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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.
Einundzwanzigstes Uapitel.
Der Habicht in einer neuen Rolle.

Humphreys stand jetzt in den letzten Wochen seiner Siugschule. Er war
ein eifriger Millern geworden und erwies der nicht spröden Betsey Malcolm
Aufmerksamkeiten, obwohl er sich bei Andersons stellte, als sei ihm über Juliens
Aufführung, die ihn von sich gewiesen, nachdem sie ihm ihre Neigung ans jede
mögliche Art versichert, das Her?, gebrochen wäre. Und von sich gewiesen, wissen
Sie, wegen eines Dutchmans! In dieser letzten Beziehung war sein Gefühl
durchaus keine Verstellung, Ju seiner Seele teilten sich Geldgier, Eitelkeit und
Rachsucht in das schmale Gebiet neben jener. Er gelobte sich in seinem Innern,
daß er sich auf irgend eine Weise Genugthuung verschaffen wolle. Schulden,
die gegenüber seinem Stolze fällig waren, sollten von seiner Rachgier eingetrieben
werden.

Hat der Leser wohl jemals über die Nutzlosigkeit einer Landschaft nach¬
gedacht, wenn einer keine Augen hat, sie zu sehen, oder, was schlimmer ist, keine
Seele, die durch seine Angen sieht? Humphreys ging hinunter nach der Vnrg,
um dein Philosophen einen Besuch zu machen, und das "Schattenthal," wie
Andrew es nannte, hatte sicherlich niemals einen prachtvolleren Anblick darge¬
boten als an dem Morgen, den er zu seinem Gange gewühlt hatte. Die Büsche
des schwarzen Mehlbeerbaums hingen über die Straße, die Ahornbäume strebten
mit ihren großen Stammpfeilern himmelwärts, und die wilden Reben, von denen
einige vier und selbst sechs Zoll im Durchmesser hatten, reichten hinauf zu den
hohen Wipfeln, fünfzig bis hundert Fuß, ohne den Stamm zu berühren, sie
waren durch das Wachsen des Vannes mit hinausgehoben worden, indem Baum
und Rebe in steter Umarmung mit einander gelebt hatten. Durch die Öffnung
in der Thalsenkung sah Humphreys drunten auf deu Gefilden der fruchtbaren
Thalsohle die grüne See der sechs Fuß hoch stehenden Maissaat, die beiden
Reihen von Platanen an den sandigen Rändern des Stromes und die in den
bläulichen Duft der Ferne gehüllten Hügel ans der Seite von Kentucky. Aber
nicht eine Spur vou Empfindung, nicht eine Ahnung der Schönheit des Bildes
regte sich in der Seele des Gesanglehrers, als er zimperlich die Stellen zum
Auftreten wählte, um seine Lackstiefeln nicht zu beschmutzen, und als er die
Blätter der tief hängenden Vuchenästc mit seinein dünnen Spazierstöckchen abhieb.
Er hatte mit seinem Besuche bei Andrew einen Zweck im Auge, und seine Ge¬
danken waren auf das Wild gerichtet, das er verfolgte.

Charon, der Wächter der Burg, bellte den Habicht mit seiner groben, heisern
Stimme nu und wollte mit jenem scharfen Einblick in das Wesen der Menschen,
das die Hunde auszeichnet, dem Stutzer den Eintritt durchaus nicht gestatten,
bis Andrew an der Thür erschien und den Hund wegrief.


Der jüngste Tag.
Einundzwanzigstes Uapitel.
Der Habicht in einer neuen Rolle.

Humphreys stand jetzt in den letzten Wochen seiner Siugschule. Er war
ein eifriger Millern geworden und erwies der nicht spröden Betsey Malcolm
Aufmerksamkeiten, obwohl er sich bei Andersons stellte, als sei ihm über Juliens
Aufführung, die ihn von sich gewiesen, nachdem sie ihm ihre Neigung ans jede
mögliche Art versichert, das Her?, gebrochen wäre. Und von sich gewiesen, wissen
Sie, wegen eines Dutchmans! In dieser letzten Beziehung war sein Gefühl
durchaus keine Verstellung, Ju seiner Seele teilten sich Geldgier, Eitelkeit und
Rachsucht in das schmale Gebiet neben jener. Er gelobte sich in seinem Innern,
daß er sich auf irgend eine Weise Genugthuung verschaffen wolle. Schulden,
die gegenüber seinem Stolze fällig waren, sollten von seiner Rachgier eingetrieben
werden.

Hat der Leser wohl jemals über die Nutzlosigkeit einer Landschaft nach¬
gedacht, wenn einer keine Augen hat, sie zu sehen, oder, was schlimmer ist, keine
Seele, die durch seine Angen sieht? Humphreys ging hinunter nach der Vnrg,
um dein Philosophen einen Besuch zu machen, und das „Schattenthal," wie
Andrew es nannte, hatte sicherlich niemals einen prachtvolleren Anblick darge¬
boten als an dem Morgen, den er zu seinem Gange gewühlt hatte. Die Büsche
des schwarzen Mehlbeerbaums hingen über die Straße, die Ahornbäume strebten
mit ihren großen Stammpfeilern himmelwärts, und die wilden Reben, von denen
einige vier und selbst sechs Zoll im Durchmesser hatten, reichten hinauf zu den
hohen Wipfeln, fünfzig bis hundert Fuß, ohne den Stamm zu berühren, sie
waren durch das Wachsen des Vannes mit hinausgehoben worden, indem Baum
und Rebe in steter Umarmung mit einander gelebt hatten. Durch die Öffnung
in der Thalsenkung sah Humphreys drunten auf deu Gefilden der fruchtbaren
Thalsohle die grüne See der sechs Fuß hoch stehenden Maissaat, die beiden
Reihen von Platanen an den sandigen Rändern des Stromes und die in den
bläulichen Duft der Ferne gehüllten Hügel ans der Seite von Kentucky. Aber
nicht eine Spur vou Empfindung, nicht eine Ahnung der Schönheit des Bildes
regte sich in der Seele des Gesanglehrers, als er zimperlich die Stellen zum
Auftreten wählte, um seine Lackstiefeln nicht zu beschmutzen, und als er die
Blätter der tief hängenden Vuchenästc mit seinein dünnen Spazierstöckchen abhieb.
Er hatte mit seinem Besuche bei Andrew einen Zweck im Auge, und seine Ge¬
danken waren auf das Wild gerichtet, das er verfolgte.

Charon, der Wächter der Burg, bellte den Habicht mit seiner groben, heisern
Stimme nu und wollte mit jenem scharfen Einblick in das Wesen der Menschen,
das die Hunde auszeichnet, dem Stutzer den Eintritt durchaus nicht gestatten,
bis Andrew an der Thür erschien und den Hund wegrief.


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[0578] Der jüngste Tag. Einundzwanzigstes Uapitel. Der Habicht in einer neuen Rolle. Humphreys stand jetzt in den letzten Wochen seiner Siugschule. Er war ein eifriger Millern geworden und erwies der nicht spröden Betsey Malcolm Aufmerksamkeiten, obwohl er sich bei Andersons stellte, als sei ihm über Juliens Aufführung, die ihn von sich gewiesen, nachdem sie ihm ihre Neigung ans jede mögliche Art versichert, das Her?, gebrochen wäre. Und von sich gewiesen, wissen Sie, wegen eines Dutchmans! In dieser letzten Beziehung war sein Gefühl durchaus keine Verstellung, Ju seiner Seele teilten sich Geldgier, Eitelkeit und Rachsucht in das schmale Gebiet neben jener. Er gelobte sich in seinem Innern, daß er sich auf irgend eine Weise Genugthuung verschaffen wolle. Schulden, die gegenüber seinem Stolze fällig waren, sollten von seiner Rachgier eingetrieben werden. Hat der Leser wohl jemals über die Nutzlosigkeit einer Landschaft nach¬ gedacht, wenn einer keine Augen hat, sie zu sehen, oder, was schlimmer ist, keine Seele, die durch seine Angen sieht? Humphreys ging hinunter nach der Vnrg, um dein Philosophen einen Besuch zu machen, und das „Schattenthal," wie Andrew es nannte, hatte sicherlich niemals einen prachtvolleren Anblick darge¬ boten als an dem Morgen, den er zu seinem Gange gewühlt hatte. Die Büsche des schwarzen Mehlbeerbaums hingen über die Straße, die Ahornbäume strebten mit ihren großen Stammpfeilern himmelwärts, und die wilden Reben, von denen einige vier und selbst sechs Zoll im Durchmesser hatten, reichten hinauf zu den hohen Wipfeln, fünfzig bis hundert Fuß, ohne den Stamm zu berühren, sie waren durch das Wachsen des Vannes mit hinausgehoben worden, indem Baum und Rebe in steter Umarmung mit einander gelebt hatten. Durch die Öffnung in der Thalsenkung sah Humphreys drunten auf deu Gefilden der fruchtbaren Thalsohle die grüne See der sechs Fuß hoch stehenden Maissaat, die beiden Reihen von Platanen an den sandigen Rändern des Stromes und die in den bläulichen Duft der Ferne gehüllten Hügel ans der Seite von Kentucky. Aber nicht eine Spur vou Empfindung, nicht eine Ahnung der Schönheit des Bildes regte sich in der Seele des Gesanglehrers, als er zimperlich die Stellen zum Auftreten wählte, um seine Lackstiefeln nicht zu beschmutzen, und als er die Blätter der tief hängenden Vuchenästc mit seinein dünnen Spazierstöckchen abhieb. Er hatte mit seinem Besuche bei Andrew einen Zweck im Auge, und seine Ge¬ danken waren auf das Wild gerichtet, das er verfolgte. Charon, der Wächter der Burg, bellte den Habicht mit seiner groben, heisern Stimme nu und wollte mit jenem scharfen Einblick in das Wesen der Menschen, das die Hunde auszeichnet, dem Stutzer den Eintritt durchaus nicht gestatten, bis Andrew an der Thür erschien und den Hund wegrief.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/578>, abgerufen am 24.08.2024.