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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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politische Briefe.
5. Die Steuerreform.

ndem wir uns anschicken, von der deutschen Steuerreform zu sprechen,
kommt uus das berühmte Wort des Demosthenes in den Sinn,
der mit attischer Feinheit den Athenern Glück wünschte, daß an
der Übeln Lage ihres Staates sie allein die Schuld trügen. "Denn,
sagte er, was für die Vergangenheit das schlimmste ist, das ist für
die Zukunft das beste." Er meinte, wenn übermächtige Umstände im Spiele wären,
so würde keine Hoffnung auf Besserung gestattet sein; die geheimsten Fehler
aber würden von nun an vermieden und der Staat noch gerettet werden können.

Das Werk der Steuerreform ist arg Verfahren; aber das Gefährt sank
nicht deshalb in den Boden, weil derselbe nicht tragfähig war, sondern weil es
fast gewaltsam hineingestoßen wurde. Man löse den Wagen und gebe ihm den
rechten Lenker, er wird rasch genug auf dem festen Boden ans Ziel gelangen.

Wenn jetzt etwas mißglückt oder drückt in deutschen Landen, so wird die
Schuld davon dem Kanzler beigemessen, und damit erkennen die Feinde des¬
selben sein ungeheures Verdienst an. Denn dem nur, der das ungewöhulichste
vermocht, kann, wenn auch nur vou Thoren, der Vorwurf gemacht werden, daß
er nicht alles und jedes längst in Ordnung gebracht habe.

Es hat lange gedauert, bevor der Kanzler für die Notwendigkeit einer Steuer¬
quelle des Reiches überhaupt Gehör fand. Schon im Jahre 1869, als nur
erst der norddeutsche Bund bestand, trat er mit dem Verlangen einer Anzahl
von Bundessteueru hervor. Sie wurden sämmtlich abgelehnt, und damals waren
es die Liberalen, welche die Losung ausgaben: man dürfe nicht beliebige Steuern
auf die alten flicken; die Beschaffung von Bundeseinnahmen über die ans dem
Zollverein fließenden hinaus müsse mit einer organischen Steuerreform ver¬
bunden werden.

Im Jahre 1875, als die Milliarden zu verfliege" begannen, nahm der
Fürst den ersten wuchtigen Anlauf zur Begründung der Steuerverfassung des
Reichs. Es wurden freilich nur zwei nicht Weitgreisende Vorlagen, nämlich auf
Einführung einer Brausteuer und einer Börsensteuer, eingebracht. Aber die Rede,
mit welcher der Fürst um 22. November bei der ersten Beratung für diese Vor¬
lagen eintrat, ist der Kernpunkt aller seiner späteren Versuche geblieben.

Es ist hochwichtig, das zu konstatiren, wofür diese Rede die Beweisurkunde
ist, daß das Verlangen nach einer umfassenden Steuerreform uicht von dem
Fürsten zuerst erhoben worden ist, sondern daß er, so lange er konnte, sich gegen


politische Briefe.
5. Die Steuerreform.

ndem wir uns anschicken, von der deutschen Steuerreform zu sprechen,
kommt uus das berühmte Wort des Demosthenes in den Sinn,
der mit attischer Feinheit den Athenern Glück wünschte, daß an
der Übeln Lage ihres Staates sie allein die Schuld trügen. „Denn,
sagte er, was für die Vergangenheit das schlimmste ist, das ist für
die Zukunft das beste." Er meinte, wenn übermächtige Umstände im Spiele wären,
so würde keine Hoffnung auf Besserung gestattet sein; die geheimsten Fehler
aber würden von nun an vermieden und der Staat noch gerettet werden können.

Das Werk der Steuerreform ist arg Verfahren; aber das Gefährt sank
nicht deshalb in den Boden, weil derselbe nicht tragfähig war, sondern weil es
fast gewaltsam hineingestoßen wurde. Man löse den Wagen und gebe ihm den
rechten Lenker, er wird rasch genug auf dem festen Boden ans Ziel gelangen.

Wenn jetzt etwas mißglückt oder drückt in deutschen Landen, so wird die
Schuld davon dem Kanzler beigemessen, und damit erkennen die Feinde des¬
selben sein ungeheures Verdienst an. Denn dem nur, der das ungewöhulichste
vermocht, kann, wenn auch nur vou Thoren, der Vorwurf gemacht werden, daß
er nicht alles und jedes längst in Ordnung gebracht habe.

Es hat lange gedauert, bevor der Kanzler für die Notwendigkeit einer Steuer¬
quelle des Reiches überhaupt Gehör fand. Schon im Jahre 1869, als nur
erst der norddeutsche Bund bestand, trat er mit dem Verlangen einer Anzahl
von Bundessteueru hervor. Sie wurden sämmtlich abgelehnt, und damals waren
es die Liberalen, welche die Losung ausgaben: man dürfe nicht beliebige Steuern
auf die alten flicken; die Beschaffung von Bundeseinnahmen über die ans dem
Zollverein fließenden hinaus müsse mit einer organischen Steuerreform ver¬
bunden werden.

Im Jahre 1875, als die Milliarden zu verfliege« begannen, nahm der
Fürst den ersten wuchtigen Anlauf zur Begründung der Steuerverfassung des
Reichs. Es wurden freilich nur zwei nicht Weitgreisende Vorlagen, nämlich auf
Einführung einer Brausteuer und einer Börsensteuer, eingebracht. Aber die Rede,
mit welcher der Fürst um 22. November bei der ersten Beratung für diese Vor¬
lagen eintrat, ist der Kernpunkt aller seiner späteren Versuche geblieben.

Es ist hochwichtig, das zu konstatiren, wofür diese Rede die Beweisurkunde
ist, daß das Verlangen nach einer umfassenden Steuerreform uicht von dem
Fürsten zuerst erhoben worden ist, sondern daß er, so lange er konnte, sich gegen


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[0620] politische Briefe. 5. Die Steuerreform. ndem wir uns anschicken, von der deutschen Steuerreform zu sprechen, kommt uus das berühmte Wort des Demosthenes in den Sinn, der mit attischer Feinheit den Athenern Glück wünschte, daß an der Übeln Lage ihres Staates sie allein die Schuld trügen. „Denn, sagte er, was für die Vergangenheit das schlimmste ist, das ist für die Zukunft das beste." Er meinte, wenn übermächtige Umstände im Spiele wären, so würde keine Hoffnung auf Besserung gestattet sein; die geheimsten Fehler aber würden von nun an vermieden und der Staat noch gerettet werden können. Das Werk der Steuerreform ist arg Verfahren; aber das Gefährt sank nicht deshalb in den Boden, weil derselbe nicht tragfähig war, sondern weil es fast gewaltsam hineingestoßen wurde. Man löse den Wagen und gebe ihm den rechten Lenker, er wird rasch genug auf dem festen Boden ans Ziel gelangen. Wenn jetzt etwas mißglückt oder drückt in deutschen Landen, so wird die Schuld davon dem Kanzler beigemessen, und damit erkennen die Feinde des¬ selben sein ungeheures Verdienst an. Denn dem nur, der das ungewöhulichste vermocht, kann, wenn auch nur vou Thoren, der Vorwurf gemacht werden, daß er nicht alles und jedes längst in Ordnung gebracht habe. Es hat lange gedauert, bevor der Kanzler für die Notwendigkeit einer Steuer¬ quelle des Reiches überhaupt Gehör fand. Schon im Jahre 1869, als nur erst der norddeutsche Bund bestand, trat er mit dem Verlangen einer Anzahl von Bundessteueru hervor. Sie wurden sämmtlich abgelehnt, und damals waren es die Liberalen, welche die Losung ausgaben: man dürfe nicht beliebige Steuern auf die alten flicken; die Beschaffung von Bundeseinnahmen über die ans dem Zollverein fließenden hinaus müsse mit einer organischen Steuerreform ver¬ bunden werden. Im Jahre 1875, als die Milliarden zu verfliege« begannen, nahm der Fürst den ersten wuchtigen Anlauf zur Begründung der Steuerverfassung des Reichs. Es wurden freilich nur zwei nicht Weitgreisende Vorlagen, nämlich auf Einführung einer Brausteuer und einer Börsensteuer, eingebracht. Aber die Rede, mit welcher der Fürst um 22. November bei der ersten Beratung für diese Vor¬ lagen eintrat, ist der Kernpunkt aller seiner späteren Versuche geblieben. Es ist hochwichtig, das zu konstatiren, wofür diese Rede die Beweisurkunde ist, daß das Verlangen nach einer umfassenden Steuerreform uicht von dem Fürsten zuerst erhoben worden ist, sondern daß er, so lange er konnte, sich gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/620>, abgerufen am 22.07.2024.