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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Griechische Iveine.

Boden und Lage des Landes begünstigen dieses Streben. Der südliche
Teil des Königreichs Hellas und die zur Türkei gehörigen Inseln des ägeischen
Meeres liegeu in der vulkanischen Zone, die sich vom Kaspisce bis zu den Azoren
erstreckt. Von Zeit zu Zeit suchen furchtbare Erdbeben vorzüglich Rhodus, Chios,
die Inselgruppe von Santorin und die Gegend von Korinth heim, und Lokali¬
täten dieser Art liefern wie in Italien auch hier die feurigsten Weine. Das
subtropische Klima, der zwar nicht immer, aber doch meistenteils wolkenlose
Himmel und die reine Atmosphäre befördern rasches Gedeihen aller Kultur-
pflanzen. Auch der Erdboden eignet sich vielfach ausnehmend zur Erzeugung
feiner und gehaltreicher Weine. Kalkhügel mit Abhängen von geschützter süd¬
licher Lage, vulkanische Schichten, Geröll- und Schiefcrboden bieten den Rebe"
glückliche Standorte; nur mangelte es bis vor kurzem fast allenthalben und bis
in unser Jahrzehnt herein an vielen Orten zur Gewinnung eines edlen Pro¬
duktes an fleißiger und zweckentsprechender Pflege der Stöcke und um sauberer
und rationeller Kellerwirtschast. Nicht ohne Grund, nnr mit einiger Übertreibung
hat infolge dessen Henderson vor etwa fünfzig Jahren behauptet, die Griechen
tränken im Hochsommer keinen Wein, sondern Essig.

War das damals mit einigen rühmlichen Ausnahmen ungefähr richtig, so
ist es doch seitdem wesentlich besser geworden. Namentlich hat das Königreich
Griechenland in den letzten Jahrzehnten wie auf andern Gebieten so auch auf
dem der Weiucrzeugung sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Die Regierung
sowohl als verschiedene Privatgesellschaften haben es sich angelegen sein lassen,
die neuesten und zweckmäßigsten Arten der Pflege des Weines am Stocke und
im Keller einzuführen. Man berief zu dem Zwecke deutsche Gelehrte, wie den
badischen Professor Neßler, und französische Kellermeister ans Montpellier und
Nimes ins Land, periodisch wiederkehrende Wcinausstellnngen (Olympiaden) in
Athen weckten den Wetteifer intelligenter Produzenten, und so ist es gekommen,
daß Griechenland jetzt nicht bloß mehr Süßweine als früher erzeugt, sondern
daneben auch treffliche Clarets und trockne Rotweine.

Die im Lande selbst getrunkenen Sorten haben eine Unart, die eine Über¬
lieferung des Altertums ist. Früher räucherte man sie, um sie haltbar zu machen,
setzte ihnen zu gleichem Zwecke Kochsalz oder Kalk zu oder mischte den Most
mit Terpentin, und die letztgenannte Sitte herrscht noch heute auf dem Festlande
und den Inseln. "Kienöl!" rief der Verfasser dieser Betrachtung entsetzt, als
er in einer Schenke des Konstitntionsplatzes zu Athen zum erstenmale von dieser
Mischung trank, und der Gast wandte sich mit Grausen. Besonders der weiße
"Nesinat" schmeckte grcuelvoll. Indeß gewöhnte man sich mit der Zeit ans der
Wanderung durch das Land auch an ihn, schon weil es hier nichts andres gab,
und befand sich leidlich dabei. Gewöhnen sich doch Menschen ans Arsenikessen,
warum uicht an Wein, dein sieben Kilo Fichtenharz auf den Hektoliter beigegeben
sind? Übrigens hat diese Gewohnheit für Konsumenten griechischer Trciubensäfte


Griechische Iveine.

Boden und Lage des Landes begünstigen dieses Streben. Der südliche
Teil des Königreichs Hellas und die zur Türkei gehörigen Inseln des ägeischen
Meeres liegeu in der vulkanischen Zone, die sich vom Kaspisce bis zu den Azoren
erstreckt. Von Zeit zu Zeit suchen furchtbare Erdbeben vorzüglich Rhodus, Chios,
die Inselgruppe von Santorin und die Gegend von Korinth heim, und Lokali¬
täten dieser Art liefern wie in Italien auch hier die feurigsten Weine. Das
subtropische Klima, der zwar nicht immer, aber doch meistenteils wolkenlose
Himmel und die reine Atmosphäre befördern rasches Gedeihen aller Kultur-
pflanzen. Auch der Erdboden eignet sich vielfach ausnehmend zur Erzeugung
feiner und gehaltreicher Weine. Kalkhügel mit Abhängen von geschützter süd¬
licher Lage, vulkanische Schichten, Geröll- und Schiefcrboden bieten den Rebe«
glückliche Standorte; nur mangelte es bis vor kurzem fast allenthalben und bis
in unser Jahrzehnt herein an vielen Orten zur Gewinnung eines edlen Pro¬
duktes an fleißiger und zweckentsprechender Pflege der Stöcke und um sauberer
und rationeller Kellerwirtschast. Nicht ohne Grund, nnr mit einiger Übertreibung
hat infolge dessen Henderson vor etwa fünfzig Jahren behauptet, die Griechen
tränken im Hochsommer keinen Wein, sondern Essig.

War das damals mit einigen rühmlichen Ausnahmen ungefähr richtig, so
ist es doch seitdem wesentlich besser geworden. Namentlich hat das Königreich
Griechenland in den letzten Jahrzehnten wie auf andern Gebieten so auch auf
dem der Weiucrzeugung sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Die Regierung
sowohl als verschiedene Privatgesellschaften haben es sich angelegen sein lassen,
die neuesten und zweckmäßigsten Arten der Pflege des Weines am Stocke und
im Keller einzuführen. Man berief zu dem Zwecke deutsche Gelehrte, wie den
badischen Professor Neßler, und französische Kellermeister ans Montpellier und
Nimes ins Land, periodisch wiederkehrende Wcinausstellnngen (Olympiaden) in
Athen weckten den Wetteifer intelligenter Produzenten, und so ist es gekommen,
daß Griechenland jetzt nicht bloß mehr Süßweine als früher erzeugt, sondern
daneben auch treffliche Clarets und trockne Rotweine.

Die im Lande selbst getrunkenen Sorten haben eine Unart, die eine Über¬
lieferung des Altertums ist. Früher räucherte man sie, um sie haltbar zu machen,
setzte ihnen zu gleichem Zwecke Kochsalz oder Kalk zu oder mischte den Most
mit Terpentin, und die letztgenannte Sitte herrscht noch heute auf dem Festlande
und den Inseln. „Kienöl!" rief der Verfasser dieser Betrachtung entsetzt, als
er in einer Schenke des Konstitntionsplatzes zu Athen zum erstenmale von dieser
Mischung trank, und der Gast wandte sich mit Grausen. Besonders der weiße
„Nesinat" schmeckte grcuelvoll. Indeß gewöhnte man sich mit der Zeit ans der
Wanderung durch das Land auch an ihn, schon weil es hier nichts andres gab,
und befand sich leidlich dabei. Gewöhnen sich doch Menschen ans Arsenikessen,
warum uicht an Wein, dein sieben Kilo Fichtenharz auf den Hektoliter beigegeben
sind? Übrigens hat diese Gewohnheit für Konsumenten griechischer Trciubensäfte


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[0615] Griechische Iveine. Boden und Lage des Landes begünstigen dieses Streben. Der südliche Teil des Königreichs Hellas und die zur Türkei gehörigen Inseln des ägeischen Meeres liegeu in der vulkanischen Zone, die sich vom Kaspisce bis zu den Azoren erstreckt. Von Zeit zu Zeit suchen furchtbare Erdbeben vorzüglich Rhodus, Chios, die Inselgruppe von Santorin und die Gegend von Korinth heim, und Lokali¬ täten dieser Art liefern wie in Italien auch hier die feurigsten Weine. Das subtropische Klima, der zwar nicht immer, aber doch meistenteils wolkenlose Himmel und die reine Atmosphäre befördern rasches Gedeihen aller Kultur- pflanzen. Auch der Erdboden eignet sich vielfach ausnehmend zur Erzeugung feiner und gehaltreicher Weine. Kalkhügel mit Abhängen von geschützter süd¬ licher Lage, vulkanische Schichten, Geröll- und Schiefcrboden bieten den Rebe« glückliche Standorte; nur mangelte es bis vor kurzem fast allenthalben und bis in unser Jahrzehnt herein an vielen Orten zur Gewinnung eines edlen Pro¬ duktes an fleißiger und zweckentsprechender Pflege der Stöcke und um sauberer und rationeller Kellerwirtschast. Nicht ohne Grund, nnr mit einiger Übertreibung hat infolge dessen Henderson vor etwa fünfzig Jahren behauptet, die Griechen tränken im Hochsommer keinen Wein, sondern Essig. War das damals mit einigen rühmlichen Ausnahmen ungefähr richtig, so ist es doch seitdem wesentlich besser geworden. Namentlich hat das Königreich Griechenland in den letzten Jahrzehnten wie auf andern Gebieten so auch auf dem der Weiucrzeugung sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Die Regierung sowohl als verschiedene Privatgesellschaften haben es sich angelegen sein lassen, die neuesten und zweckmäßigsten Arten der Pflege des Weines am Stocke und im Keller einzuführen. Man berief zu dem Zwecke deutsche Gelehrte, wie den badischen Professor Neßler, und französische Kellermeister ans Montpellier und Nimes ins Land, periodisch wiederkehrende Wcinausstellnngen (Olympiaden) in Athen weckten den Wetteifer intelligenter Produzenten, und so ist es gekommen, daß Griechenland jetzt nicht bloß mehr Süßweine als früher erzeugt, sondern daneben auch treffliche Clarets und trockne Rotweine. Die im Lande selbst getrunkenen Sorten haben eine Unart, die eine Über¬ lieferung des Altertums ist. Früher räucherte man sie, um sie haltbar zu machen, setzte ihnen zu gleichem Zwecke Kochsalz oder Kalk zu oder mischte den Most mit Terpentin, und die letztgenannte Sitte herrscht noch heute auf dem Festlande und den Inseln. „Kienöl!" rief der Verfasser dieser Betrachtung entsetzt, als er in einer Schenke des Konstitntionsplatzes zu Athen zum erstenmale von dieser Mischung trank, und der Gast wandte sich mit Grausen. Besonders der weiße „Nesinat" schmeckte grcuelvoll. Indeß gewöhnte man sich mit der Zeit ans der Wanderung durch das Land auch an ihn, schon weil es hier nichts andres gab, und befand sich leidlich dabei. Gewöhnen sich doch Menschen ans Arsenikessen, warum uicht an Wein, dein sieben Kilo Fichtenharz auf den Hektoliter beigegeben sind? Übrigens hat diese Gewohnheit für Konsumenten griechischer Trciubensäfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/615>, abgerufen am 22.07.2024.