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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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politische Briefe.

Fraktionen, namentlich aber ans dem Zentrum, aus den beiden konservativen
Fraktionen und aus der nationalliberalen Fraktion gebildet, welche ein partielles
oder totales Schutzzollsystem für wünschenswert hielten. Um diese Vereinigung
gruppirte sich die Majorität, welche der Tarifvorlage von 1879 im wesentlichen
die Genehmigung des Reichstages verschaffte.

Hier an diesem Punkte kommt es darauf an, genau zu unterscheiden, was
erreicht worden ist. Man hat sich folgendes einzuprägen. Der Zweck des
Schutzes ist in den überhaupt in Aussicht genommenen und verständigerweise
in Aussicht zu nehmenden Grenzen erreicht worden; der Zweck der Finanz¬
reform, oder genauer die Beschaffung der Mittel für dieselbe, ist unvollkommen
erreicht worden, und an der vom Ziele noch weit entfernten Stelle, welche der
Wagen der Steuerreform erreicht hat, haben die Parteien denselben um die
Wette in den Boden getrieben, wo er jetzt steckt und des Armes harrt, der ihn
wieder emporhebt ans den ebenen, festen Weg und ihn ans Ziel führt.

Zweierlei Umstünde haben neben der entscheidenden Verblendung der Par¬
teien an dieser Hemmung ihren Teil.

Zuerst war es ein Übelstand, daß neben dem Tarif uicht eine Monopol-
Vorlage erscheinen konnte. Man griff anstatt derselben zu einer erhöhten Steuer
auf deu ausländischen wie auf deu inländischen Tabak und fügte noch eine so¬
genannte Lizenzstener hinzu. Hätte mau das Monopol eingebracht, so hätte
man alle Mittel zur Steuerreform in einer einzigen Hauptschlacht gewinnen
können. Die Tabaksbesteueruug, so wie sie eingebracht war, ließ sich herans-
vder heruntersetzen; der Reichstag that natürlich das letztere und verwarf oben-
drein die Lizeuzsteuer. Dadurch hauptsächlich, neben einigen andern Herab¬
setzungen, wurde das Fiuanzresnltat der Tarifgesetzgebuug für die Steuerreform
unzulänglich.

Es kam sogleich ein zweiter Übelstand hinzu. Die Liberalen, soweit sie
für die Fiucmzzölle stimmen wollten, verlangten ihre sogenannten konstitutio¬
nellen Garantien, das heißt die Befugnis für den Reichstag, die Einnahmen,
soweit sie den Rcichsbedarf überschritten, herabzumindern. Dem Reichskanzler
mußte alles daran liegen, durch Einnahmenberschüsse des Reichs den gedrückten
Finanzen der Einzelstaaten aufzuhelfen. Dort Hütte man den Parlamenten be¬
wegliche Einnahmen zum Hernnf- und Herunterdrücken überlassen können, aber
diese Maschinerie im Reichstage und in allen Einzelstanten anzubringen, war
eine echt liberale Polyarchie, ein Luxus, wie ihn uur die starre Doktrin fordern kann.
Die Folge war, daß der Reichskanzler den Vorschlag des Zentrums annahm,
die Neichseinuahme auf 130 Millionen Mark zu fixiren und den Überschuß für
Eigentum der Einzelstaaten zu erklären. So waren wenigstens die Einnahmen
geborgen. Aber da die 130 Millionen nie den Rcichsbedarf decken werden, so
waren auch die Matrikularbeiträge verewigt und noch dazu in der Verwirrung-
erregenden Weise, daß sie zusammengesetzt sind aus einem scheinbaren Teil, den


Grenzboten III. 1382, 78
politische Briefe.

Fraktionen, namentlich aber ans dem Zentrum, aus den beiden konservativen
Fraktionen und aus der nationalliberalen Fraktion gebildet, welche ein partielles
oder totales Schutzzollsystem für wünschenswert hielten. Um diese Vereinigung
gruppirte sich die Majorität, welche der Tarifvorlage von 1879 im wesentlichen
die Genehmigung des Reichstages verschaffte.

Hier an diesem Punkte kommt es darauf an, genau zu unterscheiden, was
erreicht worden ist. Man hat sich folgendes einzuprägen. Der Zweck des
Schutzes ist in den überhaupt in Aussicht genommenen und verständigerweise
in Aussicht zu nehmenden Grenzen erreicht worden; der Zweck der Finanz¬
reform, oder genauer die Beschaffung der Mittel für dieselbe, ist unvollkommen
erreicht worden, und an der vom Ziele noch weit entfernten Stelle, welche der
Wagen der Steuerreform erreicht hat, haben die Parteien denselben um die
Wette in den Boden getrieben, wo er jetzt steckt und des Armes harrt, der ihn
wieder emporhebt ans den ebenen, festen Weg und ihn ans Ziel führt.

Zweierlei Umstünde haben neben der entscheidenden Verblendung der Par¬
teien an dieser Hemmung ihren Teil.

Zuerst war es ein Übelstand, daß neben dem Tarif uicht eine Monopol-
Vorlage erscheinen konnte. Man griff anstatt derselben zu einer erhöhten Steuer
auf deu ausländischen wie auf deu inländischen Tabak und fügte noch eine so¬
genannte Lizenzstener hinzu. Hätte mau das Monopol eingebracht, so hätte
man alle Mittel zur Steuerreform in einer einzigen Hauptschlacht gewinnen
können. Die Tabaksbesteueruug, so wie sie eingebracht war, ließ sich herans-
vder heruntersetzen; der Reichstag that natürlich das letztere und verwarf oben-
drein die Lizeuzsteuer. Dadurch hauptsächlich, neben einigen andern Herab¬
setzungen, wurde das Fiuanzresnltat der Tarifgesetzgebuug für die Steuerreform
unzulänglich.

Es kam sogleich ein zweiter Übelstand hinzu. Die Liberalen, soweit sie
für die Fiucmzzölle stimmen wollten, verlangten ihre sogenannten konstitutio¬
nellen Garantien, das heißt die Befugnis für den Reichstag, die Einnahmen,
soweit sie den Rcichsbedarf überschritten, herabzumindern. Dem Reichskanzler
mußte alles daran liegen, durch Einnahmenberschüsse des Reichs den gedrückten
Finanzen der Einzelstaaten aufzuhelfen. Dort Hütte man den Parlamenten be¬
wegliche Einnahmen zum Hernnf- und Herunterdrücken überlassen können, aber
diese Maschinerie im Reichstage und in allen Einzelstanten anzubringen, war
eine echt liberale Polyarchie, ein Luxus, wie ihn uur die starre Doktrin fordern kann.
Die Folge war, daß der Reichskanzler den Vorschlag des Zentrums annahm,
die Neichseinuahme auf 130 Millionen Mark zu fixiren und den Überschuß für
Eigentum der Einzelstaaten zu erklären. So waren wenigstens die Einnahmen
geborgen. Aber da die 130 Millionen nie den Rcichsbedarf decken werden, so
waren auch die Matrikularbeiträge verewigt und noch dazu in der Verwirrung-
erregenden Weise, daß sie zusammengesetzt sind aus einem scheinbaren Teil, den


Grenzboten III. 1382, 78
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[0625] politische Briefe. Fraktionen, namentlich aber ans dem Zentrum, aus den beiden konservativen Fraktionen und aus der nationalliberalen Fraktion gebildet, welche ein partielles oder totales Schutzzollsystem für wünschenswert hielten. Um diese Vereinigung gruppirte sich die Majorität, welche der Tarifvorlage von 1879 im wesentlichen die Genehmigung des Reichstages verschaffte. Hier an diesem Punkte kommt es darauf an, genau zu unterscheiden, was erreicht worden ist. Man hat sich folgendes einzuprägen. Der Zweck des Schutzes ist in den überhaupt in Aussicht genommenen und verständigerweise in Aussicht zu nehmenden Grenzen erreicht worden; der Zweck der Finanz¬ reform, oder genauer die Beschaffung der Mittel für dieselbe, ist unvollkommen erreicht worden, und an der vom Ziele noch weit entfernten Stelle, welche der Wagen der Steuerreform erreicht hat, haben die Parteien denselben um die Wette in den Boden getrieben, wo er jetzt steckt und des Armes harrt, der ihn wieder emporhebt ans den ebenen, festen Weg und ihn ans Ziel führt. Zweierlei Umstünde haben neben der entscheidenden Verblendung der Par¬ teien an dieser Hemmung ihren Teil. Zuerst war es ein Übelstand, daß neben dem Tarif uicht eine Monopol- Vorlage erscheinen konnte. Man griff anstatt derselben zu einer erhöhten Steuer auf deu ausländischen wie auf deu inländischen Tabak und fügte noch eine so¬ genannte Lizenzstener hinzu. Hätte mau das Monopol eingebracht, so hätte man alle Mittel zur Steuerreform in einer einzigen Hauptschlacht gewinnen können. Die Tabaksbesteueruug, so wie sie eingebracht war, ließ sich herans- vder heruntersetzen; der Reichstag that natürlich das letztere und verwarf oben- drein die Lizeuzsteuer. Dadurch hauptsächlich, neben einigen andern Herab¬ setzungen, wurde das Fiuanzresnltat der Tarifgesetzgebuug für die Steuerreform unzulänglich. Es kam sogleich ein zweiter Übelstand hinzu. Die Liberalen, soweit sie für die Fiucmzzölle stimmen wollten, verlangten ihre sogenannten konstitutio¬ nellen Garantien, das heißt die Befugnis für den Reichstag, die Einnahmen, soweit sie den Rcichsbedarf überschritten, herabzumindern. Dem Reichskanzler mußte alles daran liegen, durch Einnahmenberschüsse des Reichs den gedrückten Finanzen der Einzelstaaten aufzuhelfen. Dort Hütte man den Parlamenten be¬ wegliche Einnahmen zum Hernnf- und Herunterdrücken überlassen können, aber diese Maschinerie im Reichstage und in allen Einzelstanten anzubringen, war eine echt liberale Polyarchie, ein Luxus, wie ihn uur die starre Doktrin fordern kann. Die Folge war, daß der Reichskanzler den Vorschlag des Zentrums annahm, die Neichseinuahme auf 130 Millionen Mark zu fixiren und den Überschuß für Eigentum der Einzelstaaten zu erklären. So waren wenigstens die Einnahmen geborgen. Aber da die 130 Millionen nie den Rcichsbedarf decken werden, so waren auch die Matrikularbeiträge verewigt und noch dazu in der Verwirrung- erregenden Weise, daß sie zusammengesetzt sind aus einem scheinbaren Teil, den Grenzboten III. 1382, 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/625>, abgerufen am 25.08.2024.