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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Aonferenzgeriichte und der ägyptische Krieg.

Franzosen, als sie sich in Tunis festzusetzen begannen, Halt geboten, hat es auch
nur leise dagegen protestirt, oder hat es sich nicht sogar enthalten, selbst nur
anzudeuten, daß es die Erwerbung des Landes gestatte? Ist es während der
ägyptischen Verwicklung jemals ans der Rolle der Macht herausgetreten, die
hier kaum el" andres Interesse hat, als die Erhaltung des Weltfriedens? Hat
es den Pariser Politikern oder dem Kabinet Gladstone Stellung zu der Sache
anzuweisen oder ein Mandat zu erteilen versucht? Nichts von alledem, im Gegen¬
teile, die deutsche Politik ist in diesen Fragen wie in andern von Anfang bis
zu Ende mit der Schonung des Selbstgefühls andrer und mit der weisen
Mäßigung aufgetreten, die ihre Regel allenthalben und selbst da ist, wo deutsche
Interessen auf dem Spiele stehen. Gewiß ist das deutsche Reich mächtiger und
der politische Blick unsers Reichskanzlers schärfer, als es den französischen Chau¬
vinisten augenehm ist, aber diese Macht und dieser Scharfblick beschränken sich
in vornehmer Bescheidenheit auf die Wahrung ihres eignen Rechtes und Inter¬
esses und denken nicht daran, sich frevelnd als Allmächtige anstaunen zu lassen
und dnrch Überhebung den Neid zu wecken.

Wir gehen so weit, zu sagen: die Franzosen, welche Vorwürfe der Art
erheben, glauben selbst nicht daran, sie verbergen hinter solchen Behauptungen
nur ihren Verdruß darüber, daß unsere heutige Macht uus vor ihren Rache¬
gelüsten sichert, ihre aussichtslose Sehnsucht, das verloren gegangene übergroße
Ansehen wiederzuerlangen, und ihre Scham darüber, daß sie aus Furcht vor
uns -- aus ganz und gar grundloser Furcht vor uns -- auf die Geltendmachung
ihrer Interesse" in Ägypten bis jetzt verzichtet haben. Frankreich war anfänglich
bereit, mit de" Engländern in Ägypten Hand in Hand zu gehen, während die
Pforte zögerte. Da begab sichs plötzlich, daß man sich in Paris entschloß, von
jeder Beteiligung an militärischen Maßregeln Abstand zu nehmen. Jetzt erklärt
sich dieser Umstand damit, daß man englischerseits in Frankreich die Besorgnis
wachzurufen gewußt hatte, man wünsche die französische Armee nur zu beschäftigen,
um desto besser seiue eignen Pläne verfolgen zu können. Niemand war genannt,
aber die französischen Politiker glaubten zu wissen, wer gemeint war, und die
Andeutung genügte, so wenig wahrscheinlich sie auch war. War doch ohnehin
die Meinung in Frankreich ziemlich verbreitet, der Feldzug uach Tunis und die
Besitznahme dieses Landes sei nur eine spanische Fliege gewesen, die Bismnrck
der französischen Politik gesetzt habe. Mai: beschloß daher, sich kluger Zurück¬
haltung zu befleißigen, und that damit dem englischen Kabinet den größten Ge¬
fallen. Denn wäre am Nil eine französische Streitmacht als mit der englischen
verbündet nufgetreteu, so wäre es sehr schwer gefallen, sie uach gethaner mili¬
tärischer Arbeit wieder aus dem Lande hinaufzubringen. Ans der Krim konnte
man sich gemeinsam zurückziehen, weil keine von beiden Mächten dort Gebiet zu
^werben beabsichtigte. In Ägypten aber hat England offenbar von Anfang an
daran gedacht, wenigstens den Kanal in seinen Besitz zu bringen.


Die Aonferenzgeriichte und der ägyptische Krieg.

Franzosen, als sie sich in Tunis festzusetzen begannen, Halt geboten, hat es auch
nur leise dagegen protestirt, oder hat es sich nicht sogar enthalten, selbst nur
anzudeuten, daß es die Erwerbung des Landes gestatte? Ist es während der
ägyptischen Verwicklung jemals ans der Rolle der Macht herausgetreten, die
hier kaum el» andres Interesse hat, als die Erhaltung des Weltfriedens? Hat
es den Pariser Politikern oder dem Kabinet Gladstone Stellung zu der Sache
anzuweisen oder ein Mandat zu erteilen versucht? Nichts von alledem, im Gegen¬
teile, die deutsche Politik ist in diesen Fragen wie in andern von Anfang bis
zu Ende mit der Schonung des Selbstgefühls andrer und mit der weisen
Mäßigung aufgetreten, die ihre Regel allenthalben und selbst da ist, wo deutsche
Interessen auf dem Spiele stehen. Gewiß ist das deutsche Reich mächtiger und
der politische Blick unsers Reichskanzlers schärfer, als es den französischen Chau¬
vinisten augenehm ist, aber diese Macht und dieser Scharfblick beschränken sich
in vornehmer Bescheidenheit auf die Wahrung ihres eignen Rechtes und Inter¬
esses und denken nicht daran, sich frevelnd als Allmächtige anstaunen zu lassen
und dnrch Überhebung den Neid zu wecken.

Wir gehen so weit, zu sagen: die Franzosen, welche Vorwürfe der Art
erheben, glauben selbst nicht daran, sie verbergen hinter solchen Behauptungen
nur ihren Verdruß darüber, daß unsere heutige Macht uus vor ihren Rache¬
gelüsten sichert, ihre aussichtslose Sehnsucht, das verloren gegangene übergroße
Ansehen wiederzuerlangen, und ihre Scham darüber, daß sie aus Furcht vor
uns — aus ganz und gar grundloser Furcht vor uns — auf die Geltendmachung
ihrer Interesse» in Ägypten bis jetzt verzichtet haben. Frankreich war anfänglich
bereit, mit de» Engländern in Ägypten Hand in Hand zu gehen, während die
Pforte zögerte. Da begab sichs plötzlich, daß man sich in Paris entschloß, von
jeder Beteiligung an militärischen Maßregeln Abstand zu nehmen. Jetzt erklärt
sich dieser Umstand damit, daß man englischerseits in Frankreich die Besorgnis
wachzurufen gewußt hatte, man wünsche die französische Armee nur zu beschäftigen,
um desto besser seiue eignen Pläne verfolgen zu können. Niemand war genannt,
aber die französischen Politiker glaubten zu wissen, wer gemeint war, und die
Andeutung genügte, so wenig wahrscheinlich sie auch war. War doch ohnehin
die Meinung in Frankreich ziemlich verbreitet, der Feldzug uach Tunis und die
Besitznahme dieses Landes sei nur eine spanische Fliege gewesen, die Bismnrck
der französischen Politik gesetzt habe. Mai: beschloß daher, sich kluger Zurück¬
haltung zu befleißigen, und that damit dem englischen Kabinet den größten Ge¬
fallen. Denn wäre am Nil eine französische Streitmacht als mit der englischen
verbündet nufgetreteu, so wäre es sehr schwer gefallen, sie uach gethaner mili¬
tärischer Arbeit wieder aus dem Lande hinaufzubringen. Ans der Krim konnte
man sich gemeinsam zurückziehen, weil keine von beiden Mächten dort Gebiet zu
^werben beabsichtigte. In Ägypten aber hat England offenbar von Anfang an
daran gedacht, wenigstens den Kanal in seinen Besitz zu bringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/539>, abgerufen am 01.10.2024.