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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die l?eilsloh>e Richard Magners.

dritten Weg, der zu denselben Zielen führte, giebt es nicht, Wohl aber steht
im Gegensatz zu beiden das Bestreben, sich das Lebe", in dem man nur einmal
ist, se> angenehm wie möglich zu machen und alles, was diesem Bestreben hinder¬
lich ist, aus dem Wege zu räumen. Das ist der Standpunkt des natürlichen
Egoismus. Während die Liebe den Egoismus opfert, um sich zum Werkzeug
für das Wohl andrer zu machen, ist dem Egoismus alles außer ihm selbst nur
Mittel zum Zweck des eignen Wohls. Es ist, "in wieder an Schopenhauer
anzuknüpfen, der Standpunkt der Bejahung des Willens zum Leben.

Sehen wir nur zu, wie Wagner, der ja verschiedentlich eine Übereinstimmung
mit Schopenhanerscher Philosophie kundgegeben hat, dessen Nibelnngentrilogic
man sogar eine Tragödie der Wcltverncinnng genannt hat, zu den obigen drei
Fnndamentalüandpnnkten, a" die doch jeder Versuch einer neuen, ethischen Welt¬
anschauung im bejahenden oder verneinenden Sinne anknüpfen müßte, sich stellt.

Seiner Unzufriedenheit mit den Zuständen, in denen er die Menschheit
vorfand, hat Wagner ganz offen Ausdruck gegeben, und von dem Moment, wo
der Zwiespalt zwischen seiner Empfindung nud den äußern Verhältnissen ihm
zum Bewußtsein gekommen war, beginnt mich sein Suchen nach neuen Idealen.
Daß diese Ideale nicht rein künstlerisch waren, sondern auch sozialpolitische
-- letzteres sogar in weit höherem Grade als ersteres --, geht teils aus
Wagners Schriften, teils aus seinen Versuchen, in die revolutionäre Bewegung
der vierziger Jahre einzugreifen, hervor. Die bei dieser Gelegenheit ge¬
machten Erfahrungen mußten ihn aber einerseits überzeugen, daß er ans dem
eingeschlagenen Wege nichts erreichen würde, andrerseits aber auch ihn über die
Gesellschaft, der zu Liebe er sich in revolutionäre Umtriebe eingelassen hatte,
enttäuschen, sodaß er sich davon abwandte und sich ans den schriftstellerischen
und künstlerischen Kultus seiner Ideale beschränkte. Immer aber war es nicht
das Ideal eines vollkommenen Kunstwerkes, welches ihn zum Schaffe" antrieb,
sondern vielmehr ein Ideal menschlicher Zustände und menschlicher Beschaffen¬
heit, das er zu erkennen und in seinen Werken auszudrücken strebte. Daher
interessirte ihn die Kunst nur soweit, als sie ihm zur plastischen Gestaltung
seines Mcnschheitsideals dienlich war, woraus sich seine Kunsttheorien leicht er¬
klären lassen.

Wie sieht denn min das Ideal aus, nach dem Wagner sucht, oder das er
gefunden hat, um die Menschheit damit zu beglücken? Es hat zu verschiedenen
Zeiten verschiedene Namen, und erscheint zuerst als etwas anscheinend allbe¬
kanntes -- die Liebe.

Vou deu verschiedenen Arten der Liebe ist es hauptsächlich eine, welche in
Wagners Dichtungen mit einem jeden Vergleich ausschließende" Übergewicht die
erste Rolle spielt -- die sinnliche Geschlechtsliebe. Dies geschieht meistens in
der Weise, daß ein Held dnrch irgend eine Fügung des Schicksals mit einem
Fluche oder Mißgeschick behaftet ist, aus der ihn nur die unbedingte Aufopferung


Die l?eilsloh>e Richard Magners.

dritten Weg, der zu denselben Zielen führte, giebt es nicht, Wohl aber steht
im Gegensatz zu beiden das Bestreben, sich das Lebe», in dem man nur einmal
ist, se> angenehm wie möglich zu machen und alles, was diesem Bestreben hinder¬
lich ist, aus dem Wege zu räumen. Das ist der Standpunkt des natürlichen
Egoismus. Während die Liebe den Egoismus opfert, um sich zum Werkzeug
für das Wohl andrer zu machen, ist dem Egoismus alles außer ihm selbst nur
Mittel zum Zweck des eignen Wohls. Es ist, »in wieder an Schopenhauer
anzuknüpfen, der Standpunkt der Bejahung des Willens zum Leben.

Sehen wir nur zu, wie Wagner, der ja verschiedentlich eine Übereinstimmung
mit Schopenhanerscher Philosophie kundgegeben hat, dessen Nibelnngentrilogic
man sogar eine Tragödie der Wcltverncinnng genannt hat, zu den obigen drei
Fnndamentalüandpnnkten, a» die doch jeder Versuch einer neuen, ethischen Welt¬
anschauung im bejahenden oder verneinenden Sinne anknüpfen müßte, sich stellt.

Seiner Unzufriedenheit mit den Zuständen, in denen er die Menschheit
vorfand, hat Wagner ganz offen Ausdruck gegeben, und von dem Moment, wo
der Zwiespalt zwischen seiner Empfindung nud den äußern Verhältnissen ihm
zum Bewußtsein gekommen war, beginnt mich sein Suchen nach neuen Idealen.
Daß diese Ideale nicht rein künstlerisch waren, sondern auch sozialpolitische
— letzteres sogar in weit höherem Grade als ersteres —, geht teils aus
Wagners Schriften, teils aus seinen Versuchen, in die revolutionäre Bewegung
der vierziger Jahre einzugreifen, hervor. Die bei dieser Gelegenheit ge¬
machten Erfahrungen mußten ihn aber einerseits überzeugen, daß er ans dem
eingeschlagenen Wege nichts erreichen würde, andrerseits aber auch ihn über die
Gesellschaft, der zu Liebe er sich in revolutionäre Umtriebe eingelassen hatte,
enttäuschen, sodaß er sich davon abwandte und sich ans den schriftstellerischen
und künstlerischen Kultus seiner Ideale beschränkte. Immer aber war es nicht
das Ideal eines vollkommenen Kunstwerkes, welches ihn zum Schaffe» antrieb,
sondern vielmehr ein Ideal menschlicher Zustände und menschlicher Beschaffen¬
heit, das er zu erkennen und in seinen Werken auszudrücken strebte. Daher
interessirte ihn die Kunst nur soweit, als sie ihm zur plastischen Gestaltung
seines Mcnschheitsideals dienlich war, woraus sich seine Kunsttheorien leicht er¬
klären lassen.

Wie sieht denn min das Ideal aus, nach dem Wagner sucht, oder das er
gefunden hat, um die Menschheit damit zu beglücken? Es hat zu verschiedenen
Zeiten verschiedene Namen, und erscheint zuerst als etwas anscheinend allbe¬
kanntes — die Liebe.

Vou deu verschiedenen Arten der Liebe ist es hauptsächlich eine, welche in
Wagners Dichtungen mit einem jeden Vergleich ausschließende« Übergewicht die
erste Rolle spielt — die sinnliche Geschlechtsliebe. Dies geschieht meistens in
der Weise, daß ein Held dnrch irgend eine Fügung des Schicksals mit einem
Fluche oder Mißgeschick behaftet ist, aus der ihn nur die unbedingte Aufopferung


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[0558] Die l?eilsloh>e Richard Magners. dritten Weg, der zu denselben Zielen führte, giebt es nicht, Wohl aber steht im Gegensatz zu beiden das Bestreben, sich das Lebe», in dem man nur einmal ist, se> angenehm wie möglich zu machen und alles, was diesem Bestreben hinder¬ lich ist, aus dem Wege zu räumen. Das ist der Standpunkt des natürlichen Egoismus. Während die Liebe den Egoismus opfert, um sich zum Werkzeug für das Wohl andrer zu machen, ist dem Egoismus alles außer ihm selbst nur Mittel zum Zweck des eignen Wohls. Es ist, »in wieder an Schopenhauer anzuknüpfen, der Standpunkt der Bejahung des Willens zum Leben. Sehen wir nur zu, wie Wagner, der ja verschiedentlich eine Übereinstimmung mit Schopenhanerscher Philosophie kundgegeben hat, dessen Nibelnngentrilogic man sogar eine Tragödie der Wcltverncinnng genannt hat, zu den obigen drei Fnndamentalüandpnnkten, a» die doch jeder Versuch einer neuen, ethischen Welt¬ anschauung im bejahenden oder verneinenden Sinne anknüpfen müßte, sich stellt. Seiner Unzufriedenheit mit den Zuständen, in denen er die Menschheit vorfand, hat Wagner ganz offen Ausdruck gegeben, und von dem Moment, wo der Zwiespalt zwischen seiner Empfindung nud den äußern Verhältnissen ihm zum Bewußtsein gekommen war, beginnt mich sein Suchen nach neuen Idealen. Daß diese Ideale nicht rein künstlerisch waren, sondern auch sozialpolitische — letzteres sogar in weit höherem Grade als ersteres —, geht teils aus Wagners Schriften, teils aus seinen Versuchen, in die revolutionäre Bewegung der vierziger Jahre einzugreifen, hervor. Die bei dieser Gelegenheit ge¬ machten Erfahrungen mußten ihn aber einerseits überzeugen, daß er ans dem eingeschlagenen Wege nichts erreichen würde, andrerseits aber auch ihn über die Gesellschaft, der zu Liebe er sich in revolutionäre Umtriebe eingelassen hatte, enttäuschen, sodaß er sich davon abwandte und sich ans den schriftstellerischen und künstlerischen Kultus seiner Ideale beschränkte. Immer aber war es nicht das Ideal eines vollkommenen Kunstwerkes, welches ihn zum Schaffe» antrieb, sondern vielmehr ein Ideal menschlicher Zustände und menschlicher Beschaffen¬ heit, das er zu erkennen und in seinen Werken auszudrücken strebte. Daher interessirte ihn die Kunst nur soweit, als sie ihm zur plastischen Gestaltung seines Mcnschheitsideals dienlich war, woraus sich seine Kunsttheorien leicht er¬ klären lassen. Wie sieht denn min das Ideal aus, nach dem Wagner sucht, oder das er gefunden hat, um die Menschheit damit zu beglücken? Es hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene Namen, und erscheint zuerst als etwas anscheinend allbe¬ kanntes — die Liebe. Vou deu verschiedenen Arten der Liebe ist es hauptsächlich eine, welche in Wagners Dichtungen mit einem jeden Vergleich ausschließende« Übergewicht die erste Rolle spielt — die sinnliche Geschlechtsliebe. Dies geschieht meistens in der Weise, daß ein Held dnrch irgend eine Fügung des Schicksals mit einem Fluche oder Mißgeschick behaftet ist, aus der ihn nur die unbedingte Aufopferung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/558>, abgerufen am 22.07.2024.