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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Programmmnsik, Tonmalerei und musikalischer Rolorismus.

seiner zufälligen Lebensbedingungen hinaus. Aber ein Charakter kann er nur
werden, wenn alle die Vorzüge und Schwächen, die als Erbstücke nationaler
Entwicklung in ihm liegen, hindernd und fördernd, je nachdem, auf ihn wirkten
und von seinem bewußten Willen zum Ausbau seines Lebensplaus herbeigezogen
wurden. Nur Charaktere aber können handeln, und wo es gilt, die Menschen
zu unentwegtem Handeln für das Wohl ihres Geschlechts zu erziehen, ist es
vorläufig bedenklich, sie vom nationalen Boden hinweg auf den wenig gefestigten
eines allgemeinen Menschheitsideals zu stellen.

Nun ist es soviel des Tadels und des Lobes so wenig geworden. Und
doch liegt ein Lob, kräftiger als aller Tadel, in den Zeilen selbst, die wir jetzt
beschließen. Was einen Menschen anregen kann, sich über das Höchste, was
Kopf und Herz erfüllt, Rechenschaft abzulegen, das ist gewiß von tieferem Wert,
als daß es durch Worte des Tadels herabgesetzt werden könnte. Und so möge sich
unser Buch nur Leser erwerben, so wird es ihm auch uicht an Freunden fehlen.


G. Härtung.


Programmmusik, Tonmalerei und musikalischer
Kolorismus.
Von Hugo Riemann.

ag der Himmel verhüten, daß jemand im Eifer des Dozirens
über Nutzen, Berechtigung und Vorteil des Programms dem alten
Glauben abschwören sollte mit dem Vorgeben, die himmlische Kunst
sei nicht um ihrer selbst willen da, sie finde kein Genüge in sich,
entzünde sich nicht am eignen Gottesfunken und habe nur Wert
als Repräsentantin eines Gedankens, als Verstärkung des Wortes! Wenn zwischen
einer solchen Versündigung an der Kunst und der gänzlichen Ablehnung des
Programms gewählt werden müßte, dann wäre unbedingt vorzuziehen, eine ihrer
reichsten Quellen eher versiegen zu lassen, als durch Verleugnung ihres Be¬
stehens durch eigene Kraft ihren Lebensnerv zerschneiden zu wollen. Das Ge¬
fühl inkarnirt sich in der reinen Musik, ohne wie es bei seinen übrigen Erschei-
nungsmomenten, bei den meisten Künsten und insbesondre bei denen des Wortes
der Fall ist, seiue Strahlen am Gedanken brechen, ohne notwendig sich mit ihm
verbinden zu müssen. Wenn die Musik einen Vorzug vor den andern Mitteln
besitzt und der Mensch durch sie die Eindrücke seiner Seele wiedergeben kann,


Programmmnsik, Tonmalerei und musikalischer Rolorismus.

seiner zufälligen Lebensbedingungen hinaus. Aber ein Charakter kann er nur
werden, wenn alle die Vorzüge und Schwächen, die als Erbstücke nationaler
Entwicklung in ihm liegen, hindernd und fördernd, je nachdem, auf ihn wirkten
und von seinem bewußten Willen zum Ausbau seines Lebensplaus herbeigezogen
wurden. Nur Charaktere aber können handeln, und wo es gilt, die Menschen
zu unentwegtem Handeln für das Wohl ihres Geschlechts zu erziehen, ist es
vorläufig bedenklich, sie vom nationalen Boden hinweg auf den wenig gefestigten
eines allgemeinen Menschheitsideals zu stellen.

Nun ist es soviel des Tadels und des Lobes so wenig geworden. Und
doch liegt ein Lob, kräftiger als aller Tadel, in den Zeilen selbst, die wir jetzt
beschließen. Was einen Menschen anregen kann, sich über das Höchste, was
Kopf und Herz erfüllt, Rechenschaft abzulegen, das ist gewiß von tieferem Wert,
als daß es durch Worte des Tadels herabgesetzt werden könnte. Und so möge sich
unser Buch nur Leser erwerben, so wird es ihm auch uicht an Freunden fehlen.


G. Härtung.


Programmmusik, Tonmalerei und musikalischer
Kolorismus.
Von Hugo Riemann.

ag der Himmel verhüten, daß jemand im Eifer des Dozirens
über Nutzen, Berechtigung und Vorteil des Programms dem alten
Glauben abschwören sollte mit dem Vorgeben, die himmlische Kunst
sei nicht um ihrer selbst willen da, sie finde kein Genüge in sich,
entzünde sich nicht am eignen Gottesfunken und habe nur Wert
als Repräsentantin eines Gedankens, als Verstärkung des Wortes! Wenn zwischen
einer solchen Versündigung an der Kunst und der gänzlichen Ablehnung des
Programms gewählt werden müßte, dann wäre unbedingt vorzuziehen, eine ihrer
reichsten Quellen eher versiegen zu lassen, als durch Verleugnung ihres Be¬
stehens durch eigene Kraft ihren Lebensnerv zerschneiden zu wollen. Das Ge¬
fühl inkarnirt sich in der reinen Musik, ohne wie es bei seinen übrigen Erschei-
nungsmomenten, bei den meisten Künsten und insbesondre bei denen des Wortes
der Fall ist, seiue Strahlen am Gedanken brechen, ohne notwendig sich mit ihm
verbinden zu müssen. Wenn die Musik einen Vorzug vor den andern Mitteln
besitzt und der Mensch durch sie die Eindrücke seiner Seele wiedergeben kann,


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[0083] Programmmnsik, Tonmalerei und musikalischer Rolorismus. seiner zufälligen Lebensbedingungen hinaus. Aber ein Charakter kann er nur werden, wenn alle die Vorzüge und Schwächen, die als Erbstücke nationaler Entwicklung in ihm liegen, hindernd und fördernd, je nachdem, auf ihn wirkten und von seinem bewußten Willen zum Ausbau seines Lebensplaus herbeigezogen wurden. Nur Charaktere aber können handeln, und wo es gilt, die Menschen zu unentwegtem Handeln für das Wohl ihres Geschlechts zu erziehen, ist es vorläufig bedenklich, sie vom nationalen Boden hinweg auf den wenig gefestigten eines allgemeinen Menschheitsideals zu stellen. Nun ist es soviel des Tadels und des Lobes so wenig geworden. Und doch liegt ein Lob, kräftiger als aller Tadel, in den Zeilen selbst, die wir jetzt beschließen. Was einen Menschen anregen kann, sich über das Höchste, was Kopf und Herz erfüllt, Rechenschaft abzulegen, das ist gewiß von tieferem Wert, als daß es durch Worte des Tadels herabgesetzt werden könnte. Und so möge sich unser Buch nur Leser erwerben, so wird es ihm auch uicht an Freunden fehlen. G. Härtung. Programmmusik, Tonmalerei und musikalischer Kolorismus. Von Hugo Riemann. ag der Himmel verhüten, daß jemand im Eifer des Dozirens über Nutzen, Berechtigung und Vorteil des Programms dem alten Glauben abschwören sollte mit dem Vorgeben, die himmlische Kunst sei nicht um ihrer selbst willen da, sie finde kein Genüge in sich, entzünde sich nicht am eignen Gottesfunken und habe nur Wert als Repräsentantin eines Gedankens, als Verstärkung des Wortes! Wenn zwischen einer solchen Versündigung an der Kunst und der gänzlichen Ablehnung des Programms gewählt werden müßte, dann wäre unbedingt vorzuziehen, eine ihrer reichsten Quellen eher versiegen zu lassen, als durch Verleugnung ihres Be¬ stehens durch eigene Kraft ihren Lebensnerv zerschneiden zu wollen. Das Ge¬ fühl inkarnirt sich in der reinen Musik, ohne wie es bei seinen übrigen Erschei- nungsmomenten, bei den meisten Künsten und insbesondre bei denen des Wortes der Fall ist, seiue Strahlen am Gedanken brechen, ohne notwendig sich mit ihm verbinden zu müssen. Wenn die Musik einen Vorzug vor den andern Mitteln besitzt und der Mensch durch sie die Eindrücke seiner Seele wiedergeben kann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/83>, abgerufen am 22.07.2024.