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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Zwanzigstes Kapitel.
Der Dampfdoktor.

Kehren wir ins Haus Samuel Andersons zurück.

Kamin war August zur Thür hinausgegangen, als Frau Anderson von
einem Ausbruch ihrer Hysterie befallen wurde und erklärte, jetzt werde sie an
ihrer Herzkrankheit sterben. Ihre Zeit wäre endlich gekommen. Sie wäre er¬
mordet. Ermordet von der Undankbarkeit und dem Ungehorsam ihrer Tochter.
Zu Boden geschlagen in ihrem eignen Hause. Und was sie am meiste" gräme,
wäre, daß sie es nun uicht erleben werde, das Ende der Welt zu sehen.

Ju der That sah es aus, als ob sie im Sterben läge. Nichts ist ent¬
setzlicher als ein guter, tüchtiger hysterischer Anfall. Cyuthy Ann, die sich
innerlich verurteilte, wie sie das immer that, hob die von Krämpfen ergriffene
Patientin, welche ihre letzten paar Atemzüge zu thun schien, auf und trug sie
mit Herrn Andersons Hilfe hinunter in ihre Stube, und während Jonas die
Pferde sattelte, setzte Herr Anderson seinen Hut auf und schickte sich an, nach
dem Doktor zu gehen.

Samuel, o Samuel! Ach, ach, oh! schrie Frau Abigail mit steigenden
und fallenden Modulationen der Stimme, die selbst der geduldige Doktor Rush
uicht zu analysiren imstande gewesen wäre. Sie lachte wie wahnsinnig und
weinte jämmerlich, beides in einem Atem, ja mit demselben Worte, ließ dies
die Tonleiter wie toll auf- und ablaufen, heulte wie eine Wilde und schluchzte
denn wieder wie mit dem letzten Atem jemandes, der an gebrochenem
Herzen stirbt. Samuel, Samuel, o Samuel! Hahcchcchaa! Ach, o-o-o-oh!
Du wirst doch uicht gehen und mich doch nicht allein sterben lassen!. Nach¬
dem !ich dir eine solche Frau gewesen bin, wirst du mich doch im Sterben
nicht verlassen! Nein, nein, nein! Hu-hu-us! Das darfst du nicht. Das wirst
du nicht. Schicke Jonas und bleibe bei mir. Denke -- hier ging ihr der Atem
aus, und einen Allgenblick schien sie wirklich am Sterben zu sein. Denke mal,
ächzte sie, nach Luft schnappend, und sank dann wieder hin. Nach einer Minute
öffnete sie die Augen und nahm mit charakteristischer Hartnäckigkeit den Satz
just da wieder auf, wo sie stecken geblieben. Sie hatte während der Periode
ihrer Bewußtlosigkeit sorgfältig ihre Rolle festhalten. Aber jetzt sprach sie nich
nach Athem schnappend, sondern mit jenem schrillen, unnatürlichen Fisteltone,
der ein Merkmal der Hysterie ist, mit jener Stimme, die ein halbes Gekreisch
ist und mit ihrem Mißklang dein Zuhörer durch Mark und Bein schneidet.
Denke doch, o-o-oh, Samuel! Warum willst du nicht daran denken, was für
eine Frau ich dir gewesen bin? Hier hab' ich mich geplante und geschunden
und habe mich abgequält alle diese Jahre als ein getreues und fleißiges Weib
und niemals meine Pflicht vernachlässigt. Und jetzt -- o-o-oh -- jetzt allein


Der jüngste Tag.

Zwanzigstes Kapitel.
Der Dampfdoktor.

Kehren wir ins Haus Samuel Andersons zurück.

Kamin war August zur Thür hinausgegangen, als Frau Anderson von
einem Ausbruch ihrer Hysterie befallen wurde und erklärte, jetzt werde sie an
ihrer Herzkrankheit sterben. Ihre Zeit wäre endlich gekommen. Sie wäre er¬
mordet. Ermordet von der Undankbarkeit und dem Ungehorsam ihrer Tochter.
Zu Boden geschlagen in ihrem eignen Hause. Und was sie am meiste« gräme,
wäre, daß sie es nun uicht erleben werde, das Ende der Welt zu sehen.

Ju der That sah es aus, als ob sie im Sterben läge. Nichts ist ent¬
setzlicher als ein guter, tüchtiger hysterischer Anfall. Cyuthy Ann, die sich
innerlich verurteilte, wie sie das immer that, hob die von Krämpfen ergriffene
Patientin, welche ihre letzten paar Atemzüge zu thun schien, auf und trug sie
mit Herrn Andersons Hilfe hinunter in ihre Stube, und während Jonas die
Pferde sattelte, setzte Herr Anderson seinen Hut auf und schickte sich an, nach
dem Doktor zu gehen.

Samuel, o Samuel! Ach, ach, oh! schrie Frau Abigail mit steigenden
und fallenden Modulationen der Stimme, die selbst der geduldige Doktor Rush
uicht zu analysiren imstande gewesen wäre. Sie lachte wie wahnsinnig und
weinte jämmerlich, beides in einem Atem, ja mit demselben Worte, ließ dies
die Tonleiter wie toll auf- und ablaufen, heulte wie eine Wilde und schluchzte
denn wieder wie mit dem letzten Atem jemandes, der an gebrochenem
Herzen stirbt. Samuel, Samuel, o Samuel! Hahcchcchaa! Ach, o-o-o-oh!
Du wirst doch uicht gehen und mich doch nicht allein sterben lassen!. Nach¬
dem !ich dir eine solche Frau gewesen bin, wirst du mich doch im Sterben
nicht verlassen! Nein, nein, nein! Hu-hu-us! Das darfst du nicht. Das wirst
du nicht. Schicke Jonas und bleibe bei mir. Denke — hier ging ihr der Atem
aus, und einen Allgenblick schien sie wirklich am Sterben zu sein. Denke mal,
ächzte sie, nach Luft schnappend, und sank dann wieder hin. Nach einer Minute
öffnete sie die Augen und nahm mit charakteristischer Hartnäckigkeit den Satz
just da wieder auf, wo sie stecken geblieben. Sie hatte während der Periode
ihrer Bewußtlosigkeit sorgfältig ihre Rolle festhalten. Aber jetzt sprach sie nich
nach Athem schnappend, sondern mit jenem schrillen, unnatürlichen Fisteltone,
der ein Merkmal der Hysterie ist, mit jener Stimme, die ein halbes Gekreisch
ist und mit ihrem Mißklang dein Zuhörer durch Mark und Bein schneidet.
Denke doch, o-o-oh, Samuel! Warum willst du nicht daran denken, was für
eine Frau ich dir gewesen bin? Hier hab' ich mich geplante und geschunden
und habe mich abgequält alle diese Jahre als ein getreues und fleißiges Weib
und niemals meine Pflicht vernachlässigt. Und jetzt — o-o-oh — jetzt allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/534>, abgerufen am 22.07.2024.