgen lasse, so geschieht dies
hauptsächlich, um die in der Überschrift genannten Begriffe, die vielfach kvnfun-
dirt werden, schärfer zu unterscheiden und besonders den letzten bisher weniger
beachteten den: Gemeinbcwnßtsein nüherzurückcn und ihn in die ästhetische Ter¬
min vio gie einzuführen.

Von jeher hat das Kolorit in der Musik sogut eine Rolle gespielt wie in
der Malerei. Selbst in der unisoneu, nnbegleiteten Vokalmusik der urciltestcn
Zeiten konnte es nicht unbeachtet bleiben, daß derselbe Gesang ganz anders
klingt, wenn er von einer Baßstimme statt von einer Tenorstimme, oder wenn
er von einer Frauenstimme statt von einer Männerstimme vorgetragen wird,
ja daß die verschiedene Klangfarbe des tiefen und hohen Registers derselben
Stimme dem Kolorit einen bedeutsamen Anteil um der Wirkung des Gesangs-
vortrags anweist. In neuester Zeit tritt aber die Verwertung des ästhetischen
Eindrucks der Klangfarben in einer Weise in den Vordergrund, daß man be¬
rechtigt ist, vom Kolorismus als einer ausgeprägten Kunstrichtung unsrer Tage
zu reden. Daß durch die damit bewirkte Verfeinerung des musikalischen Farben¬
sinns und die erhöhte technische Beherrschung der Farbengebung der Kunst ein



--) Berlioz und seine Harold-Symphonie. Heft 35 und 36 der "Sammlung musikalische
Vorträge" (Leipzig, Breitkopf Ä Hcirtel, 1881). Abdruck aus dem 4. Bande der Gesammelte
Schriften von Franz Lißt (herausgegeben von L. Ramann),
Programmmnsik, Tonmalerei und musikalischer Kolorismus.

so hat sie diesen Vorzug jener höchsten Eigenschaft zu danken, jede innere Re¬
gung ohne Mithilfe der so mannichfachen lind doch so beschränkten Formen des
Verstandes mitteilen zu können, was diese schließlich doch nur ermöglichen, indem
sie unsere Affekte bestätigen lind beschreiben. Die volle Intensität der letzteren
unmittelbar ausdrücken können sie nicht oder nur annähernd, weil sie gezwungen
sind, es durch Bilder und Vergleiche zu thun. Die Musik dagegen giebt gleich¬
zeitig Stärke und Ausdruck des Gefühls; sie ist verkörperte, faßbare Wesenheit des
Geistes. . . . Das Gefühl selbst lebt und leuchtet in der Musik ohne bildliche
Verkleidung, ohne vermittelnde That, ohne vermittelnden Gedanken. . . . Einzig
in der Musik hebt das lebendig gegenwärtige, ausstrahlende Gefühl den Bann
auf, welcher mit den Leiden irdischer Ohnmacht unsern Geist belastet.

Hier könnte ich abbrechen, den Namen des Autors dieser weisen und wahren
Zeilen darunterschreiben und alles weitere dem Leser überlassen. Ich würde dann
schon ungefähr das gethan haben, was ich thun will, nämlich einen Beitrag lie¬
fern zur Ausgleichung des Gegensatzes zwischen den Verfechtern der Progrnmm-
mnsik und denen der absoluten Musik. Ist doch gerade der Mann der Ver¬
fasser jener Worte, den man als den Vertreter der extremsten Richtung der
Programmmusik anzusehen gewohnt ist — Franz Liszt.") Wenn ich dennoch
diesen Aussprüchen des von seinen Anhängern ebenso glühend verehrten wie von
seinen Feinden verunglimpften Meisters einige spezialisirende Gedanken nicht über
die absolute, sondern über die darstellende Musik folgen lasse, so geschieht dies
hauptsächlich, um die in der Überschrift genannten Begriffe, die vielfach kvnfun-
dirt werden, schärfer zu unterscheiden und besonders den letzten bisher weniger
beachteten den: Gemeinbcwnßtsein nüherzurückcn und ihn in die ästhetische Ter¬
min vio gie einzuführen.

Von jeher hat das Kolorit in der Musik sogut eine Rolle gespielt wie in
der Malerei. Selbst in der unisoneu, nnbegleiteten Vokalmusik der urciltestcn
Zeiten konnte es nicht unbeachtet bleiben, daß derselbe Gesang ganz anders
klingt, wenn er von einer Baßstimme statt von einer Tenorstimme, oder wenn
er von einer Frauenstimme statt von einer Männerstimme vorgetragen wird,
ja daß die verschiedene Klangfarbe des tiefen und hohen Registers derselben
Stimme dem Kolorit einen bedeutsamen Anteil um der Wirkung des Gesangs-
vortrags anweist. In neuester Zeit tritt aber die Verwertung des ästhetischen
Eindrucks der Klangfarben in einer Weise in den Vordergrund, daß man be¬
rechtigt ist, vom Kolorismus als einer ausgeprägten Kunstrichtung unsrer Tage
zu reden. Daß durch die damit bewirkte Verfeinerung des musikalischen Farben¬
sinns und die erhöhte technische Beherrschung der Farbengebung der Kunst ein



--) Berlioz und seine Harold-Symphonie. Heft 35 und 36 der „Sammlung musikalische
Vorträge" (Leipzig, Breitkopf Ä Hcirtel, 1881). Abdruck aus dem 4. Bande der Gesammelte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/84>, abgerufen am 22.07.2024.