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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Kanzelvortrag und seine Bedeutung.

durch eine gute und vor allem gut vorgetragene Predigt. Freilich ist der "gute
Vvrtrng" eine schwere Sache. Aber durch Fleiß und Ausdauer, vor allein in
der Schulung des Organs, läßt sich sehr viel erreichen. Denkt an die Schau¬
spieler -- jawohl, an die Schauspieler, für welche die Ausbildung des Sprach-
vrgans eine Lebensfrage ist, lind welche fast noch die einzigen Hüter unsrer
Muttersprache sind, dieser "Haupt- und Heldensprnche," wie Leibniz sie nennt.
Konrad Eckhos hatte gar keine Schulbildung und fing als Lichtputzer um;
Ludwig Devrient hatte ein überaus sprödes, mit Kehltönen versetztes Organ,
gar keine Volubilitüt der Rede und beim ersten Debüt zwei Arme und zwei
Beine zuviel. Beck und Jffland, zum Predigerstande erzogen, hatten anfänglich
mit allen Ausgeburten eines nasalen Organs zu kämpfen. Die meisten Organe
Prädestiniren nicht zum Sprachmeister. Wie Goethe sich jedoch bekanntlich ge¬
traute, aus jedem gerade gewachsenen Grenadier einen guten Schauspieler zu
machen, so ist nicht zu bezweifeln, daß jeder Kanzelredner die Disposition zum
Redner in sich trügt.

Wen aber sollen sie zum Lehrer wühlen?

Solange es keine Sprachakademien und Rhetorschnlen giebt, und in An¬
betracht dessen, daß Selbstunterricht in den seltensten Fällen genügt, giebt es
nur einen Lehrstnnd dafür. Ich fürchte kein Anathemn. Es ist mein heiligster
Ernst: es sind die Schauspieler; deshalb die einzigen Lehrmeister, weil sie die
einzigen sind, welche die a-ello in clivknclo pflegen und verstehen. Es können ja
meinetwegen depossedirte oder emeritirte sein. Aber gleichviel, "der Komödiant
könnt' einen Pfarrer lehren" -- "hier wird's Ereignis." Es ist auch garnicht
abzusehen, weshalb der Kanzelredner, z. B. in seinen Ferien, nicht einen dis¬
kreten Privatknrsns bei einem geeigneten Schauspieler durchmachen sollte, denn
so wenig das enthusinsmirte Volk wußte, daß Napoleon I. sich seine öffentlichen
Reden durch den Schauspieler Talma eiustudieren ließ, ebensowenig brauchte ja
über einen derartige" "Privatkursus" etwas an die Öffentlichkeit zu dringen.
Ich will nicht untersuchen, ob nicht die Scheelsucht der Kanzelredner gegen die
Schauspieler zum Teil gerade darauf zurückzuführen ist, daß bei diesen die Wir-
kuug des Wortes eine so unendlich viel packendere und nachhaltigere ist; ich
will uicht untersuchen, ob nicht die Ursachen des Mangels an Kanzelbercdtsam-
keit zum Teil dadurch aufgeklärt werden, daß die Geistlichen keine Theater, diese
einzigen Konservatorien für Sprachpflege heutzutage, besuchen; ich bin aber der
festen Überzeugung, daß weder diese Zurückhaltung lauge mehr dauern wird,
wie ja bereits Konzertlokale und Biergärten nicht mehr zu den verpöntem Er¬
holungsstätte" derselben zählen, noch daß der Antagonismus vou Komödiant lind
Pfarrer ein unüberwindlicher sei.

Viktor Hugo bekräftigt und beweist unumwunden und sehr gelassen: II lÄut
5non 1<z am-"z^ <^ng orü-tkur U ^ ii cieux On0868, um venseur se um ooinkäikn.
Es braucht niemandem eine Gänsehaut überzulaufen. Es ist ein überaus treffendes


Der Kanzelvortrag und seine Bedeutung.

durch eine gute und vor allem gut vorgetragene Predigt. Freilich ist der „gute
Vvrtrng" eine schwere Sache. Aber durch Fleiß und Ausdauer, vor allein in
der Schulung des Organs, läßt sich sehr viel erreichen. Denkt an die Schau¬
spieler — jawohl, an die Schauspieler, für welche die Ausbildung des Sprach-
vrgans eine Lebensfrage ist, lind welche fast noch die einzigen Hüter unsrer
Muttersprache sind, dieser „Haupt- und Heldensprnche," wie Leibniz sie nennt.
Konrad Eckhos hatte gar keine Schulbildung und fing als Lichtputzer um;
Ludwig Devrient hatte ein überaus sprödes, mit Kehltönen versetztes Organ,
gar keine Volubilitüt der Rede und beim ersten Debüt zwei Arme und zwei
Beine zuviel. Beck und Jffland, zum Predigerstande erzogen, hatten anfänglich
mit allen Ausgeburten eines nasalen Organs zu kämpfen. Die meisten Organe
Prädestiniren nicht zum Sprachmeister. Wie Goethe sich jedoch bekanntlich ge¬
traute, aus jedem gerade gewachsenen Grenadier einen guten Schauspieler zu
machen, so ist nicht zu bezweifeln, daß jeder Kanzelredner die Disposition zum
Redner in sich trügt.

Wen aber sollen sie zum Lehrer wühlen?

Solange es keine Sprachakademien und Rhetorschnlen giebt, und in An¬
betracht dessen, daß Selbstunterricht in den seltensten Fällen genügt, giebt es
nur einen Lehrstnnd dafür. Ich fürchte kein Anathemn. Es ist mein heiligster
Ernst: es sind die Schauspieler; deshalb die einzigen Lehrmeister, weil sie die
einzigen sind, welche die a-ello in clivknclo pflegen und verstehen. Es können ja
meinetwegen depossedirte oder emeritirte sein. Aber gleichviel, „der Komödiant
könnt' einen Pfarrer lehren" — „hier wird's Ereignis." Es ist auch garnicht
abzusehen, weshalb der Kanzelredner, z. B. in seinen Ferien, nicht einen dis¬
kreten Privatknrsns bei einem geeigneten Schauspieler durchmachen sollte, denn
so wenig das enthusinsmirte Volk wußte, daß Napoleon I. sich seine öffentlichen
Reden durch den Schauspieler Talma eiustudieren ließ, ebensowenig brauchte ja
über einen derartige« „Privatkursus" etwas an die Öffentlichkeit zu dringen.
Ich will nicht untersuchen, ob nicht die Scheelsucht der Kanzelredner gegen die
Schauspieler zum Teil gerade darauf zurückzuführen ist, daß bei diesen die Wir-
kuug des Wortes eine so unendlich viel packendere und nachhaltigere ist; ich
will uicht untersuchen, ob nicht die Ursachen des Mangels an Kanzelbercdtsam-
keit zum Teil dadurch aufgeklärt werden, daß die Geistlichen keine Theater, diese
einzigen Konservatorien für Sprachpflege heutzutage, besuchen; ich bin aber der
festen Überzeugung, daß weder diese Zurückhaltung lauge mehr dauern wird,
wie ja bereits Konzertlokale und Biergärten nicht mehr zu den verpöntem Er¬
holungsstätte« derselben zählen, noch daß der Antagonismus vou Komödiant lind
Pfarrer ein unüberwindlicher sei.

Viktor Hugo bekräftigt und beweist unumwunden und sehr gelassen: II lÄut
5non 1<z am-«z^ <^ng orü-tkur U ^ ii cieux On0868, um venseur se um ooinkäikn.
Es braucht niemandem eine Gänsehaut überzulaufen. Es ist ein überaus treffendes


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[0605] Der Kanzelvortrag und seine Bedeutung. durch eine gute und vor allem gut vorgetragene Predigt. Freilich ist der „gute Vvrtrng" eine schwere Sache. Aber durch Fleiß und Ausdauer, vor allein in der Schulung des Organs, läßt sich sehr viel erreichen. Denkt an die Schau¬ spieler — jawohl, an die Schauspieler, für welche die Ausbildung des Sprach- vrgans eine Lebensfrage ist, lind welche fast noch die einzigen Hüter unsrer Muttersprache sind, dieser „Haupt- und Heldensprnche," wie Leibniz sie nennt. Konrad Eckhos hatte gar keine Schulbildung und fing als Lichtputzer um; Ludwig Devrient hatte ein überaus sprödes, mit Kehltönen versetztes Organ, gar keine Volubilitüt der Rede und beim ersten Debüt zwei Arme und zwei Beine zuviel. Beck und Jffland, zum Predigerstande erzogen, hatten anfänglich mit allen Ausgeburten eines nasalen Organs zu kämpfen. Die meisten Organe Prädestiniren nicht zum Sprachmeister. Wie Goethe sich jedoch bekanntlich ge¬ traute, aus jedem gerade gewachsenen Grenadier einen guten Schauspieler zu machen, so ist nicht zu bezweifeln, daß jeder Kanzelredner die Disposition zum Redner in sich trügt. Wen aber sollen sie zum Lehrer wühlen? Solange es keine Sprachakademien und Rhetorschnlen giebt, und in An¬ betracht dessen, daß Selbstunterricht in den seltensten Fällen genügt, giebt es nur einen Lehrstnnd dafür. Ich fürchte kein Anathemn. Es ist mein heiligster Ernst: es sind die Schauspieler; deshalb die einzigen Lehrmeister, weil sie die einzigen sind, welche die a-ello in clivknclo pflegen und verstehen. Es können ja meinetwegen depossedirte oder emeritirte sein. Aber gleichviel, „der Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren" — „hier wird's Ereignis." Es ist auch garnicht abzusehen, weshalb der Kanzelredner, z. B. in seinen Ferien, nicht einen dis¬ kreten Privatknrsns bei einem geeigneten Schauspieler durchmachen sollte, denn so wenig das enthusinsmirte Volk wußte, daß Napoleon I. sich seine öffentlichen Reden durch den Schauspieler Talma eiustudieren ließ, ebensowenig brauchte ja über einen derartige« „Privatkursus" etwas an die Öffentlichkeit zu dringen. Ich will nicht untersuchen, ob nicht die Scheelsucht der Kanzelredner gegen die Schauspieler zum Teil gerade darauf zurückzuführen ist, daß bei diesen die Wir- kuug des Wortes eine so unendlich viel packendere und nachhaltigere ist; ich will uicht untersuchen, ob nicht die Ursachen des Mangels an Kanzelbercdtsam- keit zum Teil dadurch aufgeklärt werden, daß die Geistlichen keine Theater, diese einzigen Konservatorien für Sprachpflege heutzutage, besuchen; ich bin aber der festen Überzeugung, daß weder diese Zurückhaltung lauge mehr dauern wird, wie ja bereits Konzertlokale und Biergärten nicht mehr zu den verpöntem Er¬ holungsstätte« derselben zählen, noch daß der Antagonismus vou Komödiant lind Pfarrer ein unüberwindlicher sei. Viktor Hugo bekräftigt und beweist unumwunden und sehr gelassen: II lÄut 5non 1<z am-«z^ <^ng orü-tkur U ^ ii cieux On0868, um venseur se um ooinkäikn. Es braucht niemandem eine Gänsehaut überzulaufen. Es ist ein überaus treffendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/605>, abgerufen am 25.08.2024.