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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Politische Briefe,

Bedürfnis ihr eine andre Gestalt geben lassen, als sie dnrch die Gesammtreform
erhalten muß.

Diese Rede ist das Bindeglied zwischen der Rede von 1875 und der von 1879.
Der Reichskanzler erbat bald nach derselben den langen Urlaub, der ihn fast
ein Jahr hindurch von den Geschäften fernhielt. Aber er hat noch den Impuls
gegeben, daß Preußen im Bundesrat den Antrag stellte auf Einführung von
Reichsstempelnbgaben. Eine Konferenz von sachverständigen Vertretern der Re¬
gierungen arbeitete den Sommer in Berlin und gelangte zu dem Ergebnis, daß
die Einzelregierungen die Stempelabgaben bis ans geringe Ausnahmen sich nicht
nehmen lassen wollten. Der so folgenreich gewordene Versuch des Kanzlers, den
er Ende des Jahres unternahm, Mitglieder der nationalliberalen Partei in das
Ministerium zu ziehen, war durch die Notwendigkeit eingegeben, die Steuerreform
endlich mit Erfolg in die Hand zu nehmen. Der Versuch scheiterte, weil Herr
von Bennigsen sich mit dem Kanzler weder über die materielle noch über die
formelle Seite der Stenerreform verständigen konnte.

Dem Reichstag von 1878 wurde nunmehr im Februar ein Entwurf zur
Erhöhung der Tabaksteuer vorgelegt, sowie zur Einführung einiger unbedeutenden
Neichsstempelstenern: auf Spielkarten, Börsengeschäfte, Lotterieloose. Man weiß,
daß bei der Verhandlung der Reichskanzler sich für das Tabaksmonopol aus¬
sprach, der Finanzminister Camphausen darauf die Vorlage als Übergang zum
Monopol bezeichnete und sich dadurch den Unwillen der Majorität in einem Grade
zuzog, der ihn zum Rücktritt veranlaßte. Herr Hobrecht wurde sein Nachfolger
und der Reichstag beschloß, nachdem er die Camphansensche Vorlage zurückge¬
zogen, aus Antrag der Neichsregiernng die Veranstaltung einer Enqnßte über
die Verhältnisse des Tabakbaues und der Tabakindustrie. Von den Stempelab¬
gaben wurde der Spielkartenstempel genehmigt. Das Resultat der Enqnßte-
kommission schien dein Tabakmonopol ungünstig. Inzwischen war bei dem
Reichskanzler der Plan gereist, durch eine umfassende Tarifreform deu Boden
der Stenerreform zu ebnen. Am 15. Dezember 1878 erließ er das betreffende
Schreiben um den Bundesrat, der nunmehr die Kommission einsetzte, welche die
Tarifvvrlage von 1879 vorbereitete.

Diese Kommission -- lind es ist dies ein wichtiger Abschnitt in der Ge¬
schichte der Steuerreform -- nahm nnn mit dem Plan des Reichskanzlers, wie
er in dem Schreiben vom 15. Dezember 1878 entwickelt worden war, eine
wesentliche Veränderung war. Der Kanzler hatte die Vestenerung aller Ein¬
fuhrartikel mit einem gleichen Prozentsatz vom Wert angeregt und hatte von
diesem Zoll gleichzeitig einen Finanzertrag und einen, wenn anch mäßigen, Schutz
der einheimischen Produktion erhofft. Die Kommission aber entwarf einen voll¬
ständigen Schutzzvlltarif und stellte neben diesen eine Auzahl Finanzzolle. Es
hatte sich schon im ersten Reichstag von 1878 unter dem Namen "Freie volks-
wirtschaftliche Vereinigung" ein Verein von solchen Mitgliedern verschiedener


Politische Briefe,

Bedürfnis ihr eine andre Gestalt geben lassen, als sie dnrch die Gesammtreform
erhalten muß.

Diese Rede ist das Bindeglied zwischen der Rede von 1875 und der von 1879.
Der Reichskanzler erbat bald nach derselben den langen Urlaub, der ihn fast
ein Jahr hindurch von den Geschäften fernhielt. Aber er hat noch den Impuls
gegeben, daß Preußen im Bundesrat den Antrag stellte auf Einführung von
Reichsstempelnbgaben. Eine Konferenz von sachverständigen Vertretern der Re¬
gierungen arbeitete den Sommer in Berlin und gelangte zu dem Ergebnis, daß
die Einzelregierungen die Stempelabgaben bis ans geringe Ausnahmen sich nicht
nehmen lassen wollten. Der so folgenreich gewordene Versuch des Kanzlers, den
er Ende des Jahres unternahm, Mitglieder der nationalliberalen Partei in das
Ministerium zu ziehen, war durch die Notwendigkeit eingegeben, die Steuerreform
endlich mit Erfolg in die Hand zu nehmen. Der Versuch scheiterte, weil Herr
von Bennigsen sich mit dem Kanzler weder über die materielle noch über die
formelle Seite der Stenerreform verständigen konnte.

Dem Reichstag von 1878 wurde nunmehr im Februar ein Entwurf zur
Erhöhung der Tabaksteuer vorgelegt, sowie zur Einführung einiger unbedeutenden
Neichsstempelstenern: auf Spielkarten, Börsengeschäfte, Lotterieloose. Man weiß,
daß bei der Verhandlung der Reichskanzler sich für das Tabaksmonopol aus¬
sprach, der Finanzminister Camphausen darauf die Vorlage als Übergang zum
Monopol bezeichnete und sich dadurch den Unwillen der Majorität in einem Grade
zuzog, der ihn zum Rücktritt veranlaßte. Herr Hobrecht wurde sein Nachfolger
und der Reichstag beschloß, nachdem er die Camphansensche Vorlage zurückge¬
zogen, aus Antrag der Neichsregiernng die Veranstaltung einer Enqnßte über
die Verhältnisse des Tabakbaues und der Tabakindustrie. Von den Stempelab¬
gaben wurde der Spielkartenstempel genehmigt. Das Resultat der Enqnßte-
kommission schien dein Tabakmonopol ungünstig. Inzwischen war bei dem
Reichskanzler der Plan gereist, durch eine umfassende Tarifreform deu Boden
der Stenerreform zu ebnen. Am 15. Dezember 1878 erließ er das betreffende
Schreiben um den Bundesrat, der nunmehr die Kommission einsetzte, welche die
Tarifvvrlage von 1879 vorbereitete.

Diese Kommission — lind es ist dies ein wichtiger Abschnitt in der Ge¬
schichte der Steuerreform — nahm nnn mit dem Plan des Reichskanzlers, wie
er in dem Schreiben vom 15. Dezember 1878 entwickelt worden war, eine
wesentliche Veränderung war. Der Kanzler hatte die Vestenerung aller Ein¬
fuhrartikel mit einem gleichen Prozentsatz vom Wert angeregt und hatte von
diesem Zoll gleichzeitig einen Finanzertrag und einen, wenn anch mäßigen, Schutz
der einheimischen Produktion erhofft. Die Kommission aber entwarf einen voll¬
ständigen Schutzzvlltarif und stellte neben diesen eine Auzahl Finanzzolle. Es
hatte sich schon im ersten Reichstag von 1878 unter dem Namen „Freie volks-
wirtschaftliche Vereinigung" ein Verein von solchen Mitgliedern verschiedener


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[0624] Politische Briefe, Bedürfnis ihr eine andre Gestalt geben lassen, als sie dnrch die Gesammtreform erhalten muß. Diese Rede ist das Bindeglied zwischen der Rede von 1875 und der von 1879. Der Reichskanzler erbat bald nach derselben den langen Urlaub, der ihn fast ein Jahr hindurch von den Geschäften fernhielt. Aber er hat noch den Impuls gegeben, daß Preußen im Bundesrat den Antrag stellte auf Einführung von Reichsstempelnbgaben. Eine Konferenz von sachverständigen Vertretern der Re¬ gierungen arbeitete den Sommer in Berlin und gelangte zu dem Ergebnis, daß die Einzelregierungen die Stempelabgaben bis ans geringe Ausnahmen sich nicht nehmen lassen wollten. Der so folgenreich gewordene Versuch des Kanzlers, den er Ende des Jahres unternahm, Mitglieder der nationalliberalen Partei in das Ministerium zu ziehen, war durch die Notwendigkeit eingegeben, die Steuerreform endlich mit Erfolg in die Hand zu nehmen. Der Versuch scheiterte, weil Herr von Bennigsen sich mit dem Kanzler weder über die materielle noch über die formelle Seite der Stenerreform verständigen konnte. Dem Reichstag von 1878 wurde nunmehr im Februar ein Entwurf zur Erhöhung der Tabaksteuer vorgelegt, sowie zur Einführung einiger unbedeutenden Neichsstempelstenern: auf Spielkarten, Börsengeschäfte, Lotterieloose. Man weiß, daß bei der Verhandlung der Reichskanzler sich für das Tabaksmonopol aus¬ sprach, der Finanzminister Camphausen darauf die Vorlage als Übergang zum Monopol bezeichnete und sich dadurch den Unwillen der Majorität in einem Grade zuzog, der ihn zum Rücktritt veranlaßte. Herr Hobrecht wurde sein Nachfolger und der Reichstag beschloß, nachdem er die Camphansensche Vorlage zurückge¬ zogen, aus Antrag der Neichsregiernng die Veranstaltung einer Enqnßte über die Verhältnisse des Tabakbaues und der Tabakindustrie. Von den Stempelab¬ gaben wurde der Spielkartenstempel genehmigt. Das Resultat der Enqnßte- kommission schien dein Tabakmonopol ungünstig. Inzwischen war bei dem Reichskanzler der Plan gereist, durch eine umfassende Tarifreform deu Boden der Stenerreform zu ebnen. Am 15. Dezember 1878 erließ er das betreffende Schreiben um den Bundesrat, der nunmehr die Kommission einsetzte, welche die Tarifvvrlage von 1879 vorbereitete. Diese Kommission — lind es ist dies ein wichtiger Abschnitt in der Ge¬ schichte der Steuerreform — nahm nnn mit dem Plan des Reichskanzlers, wie er in dem Schreiben vom 15. Dezember 1878 entwickelt worden war, eine wesentliche Veränderung war. Der Kanzler hatte die Vestenerung aller Ein¬ fuhrartikel mit einem gleichen Prozentsatz vom Wert angeregt und hatte von diesem Zoll gleichzeitig einen Finanzertrag und einen, wenn anch mäßigen, Schutz der einheimischen Produktion erhofft. Die Kommission aber entwarf einen voll¬ ständigen Schutzzvlltarif und stellte neben diesen eine Auzahl Finanzzolle. Es hatte sich schon im ersten Reichstag von 1878 unter dem Namen „Freie volks- wirtschaftliche Vereinigung" ein Verein von solchen Mitgliedern verschiedener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/624>, abgerufen am 25.08.2024.