Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

erhob die Opposition ein Triumphgeschrei. Sie hatte Andrassy hinweggeärgert,
sie hoffte ans dieselbe Manier Tanffe zu überwinden. Aber der hat ein andres
Temperament. Doch so viel Schuld die Opposition sich aufgebürdet hat, kann
man sie doch nicht für alles verantwortlich machen, was seitdem geschehen ist. Mit
Recht rückt unser Alltor dein leitenden Minister als größten Fehler die Zersprengung
der Mittelpnrtei vor, welche hauptsächlich aus deutschgesinnten Abgeordneten des
großen Grundbesitzes zusammengesetzt war. Sie teilte das Schicksal aller Mittel-
Parteien, den Extremen auf beiden Seiten unbequem zu sein, der Linken als
konservative, der Rechten als deutsche Fraktion. Alle vorausgegangenen Regie¬
rungen hatten dieses gemäßigte Element zu würdigen gewußt, für den Grafen
Tnaffe war es um so wichtiger, als dies allein ihm die Möglichkeit gewährte,
sich "über den Parteien" zu halten. Durch seinen Einfluß aber, durch An¬
wendung des unmittelbare"! Appells an die dynastischen Gefühle des deutschen
Hochadels in Böhmen, wurde dieser, der die Majorität in den Händen hatte,
bewogen den Feudalen eine Anzahl Sitze zu überlassen. Welche Vereinbarung
zu dem Zweck getroffen worden war, ist nicht bekannt, aber nach den scharfen
Angriffen des Fürsten Carlos Auersperg auf deu Ministerpräsidenten und nach
den Andeutungen in dem vorliegenden Buche läßt es sich erraten. Es scheint
in Aussicht gestellt wordeu zu sein, daß die gewühlten Feudalen ein rechtes
Zentrum bilden würden neben dem linken ihrer Landes- und Standesgenossen,
und so zahlreiche Differenzpunkte es auch zwischen beideu Fraktionell gegeben
habe" würde, wäre es immer noch denkbar, daß die Negierung sich auf beide
gestützt hätte, um weder der Rechten noch der Linken zu verfallen und das an¬
gekündigte Versöhnungswerk durchführe,: zu köunen. Die Feudalen aber schlossen
sich sofort den Tschechen an, wurden die eifrigsten Förderer der innigen Ver¬
brüderung derselben mit Polen und Klerikalen. Die natürliche Folge war, daß
die deutschen Großgrundbesitzer nun auch in die große Partei der Opposition
eintraten und daß das Ministerium keinen Schutz mehr hat gegen das "Exe¬
kutivkomitee" der vereinigten Gruppen der Rechten.

Über die doch sehr befremdliche Erscheinung, daß Deutsche aus Tirol, Salz¬
burg, Steiermark, Ober- und Niederösterreich Arm in Arm mit den Slaven
marschiren, geht der Verfasser merkwürdigerweise oberflächlich hinweg. Dies
Bündnis aber verschuldet wiederum die Verfassungspartei, welcher Name der
Kürze halber auch für jene Zeit beibehalten werden kann, in der er uoch nicht
üblich war. So lange sie nur das System bekämpfte, welches in dem Kon¬
kordat seinen Ausdruck gefunden hatte, war die Zahl ihrer Gegner in den deutschen
Ländern äußerst gering. Der österreichische Klerus darf ja im großen und ganzen
freisinnig genannt werden; es haben sich innerhalb desselben jene Traditionen
erhalten, welche ein friedliches Zusammenleben der Konfessionen, ein harmonisches
Zusammenwirken von Staat und Kirche ermöglichen. Namentlich die Benedik¬
tiner und Cisterzienser erblicken ihre Ausgabe in der Seelsorge, der Erziehung


erhob die Opposition ein Triumphgeschrei. Sie hatte Andrassy hinweggeärgert,
sie hoffte ans dieselbe Manier Tanffe zu überwinden. Aber der hat ein andres
Temperament. Doch so viel Schuld die Opposition sich aufgebürdet hat, kann
man sie doch nicht für alles verantwortlich machen, was seitdem geschehen ist. Mit
Recht rückt unser Alltor dein leitenden Minister als größten Fehler die Zersprengung
der Mittelpnrtei vor, welche hauptsächlich aus deutschgesinnten Abgeordneten des
großen Grundbesitzes zusammengesetzt war. Sie teilte das Schicksal aller Mittel-
Parteien, den Extremen auf beiden Seiten unbequem zu sein, der Linken als
konservative, der Rechten als deutsche Fraktion. Alle vorausgegangenen Regie¬
rungen hatten dieses gemäßigte Element zu würdigen gewußt, für den Grafen
Tnaffe war es um so wichtiger, als dies allein ihm die Möglichkeit gewährte,
sich „über den Parteien" zu halten. Durch seinen Einfluß aber, durch An¬
wendung des unmittelbare«! Appells an die dynastischen Gefühle des deutschen
Hochadels in Böhmen, wurde dieser, der die Majorität in den Händen hatte,
bewogen den Feudalen eine Anzahl Sitze zu überlassen. Welche Vereinbarung
zu dem Zweck getroffen worden war, ist nicht bekannt, aber nach den scharfen
Angriffen des Fürsten Carlos Auersperg auf deu Ministerpräsidenten und nach
den Andeutungen in dem vorliegenden Buche läßt es sich erraten. Es scheint
in Aussicht gestellt wordeu zu sein, daß die gewühlten Feudalen ein rechtes
Zentrum bilden würden neben dem linken ihrer Landes- und Standesgenossen,
und so zahlreiche Differenzpunkte es auch zwischen beideu Fraktionell gegeben
habe» würde, wäre es immer noch denkbar, daß die Negierung sich auf beide
gestützt hätte, um weder der Rechten noch der Linken zu verfallen und das an¬
gekündigte Versöhnungswerk durchführe,: zu köunen. Die Feudalen aber schlossen
sich sofort den Tschechen an, wurden die eifrigsten Förderer der innigen Ver¬
brüderung derselben mit Polen und Klerikalen. Die natürliche Folge war, daß
die deutschen Großgrundbesitzer nun auch in die große Partei der Opposition
eintraten und daß das Ministerium keinen Schutz mehr hat gegen das „Exe¬
kutivkomitee" der vereinigten Gruppen der Rechten.

Über die doch sehr befremdliche Erscheinung, daß Deutsche aus Tirol, Salz¬
burg, Steiermark, Ober- und Niederösterreich Arm in Arm mit den Slaven
marschiren, geht der Verfasser merkwürdigerweise oberflächlich hinweg. Dies
Bündnis aber verschuldet wiederum die Verfassungspartei, welcher Name der
Kürze halber auch für jene Zeit beibehalten werden kann, in der er uoch nicht
üblich war. So lange sie nur das System bekämpfte, welches in dem Kon¬
kordat seinen Ausdruck gefunden hatte, war die Zahl ihrer Gegner in den deutschen
Ländern äußerst gering. Der österreichische Klerus darf ja im großen und ganzen
freisinnig genannt werden; es haben sich innerhalb desselben jene Traditionen
erhalten, welche ein friedliches Zusammenleben der Konfessionen, ein harmonisches
Zusammenwirken von Staat und Kirche ermöglichen. Namentlich die Benedik¬
tiner und Cisterzienser erblicken ihre Ausgabe in der Seelsorge, der Erziehung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193413"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_235" prev="#ID_234"> erhob die Opposition ein Triumphgeschrei. Sie hatte Andrassy hinweggeärgert,<lb/>
sie hoffte ans dieselbe Manier Tanffe zu überwinden. Aber der hat ein andres<lb/>
Temperament. Doch so viel Schuld die Opposition sich aufgebürdet hat, kann<lb/>
man sie doch nicht für alles verantwortlich machen, was seitdem geschehen ist. Mit<lb/>
Recht rückt unser Alltor dein leitenden Minister als größten Fehler die Zersprengung<lb/>
der Mittelpnrtei vor, welche hauptsächlich aus deutschgesinnten Abgeordneten des<lb/>
großen Grundbesitzes zusammengesetzt war. Sie teilte das Schicksal aller Mittel-<lb/>
Parteien, den Extremen auf beiden Seiten unbequem zu sein, der Linken als<lb/>
konservative, der Rechten als deutsche Fraktion. Alle vorausgegangenen Regie¬<lb/>
rungen hatten dieses gemäßigte Element zu würdigen gewußt, für den Grafen<lb/>
Tnaffe war es um so wichtiger, als dies allein ihm die Möglichkeit gewährte,<lb/>
sich &#x201E;über den Parteien" zu halten. Durch seinen Einfluß aber, durch An¬<lb/>
wendung des unmittelbare«! Appells an die dynastischen Gefühle des deutschen<lb/>
Hochadels in Böhmen, wurde dieser, der die Majorität in den Händen hatte,<lb/>
bewogen den Feudalen eine Anzahl Sitze zu überlassen. Welche Vereinbarung<lb/>
zu dem Zweck getroffen worden war, ist nicht bekannt, aber nach den scharfen<lb/>
Angriffen des Fürsten Carlos Auersperg auf deu Ministerpräsidenten und nach<lb/>
den Andeutungen in dem vorliegenden Buche läßt es sich erraten. Es scheint<lb/>
in Aussicht gestellt wordeu zu sein, daß die gewühlten Feudalen ein rechtes<lb/>
Zentrum bilden würden neben dem linken ihrer Landes- und Standesgenossen,<lb/>
und so zahlreiche Differenzpunkte es auch zwischen beideu Fraktionell gegeben<lb/>
habe» würde, wäre es immer noch denkbar, daß die Negierung sich auf beide<lb/>
gestützt hätte, um weder der Rechten noch der Linken zu verfallen und das an¬<lb/>
gekündigte Versöhnungswerk durchführe,: zu köunen. Die Feudalen aber schlossen<lb/>
sich sofort den Tschechen an, wurden die eifrigsten Förderer der innigen Ver¬<lb/>
brüderung derselben mit Polen und Klerikalen. Die natürliche Folge war, daß<lb/>
die deutschen Großgrundbesitzer nun auch in die große Partei der Opposition<lb/>
eintraten und daß das Ministerium keinen Schutz mehr hat gegen das &#x201E;Exe¬<lb/>
kutivkomitee" der vereinigten Gruppen der Rechten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Über die doch sehr befremdliche Erscheinung, daß Deutsche aus Tirol, Salz¬<lb/>
burg, Steiermark, Ober- und Niederösterreich Arm in Arm mit den Slaven<lb/>
marschiren, geht der Verfasser merkwürdigerweise oberflächlich hinweg. Dies<lb/>
Bündnis aber verschuldet wiederum die Verfassungspartei, welcher Name der<lb/>
Kürze halber auch für jene Zeit beibehalten werden kann, in der er uoch nicht<lb/>
üblich war. So lange sie nur das System bekämpfte, welches in dem Kon¬<lb/>
kordat seinen Ausdruck gefunden hatte, war die Zahl ihrer Gegner in den deutschen<lb/>
Ländern äußerst gering. Der österreichische Klerus darf ja im großen und ganzen<lb/>
freisinnig genannt werden; es haben sich innerhalb desselben jene Traditionen<lb/>
erhalten, welche ein friedliches Zusammenleben der Konfessionen, ein harmonisches<lb/>
Zusammenwirken von Staat und Kirche ermöglichen. Namentlich die Benedik¬<lb/>
tiner und Cisterzienser erblicken ihre Ausgabe in der Seelsorge, der Erziehung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] erhob die Opposition ein Triumphgeschrei. Sie hatte Andrassy hinweggeärgert, sie hoffte ans dieselbe Manier Tanffe zu überwinden. Aber der hat ein andres Temperament. Doch so viel Schuld die Opposition sich aufgebürdet hat, kann man sie doch nicht für alles verantwortlich machen, was seitdem geschehen ist. Mit Recht rückt unser Alltor dein leitenden Minister als größten Fehler die Zersprengung der Mittelpnrtei vor, welche hauptsächlich aus deutschgesinnten Abgeordneten des großen Grundbesitzes zusammengesetzt war. Sie teilte das Schicksal aller Mittel- Parteien, den Extremen auf beiden Seiten unbequem zu sein, der Linken als konservative, der Rechten als deutsche Fraktion. Alle vorausgegangenen Regie¬ rungen hatten dieses gemäßigte Element zu würdigen gewußt, für den Grafen Tnaffe war es um so wichtiger, als dies allein ihm die Möglichkeit gewährte, sich „über den Parteien" zu halten. Durch seinen Einfluß aber, durch An¬ wendung des unmittelbare«! Appells an die dynastischen Gefühle des deutschen Hochadels in Böhmen, wurde dieser, der die Majorität in den Händen hatte, bewogen den Feudalen eine Anzahl Sitze zu überlassen. Welche Vereinbarung zu dem Zweck getroffen worden war, ist nicht bekannt, aber nach den scharfen Angriffen des Fürsten Carlos Auersperg auf deu Ministerpräsidenten und nach den Andeutungen in dem vorliegenden Buche läßt es sich erraten. Es scheint in Aussicht gestellt wordeu zu sein, daß die gewühlten Feudalen ein rechtes Zentrum bilden würden neben dem linken ihrer Landes- und Standesgenossen, und so zahlreiche Differenzpunkte es auch zwischen beideu Fraktionell gegeben habe» würde, wäre es immer noch denkbar, daß die Negierung sich auf beide gestützt hätte, um weder der Rechten noch der Linken zu verfallen und das an¬ gekündigte Versöhnungswerk durchführe,: zu köunen. Die Feudalen aber schlossen sich sofort den Tschechen an, wurden die eifrigsten Förderer der innigen Ver¬ brüderung derselben mit Polen und Klerikalen. Die natürliche Folge war, daß die deutschen Großgrundbesitzer nun auch in die große Partei der Opposition eintraten und daß das Ministerium keinen Schutz mehr hat gegen das „Exe¬ kutivkomitee" der vereinigten Gruppen der Rechten. Über die doch sehr befremdliche Erscheinung, daß Deutsche aus Tirol, Salz¬ burg, Steiermark, Ober- und Niederösterreich Arm in Arm mit den Slaven marschiren, geht der Verfasser merkwürdigerweise oberflächlich hinweg. Dies Bündnis aber verschuldet wiederum die Verfassungspartei, welcher Name der Kürze halber auch für jene Zeit beibehalten werden kann, in der er uoch nicht üblich war. So lange sie nur das System bekämpfte, welches in dem Kon¬ kordat seinen Ausdruck gefunden hatte, war die Zahl ihrer Gegner in den deutschen Ländern äußerst gering. Der österreichische Klerus darf ja im großen und ganzen freisinnig genannt werden; es haben sich innerhalb desselben jene Traditionen erhalten, welche ein friedliches Zusammenleben der Konfessionen, ein harmonisches Zusammenwirken von Staat und Kirche ermöglichen. Namentlich die Benedik¬ tiner und Cisterzienser erblicken ihre Ausgabe in der Seelsorge, der Erziehung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/72>, abgerufen am 24.07.2024.