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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das Aufgebot geistiger Kraft, mit dem gleichwohl hier die ganze Er-
scheinungswelt zu Gunsten einer unhaltbaren Theorie durchdacht worden ist,
findet ihr Seitenstück in der Sorgfalt, die im dritten Teile des Werks auf dem
Grunde einer neuen Weltauffassung das Gebäude einer künftigen Zivilisation
errichtet. Mag manche unausführbare Idee, manche Unter- und Überschätzung
einzelner Gebiete menschlichen Kulturlebens mit unterlaufen, so ist doch das
Prinzip, eben jene grundlegende neue Auffassung, ohne Zweifel berechtigt und wahr.

Indem die Religionsübung früherer Jahrhunderte das jenseitige Leben in
einen schroffen Gegensatz zu dem irdischen als einem niedrigern und unreinen
stellte, hat sie dessen Entwicklung durch eine sehr lange Zeit gehemmt. Die
Folge war naturgemäß eine vom religiösen Gedanken gänzlich abgekehrte Aus¬
bildung des Diesseits, sobald die Anregung dazu durch audere Umstände ge¬
geben war. Daran krankt unsere Zeit, und es gilt nun, in der oben angedeu¬
teten Weise die sittlichen Ideen wieder lebendig zu machen und eine Harmonie
zwischen den beiden bestimmenden Mächten des Menschenlebens zu gewinnen.
Mit ungemeiner Anschaulichkeit sind diese Verhältnisse im zweiten Teile des
Werkes dargestellt; vor allem ist die Entwicklung des Gottesgedankens seit den
Tagen der alten orientalischen Weltreiche so klar und tief, daß wir ihr kaum
etwas an die Seite zu stellen wüßten; was trotzdem etwa noch zu erinnernist,
berührt die Hauptsache nicht. Daß von dem Zwiespalt modernen Lebens auch
unsre Kunst angekränkelt ist, muß leider zugegeben werden; nur sind die höchsten
Blüten derselben doch gesund. Auch einem neuen Zeitalter wird es schwerlich
gelingen, das Ringen des Menschen zur Einheit mit sich selbst erschütternder
und in reinerer Schönheit darzustellen, als wie es im "Faust" geschehen ist,
die Welt der Töne zum Preise rein menschlicher Empfindung ergreifender er¬
klingen zu lassen als im "Fidelio." Gerade diese beiden wollen im Sinne
Plancks die Durchdringung des Menschen von den übersinnlichen Mächten und
die Aufopferung des Ichs im Dienste der Menschheit. Auch das Urteil über
Kant entspringt wohl einer einseitigen Auffassung. Das Ding an sich, das
hinter der Erscheinungswelt liegt, involvirt doch in der That keine unüberschreit-
bare Klust zwischen beiden; ganz im Gegenteil ist durch die Betonung der Sub¬
jektivität unserer Erkenntnis eine unlösliche Verbindung zwischen Sinnlichen und
Absoluten hergestellt.

Und zum Schlüsse noch ein Drittes. Der Traum vou einer fernen Zeit
ewigen Friedens, zu dem das Leben innerhalb der Nationen nur einen Durch¬
gangspunkt bildet, hat die Menschheit von jeher zu mächtig bewegt, als daß
die jetzige Form des Völkerlebens ohne weiteres für unabänderlich gelten dürfte.
Allein in irgend absehbarer Zeit wird sich doch eine tüchtige, von den Zwecken
der Menschheit durchdrungene Individualität mir entwickeln können, wenn sie
vom Marke nationalen Lebens genährt wird. Sicherlich wächst der Einzelne in
dem Grade, als sich der Horizont seines Denkens erweitert, über die Schranken


Das Aufgebot geistiger Kraft, mit dem gleichwohl hier die ganze Er-
scheinungswelt zu Gunsten einer unhaltbaren Theorie durchdacht worden ist,
findet ihr Seitenstück in der Sorgfalt, die im dritten Teile des Werks auf dem
Grunde einer neuen Weltauffassung das Gebäude einer künftigen Zivilisation
errichtet. Mag manche unausführbare Idee, manche Unter- und Überschätzung
einzelner Gebiete menschlichen Kulturlebens mit unterlaufen, so ist doch das
Prinzip, eben jene grundlegende neue Auffassung, ohne Zweifel berechtigt und wahr.

Indem die Religionsübung früherer Jahrhunderte das jenseitige Leben in
einen schroffen Gegensatz zu dem irdischen als einem niedrigern und unreinen
stellte, hat sie dessen Entwicklung durch eine sehr lange Zeit gehemmt. Die
Folge war naturgemäß eine vom religiösen Gedanken gänzlich abgekehrte Aus¬
bildung des Diesseits, sobald die Anregung dazu durch audere Umstände ge¬
geben war. Daran krankt unsere Zeit, und es gilt nun, in der oben angedeu¬
teten Weise die sittlichen Ideen wieder lebendig zu machen und eine Harmonie
zwischen den beiden bestimmenden Mächten des Menschenlebens zu gewinnen.
Mit ungemeiner Anschaulichkeit sind diese Verhältnisse im zweiten Teile des
Werkes dargestellt; vor allem ist die Entwicklung des Gottesgedankens seit den
Tagen der alten orientalischen Weltreiche so klar und tief, daß wir ihr kaum
etwas an die Seite zu stellen wüßten; was trotzdem etwa noch zu erinnernist,
berührt die Hauptsache nicht. Daß von dem Zwiespalt modernen Lebens auch
unsre Kunst angekränkelt ist, muß leider zugegeben werden; nur sind die höchsten
Blüten derselben doch gesund. Auch einem neuen Zeitalter wird es schwerlich
gelingen, das Ringen des Menschen zur Einheit mit sich selbst erschütternder
und in reinerer Schönheit darzustellen, als wie es im „Faust" geschehen ist,
die Welt der Töne zum Preise rein menschlicher Empfindung ergreifender er¬
klingen zu lassen als im „Fidelio." Gerade diese beiden wollen im Sinne
Plancks die Durchdringung des Menschen von den übersinnlichen Mächten und
die Aufopferung des Ichs im Dienste der Menschheit. Auch das Urteil über
Kant entspringt wohl einer einseitigen Auffassung. Das Ding an sich, das
hinter der Erscheinungswelt liegt, involvirt doch in der That keine unüberschreit-
bare Klust zwischen beiden; ganz im Gegenteil ist durch die Betonung der Sub¬
jektivität unserer Erkenntnis eine unlösliche Verbindung zwischen Sinnlichen und
Absoluten hergestellt.

Und zum Schlüsse noch ein Drittes. Der Traum vou einer fernen Zeit
ewigen Friedens, zu dem das Leben innerhalb der Nationen nur einen Durch¬
gangspunkt bildet, hat die Menschheit von jeher zu mächtig bewegt, als daß
die jetzige Form des Völkerlebens ohne weiteres für unabänderlich gelten dürfte.
Allein in irgend absehbarer Zeit wird sich doch eine tüchtige, von den Zwecken
der Menschheit durchdrungene Individualität mir entwickeln können, wenn sie
vom Marke nationalen Lebens genährt wird. Sicherlich wächst der Einzelne in
dem Grade, als sich der Horizont seines Denkens erweitert, über die Schranken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/82>, abgerufen am 22.07.2024.