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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vom Reisen.

geriren. Sie hat deshalb auch nicht den geringsten ethischen oder philosophischen
Wert, sondern ist nur interessant in ihrer Verknüpfung mit einer gewaltsamen
und genialen künstlerischen Produktionskraft, für die sie den Hintergrund ab-
giebt. In diesem Zusammenhange kommt ihr auch eine subjektive Wichtigkeit
zu, da man Wagners Werke nicht richtig verstehen würde, wenn man über die
Ideale, die zeitlebens das Herz des Dichterkomponisten bewegt haben, nicht im
klaren ist. Dagegen dürfte es nicht zum Ziele führen, wenn man durch allge¬
meine praktische Anwendung dieser Ideale die Menschheit zu erlösen versuchen
wollte. Was bei einem solchen Versuche herauskommen würde, kann man sich
leicht ausmalen, und es ist gewiß keine Verkennung des eigentümlich gearteten
Wagnerschen Genies damit verbunden, wenn man gegen die Zumutung, aus
Wagners Theorien oder Werken neue Erkenutnisquellen für ethische oder soziale
Probleme abzuleiten, als eine gänzlich unberechtigte protestirt.

Keineswegs soll aber dieser Protest so gedeutet werden, als richte er sich
gegen das Vorhandensein der Werke Wagners selbst. Daß ein Künstler die
Empfindungen und Ideen, die den Inhalt seines Wesens ausmachen, in der
Form von Kunstwerken auszusprechen sucht, ist ein ewig unveräußerliches Recht
des Künstlers, ja es ist sogar sein eigentlicher Beruf, seine Bestimmung, und
in diesem Sinne sind sämmtliche Werke Wagners von hervorragender Bedeutung,
als Werke eiuer litauisch angelegten Natur, die man anch in ihren Ungeheuer¬
lichkeiten noch um so lieber zu bewundern geneigt ist, je weniger unverständige
Anbeter für das uur subjektiv Wichtige und Bedeutsame eine objektive Giltigkeit
verlangen, die ihm nicht zukommt.

Man versuche es einmal wieder mit der alten Liebe, die den Nächsten
liebt wie sich selbst, und die Herren Wagnerianer mögen mit gutem Beispiele
vorangehen. Wir würden uns gerne bemühen, dem guten Beispiele zu folgen,
umsomehr, als wir ohnehin überzeugt sind, daß diese alte Lehre noch für lange
Zeit ausreicht.




Vorn Reisen.

alten nicht alle Bildungsmittel nur einen relativen Wert, so müßten
wir uns auf dem geraden Wege zur menschlichen Vollkommenheit
und schwerlich mehr weit vom Ziele befinden. Wie Kranke, die
sich selbst kuriren wollen, gebrauchen wir alles durcheinander, was
die populäre Wissenschaft als nützlich für den Verstand, das Ge¬
müt, die Phantasie, den Geschmack, den Charakter empfiehlt. Lesen bildet, und


Vom Reisen.

geriren. Sie hat deshalb auch nicht den geringsten ethischen oder philosophischen
Wert, sondern ist nur interessant in ihrer Verknüpfung mit einer gewaltsamen
und genialen künstlerischen Produktionskraft, für die sie den Hintergrund ab-
giebt. In diesem Zusammenhange kommt ihr auch eine subjektive Wichtigkeit
zu, da man Wagners Werke nicht richtig verstehen würde, wenn man über die
Ideale, die zeitlebens das Herz des Dichterkomponisten bewegt haben, nicht im
klaren ist. Dagegen dürfte es nicht zum Ziele führen, wenn man durch allge¬
meine praktische Anwendung dieser Ideale die Menschheit zu erlösen versuchen
wollte. Was bei einem solchen Versuche herauskommen würde, kann man sich
leicht ausmalen, und es ist gewiß keine Verkennung des eigentümlich gearteten
Wagnerschen Genies damit verbunden, wenn man gegen die Zumutung, aus
Wagners Theorien oder Werken neue Erkenutnisquellen für ethische oder soziale
Probleme abzuleiten, als eine gänzlich unberechtigte protestirt.

Keineswegs soll aber dieser Protest so gedeutet werden, als richte er sich
gegen das Vorhandensein der Werke Wagners selbst. Daß ein Künstler die
Empfindungen und Ideen, die den Inhalt seines Wesens ausmachen, in der
Form von Kunstwerken auszusprechen sucht, ist ein ewig unveräußerliches Recht
des Künstlers, ja es ist sogar sein eigentlicher Beruf, seine Bestimmung, und
in diesem Sinne sind sämmtliche Werke Wagners von hervorragender Bedeutung,
als Werke eiuer litauisch angelegten Natur, die man anch in ihren Ungeheuer¬
lichkeiten noch um so lieber zu bewundern geneigt ist, je weniger unverständige
Anbeter für das uur subjektiv Wichtige und Bedeutsame eine objektive Giltigkeit
verlangen, die ihm nicht zukommt.

Man versuche es einmal wieder mit der alten Liebe, die den Nächsten
liebt wie sich selbst, und die Herren Wagnerianer mögen mit gutem Beispiele
vorangehen. Wir würden uns gerne bemühen, dem guten Beispiele zu folgen,
umsomehr, als wir ohnehin überzeugt sind, daß diese alte Lehre noch für lange
Zeit ausreicht.




Vorn Reisen.

alten nicht alle Bildungsmittel nur einen relativen Wert, so müßten
wir uns auf dem geraden Wege zur menschlichen Vollkommenheit
und schwerlich mehr weit vom Ziele befinden. Wie Kranke, die
sich selbst kuriren wollen, gebrauchen wir alles durcheinander, was
die populäre Wissenschaft als nützlich für den Verstand, das Ge¬
müt, die Phantasie, den Geschmack, den Charakter empfiehlt. Lesen bildet, und


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[0567] Vom Reisen. geriren. Sie hat deshalb auch nicht den geringsten ethischen oder philosophischen Wert, sondern ist nur interessant in ihrer Verknüpfung mit einer gewaltsamen und genialen künstlerischen Produktionskraft, für die sie den Hintergrund ab- giebt. In diesem Zusammenhange kommt ihr auch eine subjektive Wichtigkeit zu, da man Wagners Werke nicht richtig verstehen würde, wenn man über die Ideale, die zeitlebens das Herz des Dichterkomponisten bewegt haben, nicht im klaren ist. Dagegen dürfte es nicht zum Ziele führen, wenn man durch allge¬ meine praktische Anwendung dieser Ideale die Menschheit zu erlösen versuchen wollte. Was bei einem solchen Versuche herauskommen würde, kann man sich leicht ausmalen, und es ist gewiß keine Verkennung des eigentümlich gearteten Wagnerschen Genies damit verbunden, wenn man gegen die Zumutung, aus Wagners Theorien oder Werken neue Erkenutnisquellen für ethische oder soziale Probleme abzuleiten, als eine gänzlich unberechtigte protestirt. Keineswegs soll aber dieser Protest so gedeutet werden, als richte er sich gegen das Vorhandensein der Werke Wagners selbst. Daß ein Künstler die Empfindungen und Ideen, die den Inhalt seines Wesens ausmachen, in der Form von Kunstwerken auszusprechen sucht, ist ein ewig unveräußerliches Recht des Künstlers, ja es ist sogar sein eigentlicher Beruf, seine Bestimmung, und in diesem Sinne sind sämmtliche Werke Wagners von hervorragender Bedeutung, als Werke eiuer litauisch angelegten Natur, die man anch in ihren Ungeheuer¬ lichkeiten noch um so lieber zu bewundern geneigt ist, je weniger unverständige Anbeter für das uur subjektiv Wichtige und Bedeutsame eine objektive Giltigkeit verlangen, die ihm nicht zukommt. Man versuche es einmal wieder mit der alten Liebe, die den Nächsten liebt wie sich selbst, und die Herren Wagnerianer mögen mit gutem Beispiele vorangehen. Wir würden uns gerne bemühen, dem guten Beispiele zu folgen, umsomehr, als wir ohnehin überzeugt sind, daß diese alte Lehre noch für lange Zeit ausreicht. Vorn Reisen. alten nicht alle Bildungsmittel nur einen relativen Wert, so müßten wir uns auf dem geraden Wege zur menschlichen Vollkommenheit und schwerlich mehr weit vom Ziele befinden. Wie Kranke, die sich selbst kuriren wollen, gebrauchen wir alles durcheinander, was die populäre Wissenschaft als nützlich für den Verstand, das Ge¬ müt, die Phantasie, den Geschmack, den Charakter empfiehlt. Lesen bildet, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/567>, abgerufen am 25.08.2024.