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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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einem bitterbösen Italienisch: kann man es auffallend finden, daß ihnen dafür
kein freundliches Gesicht gezeigt, Leine Gefälligkeit erwiesen, aber wohl mehr
Geld abgenommen wird? Wem die italienische Kost nicht zusagt, der ist aller¬
dings übel daran, aber sicherlich ist oft starke Einbildung mit im Spiele,
z. B. wenn Leute behaupten, in Oberitalien das Gebratene nicht vertragen zu
können, weil sie wissen, daß es mit -- meist vortrefflichem, frischem -- Olivenöl
zubereitet ist, hingegen an dem Nindsschinalz in Rom keinen Anstoß nehmen.
Wie dem auch sei: bist du der Ansicht, daß jede andre Küche, als die deine,
des gebildeten Menschen unwürdig sei, so bleib Italien fern, oder begnüge dich
mit den größten Städten und den internationalen Hotels derselben, zahle dreifach,
und kehre nach Hanse zurück, ohne italienisches Leben kennen gelernt zu haben.

Italienisches Leben -- daß dies noch immer die originellsten, anziehendsten
Schauspiele gewährt, unterliegt keinem Zweifel, vorausgesetzt den Sinn für das
Charakteristische, Malerische, wirklich Nationale. Aber ältere Neiseschilderungeu
und alberne Novellen verschulden, daß Michel Sauerkraut auf Schritt und Tritt
neapolitanische Fischermädchen und (unschädliche) Kalabreser, Scütarello und
Tarantella zu sehen erwartet, und für die stets wechselnden Genrebilder auf
Fisch- und Gemüsemärkten, in Kirchen und Ostarier kein Auge hat.

Und nun die Landschaft! Nikolai fragt wiederholt, was die gepriesensten
Gegenden vor dem deutschen Walde voraus hätten, und erinnert sich beim Anblick
der Häuser wehmütig der Villen im Berliner Tiergarten. Darüber hat man
viel gespottet, und dennoch spricht er im Namen von Tausenden. Es gehört
ja in der That eine Schulung des Auges dazu, um die Schönheit der Oliven-
und Cyprcssenhaine, der tiefer gestimmten Färbung der Vegetation, der Gebirgs-
formationen, mit einem Wort der südlichen Natur zu erfassen; und es ist ge¬
wiß, daß Jahr für Jahr viel Entzücken erheuchelt wird von Neulingen, die
just über den Brenner oder den Gotthard gekommen sind. Es handelt sich anch
da wieder um die Fähigkeit, zu sehen und Fremdes unbefangen ans sich wirken
zu lassen, und wer fest entschlossen ist, nnr Bnchentvälder und saftgrüne Wiesen
als "Natur" anzuerkennen, dem hat Italien keine Natur zu bieten, der verbringt
seine Ferien viel besser im Thüringer Walde oder im Salzkammergut.

Endlich wäre wohl nicht zuviel verlangt, daß jemand, der die Pilgerschaft
nach Italien antreten will, sich vorher prüfe, ob er irgendein Verhältnis zur
bildenden Kunst hat oder nicht, ob er weiß, was alte Kunst ist, oder wenigstens
es lernen möchte. Es ist zum erbarmen, die guten Leute mit dem Reisebuch
in der Hand vor Giotto oder Mantegna stehen oder dnrch das Lateranische
Museum wandern zu sehen, ernstlich gewillt, alles das zu entdecken, was ihnen
in Zitaten aus Cavaleaselle oder Vnrckhardt ?e. berichtet wird, das ganze Ge¬
sicht ein Fragezeichen der Hilflosigkeit. Doch der Ärger fängt erst an bei den
Überlegenen, welche entweder durch die witzige Frage: "Muß man das auch
schön finden?" uns in die Enge treiben wollen, oder ihren Maßstab der Un-


einem bitterbösen Italienisch: kann man es auffallend finden, daß ihnen dafür
kein freundliches Gesicht gezeigt, Leine Gefälligkeit erwiesen, aber wohl mehr
Geld abgenommen wird? Wem die italienische Kost nicht zusagt, der ist aller¬
dings übel daran, aber sicherlich ist oft starke Einbildung mit im Spiele,
z. B. wenn Leute behaupten, in Oberitalien das Gebratene nicht vertragen zu
können, weil sie wissen, daß es mit — meist vortrefflichem, frischem — Olivenöl
zubereitet ist, hingegen an dem Nindsschinalz in Rom keinen Anstoß nehmen.
Wie dem auch sei: bist du der Ansicht, daß jede andre Küche, als die deine,
des gebildeten Menschen unwürdig sei, so bleib Italien fern, oder begnüge dich
mit den größten Städten und den internationalen Hotels derselben, zahle dreifach,
und kehre nach Hanse zurück, ohne italienisches Leben kennen gelernt zu haben.

Italienisches Leben — daß dies noch immer die originellsten, anziehendsten
Schauspiele gewährt, unterliegt keinem Zweifel, vorausgesetzt den Sinn für das
Charakteristische, Malerische, wirklich Nationale. Aber ältere Neiseschilderungeu
und alberne Novellen verschulden, daß Michel Sauerkraut auf Schritt und Tritt
neapolitanische Fischermädchen und (unschädliche) Kalabreser, Scütarello und
Tarantella zu sehen erwartet, und für die stets wechselnden Genrebilder auf
Fisch- und Gemüsemärkten, in Kirchen und Ostarier kein Auge hat.

Und nun die Landschaft! Nikolai fragt wiederholt, was die gepriesensten
Gegenden vor dem deutschen Walde voraus hätten, und erinnert sich beim Anblick
der Häuser wehmütig der Villen im Berliner Tiergarten. Darüber hat man
viel gespottet, und dennoch spricht er im Namen von Tausenden. Es gehört
ja in der That eine Schulung des Auges dazu, um die Schönheit der Oliven-
und Cyprcssenhaine, der tiefer gestimmten Färbung der Vegetation, der Gebirgs-
formationen, mit einem Wort der südlichen Natur zu erfassen; und es ist ge¬
wiß, daß Jahr für Jahr viel Entzücken erheuchelt wird von Neulingen, die
just über den Brenner oder den Gotthard gekommen sind. Es handelt sich anch
da wieder um die Fähigkeit, zu sehen und Fremdes unbefangen ans sich wirken
zu lassen, und wer fest entschlossen ist, nnr Bnchentvälder und saftgrüne Wiesen
als „Natur" anzuerkennen, dem hat Italien keine Natur zu bieten, der verbringt
seine Ferien viel besser im Thüringer Walde oder im Salzkammergut.

Endlich wäre wohl nicht zuviel verlangt, daß jemand, der die Pilgerschaft
nach Italien antreten will, sich vorher prüfe, ob er irgendein Verhältnis zur
bildenden Kunst hat oder nicht, ob er weiß, was alte Kunst ist, oder wenigstens
es lernen möchte. Es ist zum erbarmen, die guten Leute mit dem Reisebuch
in der Hand vor Giotto oder Mantegna stehen oder dnrch das Lateranische
Museum wandern zu sehen, ernstlich gewillt, alles das zu entdecken, was ihnen
in Zitaten aus Cavaleaselle oder Vnrckhardt ?e. berichtet wird, das ganze Ge¬
sicht ein Fragezeichen der Hilflosigkeit. Doch der Ärger fängt erst an bei den
Überlegenen, welche entweder durch die witzige Frage: „Muß man das auch
schön finden?" uns in die Enge treiben wollen, oder ihren Maßstab der Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/572>, abgerufen am 26.08.2024.