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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Griechische Weine.

Reich dem homerischen Hymnus ist er im Begriffe, von Jkaria nach Naxos zu
fahren, ein schöner, schwarzlockiger Jüngling mit purpurnem Mantel. Da greifen
ihn tyrrhenische Seeräuber, binden ihn und schleppen ihn mit sich von dannen. Aber
die Fesseln fallen ab, um die Segel winden sich Weinreben. Eppich umrankt den
Mast, die Ruderbänke umschlingen Blumengewinde, Dionysos selbst wird zum
Löwen, und die Schiffer stllrzeu sich, vom Wahnsinn ergriffen, in die See,
wo sie sich in Delphine verwandeln. Eigentlich ganz allgemein der zur Gott¬
heit gewordene Frühling, die Verkörperung der sonnedurchwärmten, schwellenden,
grünaufsprießendeu Natur, der Saftfülle, des Knospens und Blühens, ist Baechos
doch vorzugsweise gefeiert wegen der Wirkung des Weines, seiner edelsten Spende,
auf Leib und Gemüt des Menschen. Er ist der erquickende, stärkende und hei¬
lende Gott, der Sorgenbrecher und Befreier, der den Geist beflügelt, alle brüder¬
lich stimmt, mit genialströmender Naturkraft das Widerwärtige wegschwemmt
und Lust und Freude in ihre Rechte einsetzt. Als solchen priesen ihn die länd¬
lichen und städtischen Feste und besangen ihn die großen epischen, lyrischen und
dramatischen Dichter Griechenlands, und so verklärte er sich allmählich dermaßen,
daß sein Wesen in vielen Beziehungen dem des hehren Lichtgotts Apollon glich.
Nur trat die Musik und Poesie, die ihm diente, teils verworrener und phanta¬
stischer, teils gewaltsamer auf als die dem Apollon geweihte; wir sehen sie heftig
bewegt und voll Leidenschaft, sie schwankt zwischen Jubel und wildem Schmerz,
possenhafter Lustigkeit und trüber Klage und hat so zugleich die Komödie lind
die Tragödie und mit beiden deu zügellosen Dithyrambus geboren.

I" der geschichtlichen Zeit gab es in Griechenland Weine von sehr ver¬
schiedener Güte, und es fehlte nicht an feinen Zungen, die sich darüber klar
waren. Mir die vorzüglichste" Sorten galten die Gewächse von Samos, von
wo "ach einigen die Götter ihren Nektar bezöge", von Chios, Naxos, Kreta,
Lesbos, Kos und Rhodos, desgleichen der Wein, den die Insel Zakynthos er¬
zeugte. In gutem Rufe standen ferner die Weine, welche das Festland bei
Ambrakia, Korinth, Sikyon und Phlius hervorbrachte. Der Chierwein wurde
zur Zeit des Sokrntes in Athen mit anderthalb Mark unsres Geldes pro Liter
bezahlt. Die attischen, böotischen und messenischen Weine waren als schwach
"ut geistlos wenig geschätzt. Von den griechischen Traubengattungen werden
die lesbischeu, die narcotischen, die thasischcn, die von Ägina, die Psythia und
Melampsythia, die Basilea, der Amethyftinon, der Orthampelvs, der Daktylis,
der Bnmastos, der Leptoragios, der Alopekis und der Stephcmites lobend er¬
wähnt. Noch im Mittelalter erfreute sich der griechische Weinbau eines guten
Rufes und beträchtlicher Ausdehnung. Die Insel Kandia allein soll damals
alljährlich gegen zweimalhunderttausend Faß Malvasier auf deu Markt von
Venedig geliefert haben. Die Türkenherrschaft aber ließ diesen Zweig der Kultur
gleich andern mehr und mehr verkommen und verdorren, und erst seit etwa vier Jahr¬
zehnten werden ernste Anstrengungen gemacht, ihn wieder zum Blühen zu bringen.


Griechische Weine.

Reich dem homerischen Hymnus ist er im Begriffe, von Jkaria nach Naxos zu
fahren, ein schöner, schwarzlockiger Jüngling mit purpurnem Mantel. Da greifen
ihn tyrrhenische Seeräuber, binden ihn und schleppen ihn mit sich von dannen. Aber
die Fesseln fallen ab, um die Segel winden sich Weinreben. Eppich umrankt den
Mast, die Ruderbänke umschlingen Blumengewinde, Dionysos selbst wird zum
Löwen, und die Schiffer stllrzeu sich, vom Wahnsinn ergriffen, in die See,
wo sie sich in Delphine verwandeln. Eigentlich ganz allgemein der zur Gott¬
heit gewordene Frühling, die Verkörperung der sonnedurchwärmten, schwellenden,
grünaufsprießendeu Natur, der Saftfülle, des Knospens und Blühens, ist Baechos
doch vorzugsweise gefeiert wegen der Wirkung des Weines, seiner edelsten Spende,
auf Leib und Gemüt des Menschen. Er ist der erquickende, stärkende und hei¬
lende Gott, der Sorgenbrecher und Befreier, der den Geist beflügelt, alle brüder¬
lich stimmt, mit genialströmender Naturkraft das Widerwärtige wegschwemmt
und Lust und Freude in ihre Rechte einsetzt. Als solchen priesen ihn die länd¬
lichen und städtischen Feste und besangen ihn die großen epischen, lyrischen und
dramatischen Dichter Griechenlands, und so verklärte er sich allmählich dermaßen,
daß sein Wesen in vielen Beziehungen dem des hehren Lichtgotts Apollon glich.
Nur trat die Musik und Poesie, die ihm diente, teils verworrener und phanta¬
stischer, teils gewaltsamer auf als die dem Apollon geweihte; wir sehen sie heftig
bewegt und voll Leidenschaft, sie schwankt zwischen Jubel und wildem Schmerz,
possenhafter Lustigkeit und trüber Klage und hat so zugleich die Komödie lind
die Tragödie und mit beiden deu zügellosen Dithyrambus geboren.

I» der geschichtlichen Zeit gab es in Griechenland Weine von sehr ver¬
schiedener Güte, und es fehlte nicht an feinen Zungen, die sich darüber klar
waren. Mir die vorzüglichste» Sorten galten die Gewächse von Samos, von
wo »ach einigen die Götter ihren Nektar bezöge», von Chios, Naxos, Kreta,
Lesbos, Kos und Rhodos, desgleichen der Wein, den die Insel Zakynthos er¬
zeugte. In gutem Rufe standen ferner die Weine, welche das Festland bei
Ambrakia, Korinth, Sikyon und Phlius hervorbrachte. Der Chierwein wurde
zur Zeit des Sokrntes in Athen mit anderthalb Mark unsres Geldes pro Liter
bezahlt. Die attischen, böotischen und messenischen Weine waren als schwach
»ut geistlos wenig geschätzt. Von den griechischen Traubengattungen werden
die lesbischeu, die narcotischen, die thasischcn, die von Ägina, die Psythia und
Melampsythia, die Basilea, der Amethyftinon, der Orthampelvs, der Daktylis,
der Bnmastos, der Leptoragios, der Alopekis und der Stephcmites lobend er¬
wähnt. Noch im Mittelalter erfreute sich der griechische Weinbau eines guten
Rufes und beträchtlicher Ausdehnung. Die Insel Kandia allein soll damals
alljährlich gegen zweimalhunderttausend Faß Malvasier auf deu Markt von
Venedig geliefert haben. Die Türkenherrschaft aber ließ diesen Zweig der Kultur
gleich andern mehr und mehr verkommen und verdorren, und erst seit etwa vier Jahr¬
zehnten werden ernste Anstrengungen gemacht, ihn wieder zum Blühen zu bringen.


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[0614] Griechische Weine. Reich dem homerischen Hymnus ist er im Begriffe, von Jkaria nach Naxos zu fahren, ein schöner, schwarzlockiger Jüngling mit purpurnem Mantel. Da greifen ihn tyrrhenische Seeräuber, binden ihn und schleppen ihn mit sich von dannen. Aber die Fesseln fallen ab, um die Segel winden sich Weinreben. Eppich umrankt den Mast, die Ruderbänke umschlingen Blumengewinde, Dionysos selbst wird zum Löwen, und die Schiffer stllrzeu sich, vom Wahnsinn ergriffen, in die See, wo sie sich in Delphine verwandeln. Eigentlich ganz allgemein der zur Gott¬ heit gewordene Frühling, die Verkörperung der sonnedurchwärmten, schwellenden, grünaufsprießendeu Natur, der Saftfülle, des Knospens und Blühens, ist Baechos doch vorzugsweise gefeiert wegen der Wirkung des Weines, seiner edelsten Spende, auf Leib und Gemüt des Menschen. Er ist der erquickende, stärkende und hei¬ lende Gott, der Sorgenbrecher und Befreier, der den Geist beflügelt, alle brüder¬ lich stimmt, mit genialströmender Naturkraft das Widerwärtige wegschwemmt und Lust und Freude in ihre Rechte einsetzt. Als solchen priesen ihn die länd¬ lichen und städtischen Feste und besangen ihn die großen epischen, lyrischen und dramatischen Dichter Griechenlands, und so verklärte er sich allmählich dermaßen, daß sein Wesen in vielen Beziehungen dem des hehren Lichtgotts Apollon glich. Nur trat die Musik und Poesie, die ihm diente, teils verworrener und phanta¬ stischer, teils gewaltsamer auf als die dem Apollon geweihte; wir sehen sie heftig bewegt und voll Leidenschaft, sie schwankt zwischen Jubel und wildem Schmerz, possenhafter Lustigkeit und trüber Klage und hat so zugleich die Komödie lind die Tragödie und mit beiden deu zügellosen Dithyrambus geboren. I» der geschichtlichen Zeit gab es in Griechenland Weine von sehr ver¬ schiedener Güte, und es fehlte nicht an feinen Zungen, die sich darüber klar waren. Mir die vorzüglichste» Sorten galten die Gewächse von Samos, von wo »ach einigen die Götter ihren Nektar bezöge», von Chios, Naxos, Kreta, Lesbos, Kos und Rhodos, desgleichen der Wein, den die Insel Zakynthos er¬ zeugte. In gutem Rufe standen ferner die Weine, welche das Festland bei Ambrakia, Korinth, Sikyon und Phlius hervorbrachte. Der Chierwein wurde zur Zeit des Sokrntes in Athen mit anderthalb Mark unsres Geldes pro Liter bezahlt. Die attischen, böotischen und messenischen Weine waren als schwach »ut geistlos wenig geschätzt. Von den griechischen Traubengattungen werden die lesbischeu, die narcotischen, die thasischcn, die von Ägina, die Psythia und Melampsythia, die Basilea, der Amethyftinon, der Orthampelvs, der Daktylis, der Bnmastos, der Leptoragios, der Alopekis und der Stephcmites lobend er¬ wähnt. Noch im Mittelalter erfreute sich der griechische Weinbau eines guten Rufes und beträchtlicher Ausdehnung. Die Insel Kandia allein soll damals alljährlich gegen zweimalhunderttausend Faß Malvasier auf deu Markt von Venedig geliefert haben. Die Türkenherrschaft aber ließ diesen Zweig der Kultur gleich andern mehr und mehr verkommen und verdorren, und erst seit etwa vier Jahr¬ zehnten werden ernste Anstrengungen gemacht, ihn wieder zum Blühen zu bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/614>, abgerufen am 01.10.2024.