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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilslehre Richard Magncrs.

platz ihrer Thätigkeit aus einer untergehenden Welt in eine neue, der Seligkeit
durch Liebe günstigere verlegen kann. Also die rechte Bethätigung der Bejahung
des Willens zum Leben wird erst in Aussicht gestellt.

Was ist um eigentlich das Ethische in der Wagnerschen Kunst? Es ist
meiner Ansicht nach eine durch alle Werke hindurchziehende Aufforderung zu
einer rücksichtslosen Bethätigung des Willens zum Leben, ein Auflehnen gegen
alleu der menschlichen Natur dnrch die Kultur auferlegten Zwang, eine indirekte
Aufforderung zum Kampf aller gegen alle. Die einzige Ausnahme macht Parsifal,
insofern als er die erlösende Kraft des Mitleids veranschaulichen soll, eine Auf¬
gabe, dnrch die es bedingt wird, das; Parsifal sich selbst ein Opfer, ein Leiden
auferlegt, an das Leiden andrer zu lindern und es aufzuheben. Hier erscheint
es anch glaubhafter, daß Wagner von einer Schopenhanerschen Idee beeinflußt
worden ist; mir muß ich sagen, daß die Umsetzung dieser Idee in dramatisches
Leben mir durchaus mißlungen zu sein scheint, denn in dem geistesleeren,
"thörichten" Parsifal fehlt jede Vorbedingung für eine tiefe ethische Erregung,
daher nimmt sich seine Heldenthat der Kundrh gegenüber gekünstelt und zugleich
oberflächlich aus.

Die Gewalt der Darstellung, die glühende Wärme der Musik, die Kenntnis
szenischer Effekte, in denen Wagner unvergleichlich erfinderisch ist, täuschen eben
hier wie überall in seinen Werken über so vieles innerliche Leere, unwahres
Pathos und unlautere Empfindung, sodaß der ergriffene Zuhörer seine Freude
an dem, was so mächtigen Eindruck auf ihn macht, unwillkürlich auch ans das
überträgt, was nicht erfreulich ist. Er hat auch an dem Schönen und Gro߬
artigen, was die Werke Wagners bieten, so viel zu genießen, daß er die bedenk¬
lichen Beschaffenheiten des eigentlichen Kerns gar nicht merkt. Was man aber
vom ethischen Standpunkte über die Kunst Wagners sagen muß, ist das, daß
sie äußerst bedenklich, vielfach sogar roh ist. Ihrem ethischen Gehalt nach er¬
reicht sie nicht die Höhe des ersten besten philosophischen Mvralsystems, geschweige
denn daß sie als ein Quell gelten könnte, aus dem sich ein neues Evangelium
schöpfen ließe, ähnlich wie das christliche Evangelium der Liebe. Die Grund¬
begriffe einer geläuterten Moral werdeu weder in Wagners Kunstwerken uoch
in seinen Schriften bemerkbar, wohl aber überall das Gegenteil.

Bewundern wir also das Genie des außerordentlichen Mannes, studiren
wir das interessante Bild seiner Entwicklung, aber seien wir nicht so gedankenlos,
uns als eine neue Weltanschauung, als ein neues Evangelium Dinge einreden
zu lassen, die nnr beweisen, daß der Autor das bessere, was wir in der Art
von großen Philosophen und Religionsstiftern bereits besitze", entweder nicht
genügend kennt oder nicht genügend verstanden hat. Die Religion der Rück¬
sichtslosigkeit und des Egoismus braucht keine neuen Propheten mehr, und etwas
nudres ist doch die Wagnersche Heilslehre nicht, mag sie nun sich als Ver¬
fechterin der "Liebe" oder des "Reiumenschlichen" oder des "idealen Menschen"


Die Heilslehre Richard Magncrs.

platz ihrer Thätigkeit aus einer untergehenden Welt in eine neue, der Seligkeit
durch Liebe günstigere verlegen kann. Also die rechte Bethätigung der Bejahung
des Willens zum Leben wird erst in Aussicht gestellt.

Was ist um eigentlich das Ethische in der Wagnerschen Kunst? Es ist
meiner Ansicht nach eine durch alle Werke hindurchziehende Aufforderung zu
einer rücksichtslosen Bethätigung des Willens zum Leben, ein Auflehnen gegen
alleu der menschlichen Natur dnrch die Kultur auferlegten Zwang, eine indirekte
Aufforderung zum Kampf aller gegen alle. Die einzige Ausnahme macht Parsifal,
insofern als er die erlösende Kraft des Mitleids veranschaulichen soll, eine Auf¬
gabe, dnrch die es bedingt wird, das; Parsifal sich selbst ein Opfer, ein Leiden
auferlegt, an das Leiden andrer zu lindern und es aufzuheben. Hier erscheint
es anch glaubhafter, daß Wagner von einer Schopenhanerschen Idee beeinflußt
worden ist; mir muß ich sagen, daß die Umsetzung dieser Idee in dramatisches
Leben mir durchaus mißlungen zu sein scheint, denn in dem geistesleeren,
„thörichten" Parsifal fehlt jede Vorbedingung für eine tiefe ethische Erregung,
daher nimmt sich seine Heldenthat der Kundrh gegenüber gekünstelt und zugleich
oberflächlich aus.

Die Gewalt der Darstellung, die glühende Wärme der Musik, die Kenntnis
szenischer Effekte, in denen Wagner unvergleichlich erfinderisch ist, täuschen eben
hier wie überall in seinen Werken über so vieles innerliche Leere, unwahres
Pathos und unlautere Empfindung, sodaß der ergriffene Zuhörer seine Freude
an dem, was so mächtigen Eindruck auf ihn macht, unwillkürlich auch ans das
überträgt, was nicht erfreulich ist. Er hat auch an dem Schönen und Gro߬
artigen, was die Werke Wagners bieten, so viel zu genießen, daß er die bedenk¬
lichen Beschaffenheiten des eigentlichen Kerns gar nicht merkt. Was man aber
vom ethischen Standpunkte über die Kunst Wagners sagen muß, ist das, daß
sie äußerst bedenklich, vielfach sogar roh ist. Ihrem ethischen Gehalt nach er¬
reicht sie nicht die Höhe des ersten besten philosophischen Mvralsystems, geschweige
denn daß sie als ein Quell gelten könnte, aus dem sich ein neues Evangelium
schöpfen ließe, ähnlich wie das christliche Evangelium der Liebe. Die Grund¬
begriffe einer geläuterten Moral werdeu weder in Wagners Kunstwerken uoch
in seinen Schriften bemerkbar, wohl aber überall das Gegenteil.

Bewundern wir also das Genie des außerordentlichen Mannes, studiren
wir das interessante Bild seiner Entwicklung, aber seien wir nicht so gedankenlos,
uns als eine neue Weltanschauung, als ein neues Evangelium Dinge einreden
zu lassen, die nnr beweisen, daß der Autor das bessere, was wir in der Art
von großen Philosophen und Religionsstiftern bereits besitze», entweder nicht
genügend kennt oder nicht genügend verstanden hat. Die Religion der Rück¬
sichtslosigkeit und des Egoismus braucht keine neuen Propheten mehr, und etwas
nudres ist doch die Wagnersche Heilslehre nicht, mag sie nun sich als Ver¬
fechterin der „Liebe" oder des „Reiumenschlichen" oder des „idealen Menschen"


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[0566] Die Heilslehre Richard Magncrs. platz ihrer Thätigkeit aus einer untergehenden Welt in eine neue, der Seligkeit durch Liebe günstigere verlegen kann. Also die rechte Bethätigung der Bejahung des Willens zum Leben wird erst in Aussicht gestellt. Was ist um eigentlich das Ethische in der Wagnerschen Kunst? Es ist meiner Ansicht nach eine durch alle Werke hindurchziehende Aufforderung zu einer rücksichtslosen Bethätigung des Willens zum Leben, ein Auflehnen gegen alleu der menschlichen Natur dnrch die Kultur auferlegten Zwang, eine indirekte Aufforderung zum Kampf aller gegen alle. Die einzige Ausnahme macht Parsifal, insofern als er die erlösende Kraft des Mitleids veranschaulichen soll, eine Auf¬ gabe, dnrch die es bedingt wird, das; Parsifal sich selbst ein Opfer, ein Leiden auferlegt, an das Leiden andrer zu lindern und es aufzuheben. Hier erscheint es anch glaubhafter, daß Wagner von einer Schopenhanerschen Idee beeinflußt worden ist; mir muß ich sagen, daß die Umsetzung dieser Idee in dramatisches Leben mir durchaus mißlungen zu sein scheint, denn in dem geistesleeren, „thörichten" Parsifal fehlt jede Vorbedingung für eine tiefe ethische Erregung, daher nimmt sich seine Heldenthat der Kundrh gegenüber gekünstelt und zugleich oberflächlich aus. Die Gewalt der Darstellung, die glühende Wärme der Musik, die Kenntnis szenischer Effekte, in denen Wagner unvergleichlich erfinderisch ist, täuschen eben hier wie überall in seinen Werken über so vieles innerliche Leere, unwahres Pathos und unlautere Empfindung, sodaß der ergriffene Zuhörer seine Freude an dem, was so mächtigen Eindruck auf ihn macht, unwillkürlich auch ans das überträgt, was nicht erfreulich ist. Er hat auch an dem Schönen und Gro߬ artigen, was die Werke Wagners bieten, so viel zu genießen, daß er die bedenk¬ lichen Beschaffenheiten des eigentlichen Kerns gar nicht merkt. Was man aber vom ethischen Standpunkte über die Kunst Wagners sagen muß, ist das, daß sie äußerst bedenklich, vielfach sogar roh ist. Ihrem ethischen Gehalt nach er¬ reicht sie nicht die Höhe des ersten besten philosophischen Mvralsystems, geschweige denn daß sie als ein Quell gelten könnte, aus dem sich ein neues Evangelium schöpfen ließe, ähnlich wie das christliche Evangelium der Liebe. Die Grund¬ begriffe einer geläuterten Moral werdeu weder in Wagners Kunstwerken uoch in seinen Schriften bemerkbar, wohl aber überall das Gegenteil. Bewundern wir also das Genie des außerordentlichen Mannes, studiren wir das interessante Bild seiner Entwicklung, aber seien wir nicht so gedankenlos, uns als eine neue Weltanschauung, als ein neues Evangelium Dinge einreden zu lassen, die nnr beweisen, daß der Autor das bessere, was wir in der Art von großen Philosophen und Religionsstiftern bereits besitze», entweder nicht genügend kennt oder nicht genügend verstanden hat. Die Religion der Rück¬ sichtslosigkeit und des Egoismus braucht keine neuen Propheten mehr, und etwas nudres ist doch die Wagnersche Heilslehre nicht, mag sie nun sich als Ver¬ fechterin der „Liebe" oder des „Reiumenschlichen" oder des „idealen Menschen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/566>, abgerufen am 25.08.2024.