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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilslehre Richard Wagners.

des Weibes erlösen kann. Wagner hat eine förmliche Theorie von der Er¬
lösung durch das Weib, durch das "Weib der Zukunft," aufgestellt, die dem
Sinne nach auf eine gänzlich willenlose Unterwerfung des sich hingebenden
Weibes uuter den "männlichen Egoismus" hinausläuft (wie mau in seiner
Selbstbiographie nachlesen kann), und so hat er diesen offenbaren Lieblingsge¬
danken auch künstlerisch in stets neuen Variationen bearbeitet, jedenfalls mit der
Nebenabsicht, daß diese neue Heilsthevrie von allen übrigen Menschen, als zur
Erlösung der Menschheit förderlich, gebilligt und angenommen werde. Nun er¬
freut sich die Wagnersche Liebespoesie in der That vielfacher Anerkennung, und
es giebt eine Menge von Wngnerverehrern beiderlei Geschlechts, die in den
Liebesverhältnissen Wagnerscher Personen Offenbarungen höchster Poesie er¬
blicken. Manche junge Gemüter, die durch den berauschenden Eindruck der
künstlerischen Darstellung gefesselt werden, thun dies ganz in gutem Glauben,
ohne viel über die Sache nachzudenken. Namentlich für den männlichen Teil
der Jünger der neuen Theorie hat es etwas verführerisches, wenn sich die Aus¬
sicht eröffnet, daß eine nach so glänzend verherrlichten Beispielen wohl nicht
ausbleibende Zunahme der Aufvpfernugsfreudigkeit unter dem weiblichen Ge¬
schlecht auch ihnen zu Gute kommen könnte, und da die eigentümliche Erlösnngs-
theorie durch das Weib in Wagners Werken mit der größten Ernsthaftigkeit
und meist unter den Klängen einer berückenden, berauschenden Musik praktisch
exemplifizirt zu werden pflegt, so ist es kein Wunder, daß selbst ganz saufte,
aber sensible Gemüter, die unter dem Druck der Konvention leiden, in hoch¬
gradige Erregung versetzt werden und es als eine Art von Erlösung empfinden,
daß die Triebe der sinnlichen Menschennatur von dem Banne und der Acht,
die Moral und Religion über sie ausgesprochen, wieder befreit sind und kühn
erhobenen Hauptes uach unbeschränkter Befriedigung trachten können. Hat doch
auch Wagner die Befreiung der sinnlichen Menschennatur vou der unnatürlichen
"Askese," wie sie das Christentum verlangt, gepredigt. (Siehe Oper und Drama.)
Die Wirkung, welche Wagners Werke nach dieser Seite hin ausüben, hat etwas
snseinireudes, etwas von der dämonisch packenden Kraft, wie sie mitunter in
religiösen Sekten die Begeisterung zum Fanatismus zu steigern vermag. Jeden-
f"ils ist die Begeisterung, in welche die Wagnersche Kunst versetzt, uicht jene
aristotelische Katharsis, jene Weihe und Reinheit der Seelenstimmung, in welcher
das Gefühl der Erhabenheit über alles Irdische oder die Vergänglichkeit alles
Gebens die eignen Gelüste zum Schweigen bringt, sondern im Gegenteil eine
^re gehobener Zuversicht, in der man die Erfüllung auch der extravagantesten
wünsche näher gerückt sieht. Die menschliche Natur empfängt ans den Werken
Wagners eine indirekte Aufforderung zur Lösung jeder durch Konvention oder
sonstige Rücksichten auferlegten Fesseln, und zwar nicht nur im Verkehr mit dem
andern Geschlecht, sondern auch hinsichtlich aller übrigen Lebensbeziehungen.
"Selig in Lust und Leid läßt die Liebe nur sein" -- uicht die Liebe zum


Die Heilslehre Richard Wagners.

des Weibes erlösen kann. Wagner hat eine förmliche Theorie von der Er¬
lösung durch das Weib, durch das „Weib der Zukunft," aufgestellt, die dem
Sinne nach auf eine gänzlich willenlose Unterwerfung des sich hingebenden
Weibes uuter den „männlichen Egoismus" hinausläuft (wie mau in seiner
Selbstbiographie nachlesen kann), und so hat er diesen offenbaren Lieblingsge¬
danken auch künstlerisch in stets neuen Variationen bearbeitet, jedenfalls mit der
Nebenabsicht, daß diese neue Heilsthevrie von allen übrigen Menschen, als zur
Erlösung der Menschheit förderlich, gebilligt und angenommen werde. Nun er¬
freut sich die Wagnersche Liebespoesie in der That vielfacher Anerkennung, und
es giebt eine Menge von Wngnerverehrern beiderlei Geschlechts, die in den
Liebesverhältnissen Wagnerscher Personen Offenbarungen höchster Poesie er¬
blicken. Manche junge Gemüter, die durch den berauschenden Eindruck der
künstlerischen Darstellung gefesselt werden, thun dies ganz in gutem Glauben,
ohne viel über die Sache nachzudenken. Namentlich für den männlichen Teil
der Jünger der neuen Theorie hat es etwas verführerisches, wenn sich die Aus¬
sicht eröffnet, daß eine nach so glänzend verherrlichten Beispielen wohl nicht
ausbleibende Zunahme der Aufvpfernugsfreudigkeit unter dem weiblichen Ge¬
schlecht auch ihnen zu Gute kommen könnte, und da die eigentümliche Erlösnngs-
theorie durch das Weib in Wagners Werken mit der größten Ernsthaftigkeit
und meist unter den Klängen einer berückenden, berauschenden Musik praktisch
exemplifizirt zu werden pflegt, so ist es kein Wunder, daß selbst ganz saufte,
aber sensible Gemüter, die unter dem Druck der Konvention leiden, in hoch¬
gradige Erregung versetzt werden und es als eine Art von Erlösung empfinden,
daß die Triebe der sinnlichen Menschennatur von dem Banne und der Acht,
die Moral und Religion über sie ausgesprochen, wieder befreit sind und kühn
erhobenen Hauptes uach unbeschränkter Befriedigung trachten können. Hat doch
auch Wagner die Befreiung der sinnlichen Menschennatur vou der unnatürlichen
„Askese," wie sie das Christentum verlangt, gepredigt. (Siehe Oper und Drama.)
Die Wirkung, welche Wagners Werke nach dieser Seite hin ausüben, hat etwas
snseinireudes, etwas von der dämonisch packenden Kraft, wie sie mitunter in
religiösen Sekten die Begeisterung zum Fanatismus zu steigern vermag. Jeden-
f"ils ist die Begeisterung, in welche die Wagnersche Kunst versetzt, uicht jene
aristotelische Katharsis, jene Weihe und Reinheit der Seelenstimmung, in welcher
das Gefühl der Erhabenheit über alles Irdische oder die Vergänglichkeit alles
Gebens die eignen Gelüste zum Schweigen bringt, sondern im Gegenteil eine
^re gehobener Zuversicht, in der man die Erfüllung auch der extravagantesten
wünsche näher gerückt sieht. Die menschliche Natur empfängt ans den Werken
Wagners eine indirekte Aufforderung zur Lösung jeder durch Konvention oder
sonstige Rücksichten auferlegten Fesseln, und zwar nicht nur im Verkehr mit dem
andern Geschlecht, sondern auch hinsichtlich aller übrigen Lebensbeziehungen.
"Selig in Lust und Leid läßt die Liebe nur sein" — uicht die Liebe zum


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[0559] Die Heilslehre Richard Wagners. des Weibes erlösen kann. Wagner hat eine förmliche Theorie von der Er¬ lösung durch das Weib, durch das „Weib der Zukunft," aufgestellt, die dem Sinne nach auf eine gänzlich willenlose Unterwerfung des sich hingebenden Weibes uuter den „männlichen Egoismus" hinausläuft (wie mau in seiner Selbstbiographie nachlesen kann), und so hat er diesen offenbaren Lieblingsge¬ danken auch künstlerisch in stets neuen Variationen bearbeitet, jedenfalls mit der Nebenabsicht, daß diese neue Heilsthevrie von allen übrigen Menschen, als zur Erlösung der Menschheit förderlich, gebilligt und angenommen werde. Nun er¬ freut sich die Wagnersche Liebespoesie in der That vielfacher Anerkennung, und es giebt eine Menge von Wngnerverehrern beiderlei Geschlechts, die in den Liebesverhältnissen Wagnerscher Personen Offenbarungen höchster Poesie er¬ blicken. Manche junge Gemüter, die durch den berauschenden Eindruck der künstlerischen Darstellung gefesselt werden, thun dies ganz in gutem Glauben, ohne viel über die Sache nachzudenken. Namentlich für den männlichen Teil der Jünger der neuen Theorie hat es etwas verführerisches, wenn sich die Aus¬ sicht eröffnet, daß eine nach so glänzend verherrlichten Beispielen wohl nicht ausbleibende Zunahme der Aufvpfernugsfreudigkeit unter dem weiblichen Ge¬ schlecht auch ihnen zu Gute kommen könnte, und da die eigentümliche Erlösnngs- theorie durch das Weib in Wagners Werken mit der größten Ernsthaftigkeit und meist unter den Klängen einer berückenden, berauschenden Musik praktisch exemplifizirt zu werden pflegt, so ist es kein Wunder, daß selbst ganz saufte, aber sensible Gemüter, die unter dem Druck der Konvention leiden, in hoch¬ gradige Erregung versetzt werden und es als eine Art von Erlösung empfinden, daß die Triebe der sinnlichen Menschennatur von dem Banne und der Acht, die Moral und Religion über sie ausgesprochen, wieder befreit sind und kühn erhobenen Hauptes uach unbeschränkter Befriedigung trachten können. Hat doch auch Wagner die Befreiung der sinnlichen Menschennatur vou der unnatürlichen „Askese," wie sie das Christentum verlangt, gepredigt. (Siehe Oper und Drama.) Die Wirkung, welche Wagners Werke nach dieser Seite hin ausüben, hat etwas snseinireudes, etwas von der dämonisch packenden Kraft, wie sie mitunter in religiösen Sekten die Begeisterung zum Fanatismus zu steigern vermag. Jeden- f"ils ist die Begeisterung, in welche die Wagnersche Kunst versetzt, uicht jene aristotelische Katharsis, jene Weihe und Reinheit der Seelenstimmung, in welcher das Gefühl der Erhabenheit über alles Irdische oder die Vergänglichkeit alles Gebens die eignen Gelüste zum Schweigen bringt, sondern im Gegenteil eine ^re gehobener Zuversicht, in der man die Erfüllung auch der extravagantesten wünsche näher gerückt sieht. Die menschliche Natur empfängt ans den Werken Wagners eine indirekte Aufforderung zur Lösung jeder durch Konvention oder sonstige Rücksichten auferlegten Fesseln, und zwar nicht nur im Verkehr mit dem andern Geschlecht, sondern auch hinsichtlich aller übrigen Lebensbeziehungen. "Selig in Lust und Leid läßt die Liebe nur sein" — uicht die Liebe zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/559>, abgerufen am 22.07.2024.