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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vom Reisen.

Karlsruhe und Antwerpen, da hat mau sich alles ganz anders vorgestellt, kann
den Schwaben nicht verzeihen, daß sie schwäbisch, den Engländern nicht, daß
sie englisch sprechen, den Tirolern nicht, daß sie durchweg ein apartes Wesen
haben, und den Italienern nicht, daß sie sich wie andre Menschenkinder kleiden,
anstatt so, wie man sie vom Maskenbälle her kennt. Und wer in die Empörung
nicht mit einstimmen will, der ist ein Heuchler, der affektirt, der ist ein Anbeter
alles Fremden.

Wie viel Geld und wie viele Enttäuschungen könnten dergleichen Leute
sich ersparen, die einen, wenn sie zu Hanse blieben, die andern, wenn sie nur
ihrer Neigung folgten, und -- wie viel angenehmer würde für noch andre das
Reisen!

Besonders in Italien hat man stets neuen Anlaß, den Gsell-Fels mit seinem
"Italien in 60 Tagen," die Gesellschaftsreisen zum Vesuv und die wohlfeilen
Rnndreisebillets zum Teufel zu wünschen. Den Belehrungen über Geld, Ver¬
kehrsmittel, Sprache und Kunstgeschichte, welche die Reisebücher erteilen, sollte
als wichtigstes vorangestellt werden eine Abhandlung über die persönlichen Eigen¬
schaften, die notwendig sind, um das Land mit irgendwelchem Nutzen zu bereisen
und über alles das in der Natur, in der Bauart, in den Lebensgewohnheiten,
was den Nordländer, der zum erstenmale über die Alpen kommt, unter allen
Umständen fremd anmuten muß. Denn gerade in diesen Dingen völlig unvor¬
bereitet kommen alljährlich Schaaren in Italien an, und während dieser nicht
wagt zu gestehen, daß das, was er sieht, zu seinem Phantasiebilde schlecht stimmt,
ist jeuer bei dem Betreten des fremden Bodens schon mit seinem Urteil fertig
und findet, je weiter er vordringt, nur lauter Bestätigungen desselben. Waren
früher die reisenden Engländer verrufen und Gegenstand des Spottes, so fangen,
wie jeder unparteiische Beobachter einrünmen wird, unsre lieben Lnndsleute an,
ihnen heftige Konkurrenz zu machen. John Vulk steht uns oft im Wege, lang¬
weilt oder ärgert uus durch sein rücksichtsloses Benehmen, amüsirt aber anch,
ucunentlich bei heerdenweisem Vorkommen, wenn der Leithammel die Beschreibung
eines Kunstwerkes oder einer Ansicht aus dem Murray laut vorliest und alle
übrigen gewissenhaft nachlesen, ohne dem Objekt einen Blick zu schenken. Unter
den Deutschen aber grassirt die Unsitte, alles, was ihnen durch den Kopf geht,
mit schmetternder Stimme zum besten zu geben, ob sie unter sich sind oder zu¬
sammen mit Hunderten. Man glaubt nicht, wieviel (beiläufig bemerkt) diese Manier
unser aller Verhältnis zu den Franzosen erschwert. Ohne die Thorheiten, zu
welchen die Franzosen seit dem Kriege stets aufgelegt sind, im mindesten ent¬
schuldigen zu wollen, muß doch zugegeben werden, daß ihnen das Auftreten vieler
Deutschen die Rückkehr zu einer vernünftigen Ansicht der Dinge unmöglich macht.
Das Jahr 1878, welches tausende nach Paris führte, hat notorisch den In¬
grimm der Besiegten nen geschürt, da so viele Deutsche" sich nicht wie Gäste,
sondern wie Eroberer zu fühlen schienen, und das Idiom, welches dem Franzosen


Vom Reisen.

Karlsruhe und Antwerpen, da hat mau sich alles ganz anders vorgestellt, kann
den Schwaben nicht verzeihen, daß sie schwäbisch, den Engländern nicht, daß
sie englisch sprechen, den Tirolern nicht, daß sie durchweg ein apartes Wesen
haben, und den Italienern nicht, daß sie sich wie andre Menschenkinder kleiden,
anstatt so, wie man sie vom Maskenbälle her kennt. Und wer in die Empörung
nicht mit einstimmen will, der ist ein Heuchler, der affektirt, der ist ein Anbeter
alles Fremden.

Wie viel Geld und wie viele Enttäuschungen könnten dergleichen Leute
sich ersparen, die einen, wenn sie zu Hanse blieben, die andern, wenn sie nur
ihrer Neigung folgten, und — wie viel angenehmer würde für noch andre das
Reisen!

Besonders in Italien hat man stets neuen Anlaß, den Gsell-Fels mit seinem
„Italien in 60 Tagen," die Gesellschaftsreisen zum Vesuv und die wohlfeilen
Rnndreisebillets zum Teufel zu wünschen. Den Belehrungen über Geld, Ver¬
kehrsmittel, Sprache und Kunstgeschichte, welche die Reisebücher erteilen, sollte
als wichtigstes vorangestellt werden eine Abhandlung über die persönlichen Eigen¬
schaften, die notwendig sind, um das Land mit irgendwelchem Nutzen zu bereisen
und über alles das in der Natur, in der Bauart, in den Lebensgewohnheiten,
was den Nordländer, der zum erstenmale über die Alpen kommt, unter allen
Umständen fremd anmuten muß. Denn gerade in diesen Dingen völlig unvor¬
bereitet kommen alljährlich Schaaren in Italien an, und während dieser nicht
wagt zu gestehen, daß das, was er sieht, zu seinem Phantasiebilde schlecht stimmt,
ist jeuer bei dem Betreten des fremden Bodens schon mit seinem Urteil fertig
und findet, je weiter er vordringt, nur lauter Bestätigungen desselben. Waren
früher die reisenden Engländer verrufen und Gegenstand des Spottes, so fangen,
wie jeder unparteiische Beobachter einrünmen wird, unsre lieben Lnndsleute an,
ihnen heftige Konkurrenz zu machen. John Vulk steht uns oft im Wege, lang¬
weilt oder ärgert uus durch sein rücksichtsloses Benehmen, amüsirt aber anch,
ucunentlich bei heerdenweisem Vorkommen, wenn der Leithammel die Beschreibung
eines Kunstwerkes oder einer Ansicht aus dem Murray laut vorliest und alle
übrigen gewissenhaft nachlesen, ohne dem Objekt einen Blick zu schenken. Unter
den Deutschen aber grassirt die Unsitte, alles, was ihnen durch den Kopf geht,
mit schmetternder Stimme zum besten zu geben, ob sie unter sich sind oder zu¬
sammen mit Hunderten. Man glaubt nicht, wieviel (beiläufig bemerkt) diese Manier
unser aller Verhältnis zu den Franzosen erschwert. Ohne die Thorheiten, zu
welchen die Franzosen seit dem Kriege stets aufgelegt sind, im mindesten ent¬
schuldigen zu wollen, muß doch zugegeben werden, daß ihnen das Auftreten vieler
Deutschen die Rückkehr zu einer vernünftigen Ansicht der Dinge unmöglich macht.
Das Jahr 1878, welches tausende nach Paris führte, hat notorisch den In¬
grimm der Besiegten nen geschürt, da so viele Deutsche» sich nicht wie Gäste,
sondern wie Eroberer zu fühlen schienen, und das Idiom, welches dem Franzosen


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[0570] Vom Reisen. Karlsruhe und Antwerpen, da hat mau sich alles ganz anders vorgestellt, kann den Schwaben nicht verzeihen, daß sie schwäbisch, den Engländern nicht, daß sie englisch sprechen, den Tirolern nicht, daß sie durchweg ein apartes Wesen haben, und den Italienern nicht, daß sie sich wie andre Menschenkinder kleiden, anstatt so, wie man sie vom Maskenbälle her kennt. Und wer in die Empörung nicht mit einstimmen will, der ist ein Heuchler, der affektirt, der ist ein Anbeter alles Fremden. Wie viel Geld und wie viele Enttäuschungen könnten dergleichen Leute sich ersparen, die einen, wenn sie zu Hanse blieben, die andern, wenn sie nur ihrer Neigung folgten, und — wie viel angenehmer würde für noch andre das Reisen! Besonders in Italien hat man stets neuen Anlaß, den Gsell-Fels mit seinem „Italien in 60 Tagen," die Gesellschaftsreisen zum Vesuv und die wohlfeilen Rnndreisebillets zum Teufel zu wünschen. Den Belehrungen über Geld, Ver¬ kehrsmittel, Sprache und Kunstgeschichte, welche die Reisebücher erteilen, sollte als wichtigstes vorangestellt werden eine Abhandlung über die persönlichen Eigen¬ schaften, die notwendig sind, um das Land mit irgendwelchem Nutzen zu bereisen und über alles das in der Natur, in der Bauart, in den Lebensgewohnheiten, was den Nordländer, der zum erstenmale über die Alpen kommt, unter allen Umständen fremd anmuten muß. Denn gerade in diesen Dingen völlig unvor¬ bereitet kommen alljährlich Schaaren in Italien an, und während dieser nicht wagt zu gestehen, daß das, was er sieht, zu seinem Phantasiebilde schlecht stimmt, ist jeuer bei dem Betreten des fremden Bodens schon mit seinem Urteil fertig und findet, je weiter er vordringt, nur lauter Bestätigungen desselben. Waren früher die reisenden Engländer verrufen und Gegenstand des Spottes, so fangen, wie jeder unparteiische Beobachter einrünmen wird, unsre lieben Lnndsleute an, ihnen heftige Konkurrenz zu machen. John Vulk steht uns oft im Wege, lang¬ weilt oder ärgert uus durch sein rücksichtsloses Benehmen, amüsirt aber anch, ucunentlich bei heerdenweisem Vorkommen, wenn der Leithammel die Beschreibung eines Kunstwerkes oder einer Ansicht aus dem Murray laut vorliest und alle übrigen gewissenhaft nachlesen, ohne dem Objekt einen Blick zu schenken. Unter den Deutschen aber grassirt die Unsitte, alles, was ihnen durch den Kopf geht, mit schmetternder Stimme zum besten zu geben, ob sie unter sich sind oder zu¬ sammen mit Hunderten. Man glaubt nicht, wieviel (beiläufig bemerkt) diese Manier unser aller Verhältnis zu den Franzosen erschwert. Ohne die Thorheiten, zu welchen die Franzosen seit dem Kriege stets aufgelegt sind, im mindesten ent¬ schuldigen zu wollen, muß doch zugegeben werden, daß ihnen das Auftreten vieler Deutschen die Rückkehr zu einer vernünftigen Ansicht der Dinge unmöglich macht. Das Jahr 1878, welches tausende nach Paris führte, hat notorisch den In¬ grimm der Besiegten nen geschürt, da so viele Deutsche» sich nicht wie Gäste, sondern wie Eroberer zu fühlen schienen, und das Idiom, welches dem Franzosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/570>, abgerufen am 26.08.2024.