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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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zuschieben. Zu den Familien dieser Art scheint auch die Kalbschc gehört zu
haben, in welche Charlotte Marschalk von Osthcim wenig älter als zwanzig
Jahre hineinheiratete, oder besser gesagt, hiueiuverheiratet ward. Der Präsident
von Kalb auf Knlbsrieth (in der goldnen Ane an der Unstrut gelegen) hatte
zwei Söhne, von denen der eine als der herzoglich weimarische Kammerjunker
von Kalb jeuer Kavalier war, dessen Ausbleiben im Oktober 1775 Goethe beinahe
von Frankfurt nach Italien, statt von Frankfurt nach Weimar geführt hätte, und
mit welchem der Dichter dann an: Morgen des 7. November in seiner künftigen
Heimat eintraf, derselbe Kalb, den Herzog Karl Augusts Freundschaft zugleich
mit Goethe in eine wichtige Ehrenftellung erhob und der denn die Erwartungen
und Hoffnungen seiner Freunde so gründlich täuschte, daß Goethe sein Verhalten
als "abscheulich" charakterisiren mußte. Der andre war der Major Heinrich
von Kalb, Charlottes Gemahl, ein gebildeter Offizier im Sinne seiner Zeit, den
wir in französischen, herzoglich zweibrückenschen und demnächst in kurpfälzischen
und knrbairischen Diensten sehen. Die Persönlichkeit des Mannes wird uns aus
einer der zahlreichen Veröffentlichungen klar, welche über seine Gattin erfolgt
sind. Er scheint bis zu einem gewissen Punkte ein Abenteurer gewesen zu sein,
wenigstens behält seine militärische Karriere, sein Hin- und Herreisen an den
verschiedenen Höfen, sein rasches Auf- und jähes Herabsteigen, sein tragisches
Ende (er erschoß sich 1806 in München) für uns viel des Rätselhaften, schlechthin
Unverständlichen. In seiner Ehe scheint von Hans ans der stärkere Wille seiner
Frau entschieden zu haben, ein Wille, der an alles mögliche, mir niemals an
die Klarstellung der wunderlich verworrenen Verhältnisse gesetzt wurde. Die
Zeugnisse, welche Schiller, Jean Paul und untre über den unglücklichen Manu
abgeben, sind zu lückenhaft, vor allem zu sehr von momentanen Stimmungen
und Beziehungen abhängig, um ihnen großen Wert beilegen zu können. Heinrich
von Kalb muß liebenswürdige Seiten besessen haben; was aber seine Fran um
ihn fesselte, waren offenbar nicht diese, sondern die leidigen äußern Verhältnisse,
denen gegenüber sie rat-, hilf- und gelegentlich haltlos gewesen zu sein scheint.
Es ist eine peinliche Thatsache, daß die furchtbare Zerrüttung der Kälbscheu
Familienznftände und die harten Prüfungen, denen die geistvolle Frau ausgesetzt
war, tausendfach öffentlich erörtert wurden, aber unsers Wissens noch niemand
den Versuch gemacht hat, diese erschütternde Tragödie wirklich aus ihren An¬
fängen zu entwickeln und mit allen handelnden und leidenden Gestalten in einer
guten, klaren Darstellung vorzuführen. Schonend zu verschweigen ist da nichts
mehr, psychologisch zu erklären wäre vieles.

Gewiß bleibt, daß Charlottes Ehe jedesmal dann i" die Beleuchtung einer
harten Zwangsehe tritt, wenn eine bedeutende Erscheinung ihren Lebensweg
kreuzt. Als sie, erst kurze Zeit verheiratet, 1784 Schiller in Mannheim kennen
lernte, trat ihr zum erstenmale der Gedanke nahe, das wunderliche Band zu
lösen, 1787, als Schiller auf ihren Wunsch vou Dresden nach Weimar über-


zuschieben. Zu den Familien dieser Art scheint auch die Kalbschc gehört zu
haben, in welche Charlotte Marschalk von Osthcim wenig älter als zwanzig
Jahre hineinheiratete, oder besser gesagt, hiueiuverheiratet ward. Der Präsident
von Kalb auf Knlbsrieth (in der goldnen Ane an der Unstrut gelegen) hatte
zwei Söhne, von denen der eine als der herzoglich weimarische Kammerjunker
von Kalb jeuer Kavalier war, dessen Ausbleiben im Oktober 1775 Goethe beinahe
von Frankfurt nach Italien, statt von Frankfurt nach Weimar geführt hätte, und
mit welchem der Dichter dann an: Morgen des 7. November in seiner künftigen
Heimat eintraf, derselbe Kalb, den Herzog Karl Augusts Freundschaft zugleich
mit Goethe in eine wichtige Ehrenftellung erhob und der denn die Erwartungen
und Hoffnungen seiner Freunde so gründlich täuschte, daß Goethe sein Verhalten
als „abscheulich" charakterisiren mußte. Der andre war der Major Heinrich
von Kalb, Charlottes Gemahl, ein gebildeter Offizier im Sinne seiner Zeit, den
wir in französischen, herzoglich zweibrückenschen und demnächst in kurpfälzischen
und knrbairischen Diensten sehen. Die Persönlichkeit des Mannes wird uns aus
einer der zahlreichen Veröffentlichungen klar, welche über seine Gattin erfolgt
sind. Er scheint bis zu einem gewissen Punkte ein Abenteurer gewesen zu sein,
wenigstens behält seine militärische Karriere, sein Hin- und Herreisen an den
verschiedenen Höfen, sein rasches Auf- und jähes Herabsteigen, sein tragisches
Ende (er erschoß sich 1806 in München) für uns viel des Rätselhaften, schlechthin
Unverständlichen. In seiner Ehe scheint von Hans ans der stärkere Wille seiner
Frau entschieden zu haben, ein Wille, der an alles mögliche, mir niemals an
die Klarstellung der wunderlich verworrenen Verhältnisse gesetzt wurde. Die
Zeugnisse, welche Schiller, Jean Paul und untre über den unglücklichen Manu
abgeben, sind zu lückenhaft, vor allem zu sehr von momentanen Stimmungen
und Beziehungen abhängig, um ihnen großen Wert beilegen zu können. Heinrich
von Kalb muß liebenswürdige Seiten besessen haben; was aber seine Fran um
ihn fesselte, waren offenbar nicht diese, sondern die leidigen äußern Verhältnisse,
denen gegenüber sie rat-, hilf- und gelegentlich haltlos gewesen zu sein scheint.
Es ist eine peinliche Thatsache, daß die furchtbare Zerrüttung der Kälbscheu
Familienznftände und die harten Prüfungen, denen die geistvolle Frau ausgesetzt
war, tausendfach öffentlich erörtert wurden, aber unsers Wissens noch niemand
den Versuch gemacht hat, diese erschütternde Tragödie wirklich aus ihren An¬
fängen zu entwickeln und mit allen handelnden und leidenden Gestalten in einer
guten, klaren Darstellung vorzuführen. Schonend zu verschweigen ist da nichts
mehr, psychologisch zu erklären wäre vieles.

Gewiß bleibt, daß Charlottes Ehe jedesmal dann i» die Beleuchtung einer
harten Zwangsehe tritt, wenn eine bedeutende Erscheinung ihren Lebensweg
kreuzt. Als sie, erst kurze Zeit verheiratet, 1784 Schiller in Mannheim kennen
lernte, trat ihr zum erstenmale der Gedanke nahe, das wunderliche Band zu
lösen, 1787, als Schiller auf ihren Wunsch vou Dresden nach Weimar über-


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[0518] zuschieben. Zu den Familien dieser Art scheint auch die Kalbschc gehört zu haben, in welche Charlotte Marschalk von Osthcim wenig älter als zwanzig Jahre hineinheiratete, oder besser gesagt, hiueiuverheiratet ward. Der Präsident von Kalb auf Knlbsrieth (in der goldnen Ane an der Unstrut gelegen) hatte zwei Söhne, von denen der eine als der herzoglich weimarische Kammerjunker von Kalb jeuer Kavalier war, dessen Ausbleiben im Oktober 1775 Goethe beinahe von Frankfurt nach Italien, statt von Frankfurt nach Weimar geführt hätte, und mit welchem der Dichter dann an: Morgen des 7. November in seiner künftigen Heimat eintraf, derselbe Kalb, den Herzog Karl Augusts Freundschaft zugleich mit Goethe in eine wichtige Ehrenftellung erhob und der denn die Erwartungen und Hoffnungen seiner Freunde so gründlich täuschte, daß Goethe sein Verhalten als „abscheulich" charakterisiren mußte. Der andre war der Major Heinrich von Kalb, Charlottes Gemahl, ein gebildeter Offizier im Sinne seiner Zeit, den wir in französischen, herzoglich zweibrückenschen und demnächst in kurpfälzischen und knrbairischen Diensten sehen. Die Persönlichkeit des Mannes wird uns aus einer der zahlreichen Veröffentlichungen klar, welche über seine Gattin erfolgt sind. Er scheint bis zu einem gewissen Punkte ein Abenteurer gewesen zu sein, wenigstens behält seine militärische Karriere, sein Hin- und Herreisen an den verschiedenen Höfen, sein rasches Auf- und jähes Herabsteigen, sein tragisches Ende (er erschoß sich 1806 in München) für uns viel des Rätselhaften, schlechthin Unverständlichen. In seiner Ehe scheint von Hans ans der stärkere Wille seiner Frau entschieden zu haben, ein Wille, der an alles mögliche, mir niemals an die Klarstellung der wunderlich verworrenen Verhältnisse gesetzt wurde. Die Zeugnisse, welche Schiller, Jean Paul und untre über den unglücklichen Manu abgeben, sind zu lückenhaft, vor allem zu sehr von momentanen Stimmungen und Beziehungen abhängig, um ihnen großen Wert beilegen zu können. Heinrich von Kalb muß liebenswürdige Seiten besessen haben; was aber seine Fran um ihn fesselte, waren offenbar nicht diese, sondern die leidigen äußern Verhältnisse, denen gegenüber sie rat-, hilf- und gelegentlich haltlos gewesen zu sein scheint. Es ist eine peinliche Thatsache, daß die furchtbare Zerrüttung der Kälbscheu Familienznftände und die harten Prüfungen, denen die geistvolle Frau ausgesetzt war, tausendfach öffentlich erörtert wurden, aber unsers Wissens noch niemand den Versuch gemacht hat, diese erschütternde Tragödie wirklich aus ihren An¬ fängen zu entwickeln und mit allen handelnden und leidenden Gestalten in einer guten, klaren Darstellung vorzuführen. Schonend zu verschweigen ist da nichts mehr, psychologisch zu erklären wäre vieles. Gewiß bleibt, daß Charlottes Ehe jedesmal dann i» die Beleuchtung einer harten Zwangsehe tritt, wenn eine bedeutende Erscheinung ihren Lebensweg kreuzt. Als sie, erst kurze Zeit verheiratet, 1784 Schiller in Mannheim kennen lernte, trat ihr zum erstenmale der Gedanke nahe, das wunderliche Band zu lösen, 1787, als Schiller auf ihren Wunsch vou Dresden nach Weimar über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/518>, abgerufen am 26.08.2024.