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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Lharlotlo voll Aali' und Il'Mi peril.

sit^e einzufinden und als nen ausgehendes Gestirn den Dioskuren der Hören,
die so entschieden die Unzufriedenheit ihrer Freunde erregten, entgegengestellt zu
werden. Zwnr hatte Goethe eben erst "Wilhelm Meisters Lehrjahre" publizirt,
aber diese bewegten sich ja in zu niedrigen Regionen, um den Geschmack, na¬
mentlich des Herdcrschen Kreises, befriedigen zu können. Freilich sah Goethe
bereits wieder die herrlichen Gestalten von "Hermann und Dorothea" vor Augen
und in der Seele, und Schiller zog die Grundlinien zur großen Walleusteiutragödie.
Aber davon wußten sie nichts, und wenn sie es gewußt hätten, sie wollten davon
nichts wissen. Diese Kunst war ihnen zu streng, die Forderung des Vortreff¬
lichen zu hart, und -- alles in allem -- sie sehnten sich, neue Götter anzubeten
nud schufen sich eiuen solchen "neuen Gott" in Jenn Paul.

Der Verfasser des "Hesperus" und des "Quintus Fixleiu" kam nach
Weimar; er ward mit einer Art von^ Rausch, mit stürmischer Freude em¬
pfangen, in der zuviel Absicht und Tendenz unterlief, um eine völlig wohlthuende
Wirkung zu hinterlassen. Die trocknen Sarkasmen in dem Briefwechsel Goethes
und Schillers thun hie und da Jean Paul, vielleicht auch manchem seiner
Verehrer, Unrecht. Goethe wie Schiller waren beide im Augenblick nicht in der
Stimmung, die besondern Vorzüge der Jean Paulschen Schriften zu würdigem
und von dem Enthusiastenkreise wurde es ihnen nicht leicht gemacht. Die Si¬
tuation war eine gedrückte, schwüle. Die Briefe Charlottens von Kalb an den
Verherrlichten geben auch davon Zeugnis. Unter dem 19. Juni 17W berichtet
Charlotte ans Jena, wohin sie zur Pflege einer kranken Tante gereist war:
"Ich war ernst, ging zu Schillern. Man fragte mich nach Weimar; ich sagte,
Richter sei da. Er hat Sie in Ihren Schriften nicht erkannt, und sie kann es
nicht. Das wußte ich schon, im Ton merkte ichs wieder. Ich sagte mit einem
herausfordernden Blick und einem gepreßten Tone: er ist sehr, sehr interessant.
Ja, sagte Schiller, ich verlange auch ihn kennen zu lernen. Über dies mündlich.
So bald müssen Sie ihn nicht besuchen. Er musz Sie erwarten und der Ein¬
druck, den Sie auf die Menge machen, muß ihn von dem Geist und beglückenden
Sinn Ihres Wesens überzeugen, nein, ich streiche es wieder aus, so ist er nicht,
aber sehr von seiner Individualität -- mehr mündlich."

Die zweifelhafte Diplomatie dieses Briefes, der gereizte Ton und der un¬
willkürliche Durchbruch der besseren Einsicht und edleren Überzeugung vou
Schillers Wesen sind allesammt gleich charakteristisch für die Schreiberin dieser
Zeilen. Wenn unsre Feuilletonisten wiederum mit löblichem Eifer betonen
sollten, daß dnrch die Briefe Charlottens an Jean Paul allerhand Menschlich¬
keiten unsrer klassischen Literaturperiode zu Tage träten, so mögen sie dabei nur
nicht vergessen, von welcher Seite zuerst die Harmlosigkeit und das einfache
menschliche Vertrauen verleugnet worden war. Es war eben nicht rein zufällig,
wenn Charlottens erster Brief alle Elemente der Opposition nennt, welche sich
in Weimar gegen den Freundschaftsbund und gegen die Knnstbestrebungcn


Lharlotlo voll Aali' und Il'Mi peril.

sit^e einzufinden und als nen ausgehendes Gestirn den Dioskuren der Hören,
die so entschieden die Unzufriedenheit ihrer Freunde erregten, entgegengestellt zu
werden. Zwnr hatte Goethe eben erst „Wilhelm Meisters Lehrjahre" publizirt,
aber diese bewegten sich ja in zu niedrigen Regionen, um den Geschmack, na¬
mentlich des Herdcrschen Kreises, befriedigen zu können. Freilich sah Goethe
bereits wieder die herrlichen Gestalten von „Hermann und Dorothea" vor Augen
und in der Seele, und Schiller zog die Grundlinien zur großen Walleusteiutragödie.
Aber davon wußten sie nichts, und wenn sie es gewußt hätten, sie wollten davon
nichts wissen. Diese Kunst war ihnen zu streng, die Forderung des Vortreff¬
lichen zu hart, und — alles in allem — sie sehnten sich, neue Götter anzubeten
nud schufen sich eiuen solchen „neuen Gott" in Jenn Paul.

Der Verfasser des „Hesperus" und des „Quintus Fixleiu" kam nach
Weimar; er ward mit einer Art von^ Rausch, mit stürmischer Freude em¬
pfangen, in der zuviel Absicht und Tendenz unterlief, um eine völlig wohlthuende
Wirkung zu hinterlassen. Die trocknen Sarkasmen in dem Briefwechsel Goethes
und Schillers thun hie und da Jean Paul, vielleicht auch manchem seiner
Verehrer, Unrecht. Goethe wie Schiller waren beide im Augenblick nicht in der
Stimmung, die besondern Vorzüge der Jean Paulschen Schriften zu würdigem
und von dem Enthusiastenkreise wurde es ihnen nicht leicht gemacht. Die Si¬
tuation war eine gedrückte, schwüle. Die Briefe Charlottens von Kalb an den
Verherrlichten geben auch davon Zeugnis. Unter dem 19. Juni 17W berichtet
Charlotte ans Jena, wohin sie zur Pflege einer kranken Tante gereist war:
„Ich war ernst, ging zu Schillern. Man fragte mich nach Weimar; ich sagte,
Richter sei da. Er hat Sie in Ihren Schriften nicht erkannt, und sie kann es
nicht. Das wußte ich schon, im Ton merkte ichs wieder. Ich sagte mit einem
herausfordernden Blick und einem gepreßten Tone: er ist sehr, sehr interessant.
Ja, sagte Schiller, ich verlange auch ihn kennen zu lernen. Über dies mündlich.
So bald müssen Sie ihn nicht besuchen. Er musz Sie erwarten und der Ein¬
druck, den Sie auf die Menge machen, muß ihn von dem Geist und beglückenden
Sinn Ihres Wesens überzeugen, nein, ich streiche es wieder aus, so ist er nicht,
aber sehr von seiner Individualität — mehr mündlich."

Die zweifelhafte Diplomatie dieses Briefes, der gereizte Ton und der un¬
willkürliche Durchbruch der besseren Einsicht und edleren Überzeugung vou
Schillers Wesen sind allesammt gleich charakteristisch für die Schreiberin dieser
Zeilen. Wenn unsre Feuilletonisten wiederum mit löblichem Eifer betonen
sollten, daß dnrch die Briefe Charlottens an Jean Paul allerhand Menschlich¬
keiten unsrer klassischen Literaturperiode zu Tage träten, so mögen sie dabei nur
nicht vergessen, von welcher Seite zuerst die Harmlosigkeit und das einfache
menschliche Vertrauen verleugnet worden war. Es war eben nicht rein zufällig,
wenn Charlottens erster Brief alle Elemente der Opposition nennt, welche sich
in Weimar gegen den Freundschaftsbund und gegen die Knnstbestrebungcn


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[0516] Lharlotlo voll Aali' und Il'Mi peril. sit^e einzufinden und als nen ausgehendes Gestirn den Dioskuren der Hören, die so entschieden die Unzufriedenheit ihrer Freunde erregten, entgegengestellt zu werden. Zwnr hatte Goethe eben erst „Wilhelm Meisters Lehrjahre" publizirt, aber diese bewegten sich ja in zu niedrigen Regionen, um den Geschmack, na¬ mentlich des Herdcrschen Kreises, befriedigen zu können. Freilich sah Goethe bereits wieder die herrlichen Gestalten von „Hermann und Dorothea" vor Augen und in der Seele, und Schiller zog die Grundlinien zur großen Walleusteiutragödie. Aber davon wußten sie nichts, und wenn sie es gewußt hätten, sie wollten davon nichts wissen. Diese Kunst war ihnen zu streng, die Forderung des Vortreff¬ lichen zu hart, und — alles in allem — sie sehnten sich, neue Götter anzubeten nud schufen sich eiuen solchen „neuen Gott" in Jenn Paul. Der Verfasser des „Hesperus" und des „Quintus Fixleiu" kam nach Weimar; er ward mit einer Art von^ Rausch, mit stürmischer Freude em¬ pfangen, in der zuviel Absicht und Tendenz unterlief, um eine völlig wohlthuende Wirkung zu hinterlassen. Die trocknen Sarkasmen in dem Briefwechsel Goethes und Schillers thun hie und da Jean Paul, vielleicht auch manchem seiner Verehrer, Unrecht. Goethe wie Schiller waren beide im Augenblick nicht in der Stimmung, die besondern Vorzüge der Jean Paulschen Schriften zu würdigem und von dem Enthusiastenkreise wurde es ihnen nicht leicht gemacht. Die Si¬ tuation war eine gedrückte, schwüle. Die Briefe Charlottens von Kalb an den Verherrlichten geben auch davon Zeugnis. Unter dem 19. Juni 17W berichtet Charlotte ans Jena, wohin sie zur Pflege einer kranken Tante gereist war: „Ich war ernst, ging zu Schillern. Man fragte mich nach Weimar; ich sagte, Richter sei da. Er hat Sie in Ihren Schriften nicht erkannt, und sie kann es nicht. Das wußte ich schon, im Ton merkte ichs wieder. Ich sagte mit einem herausfordernden Blick und einem gepreßten Tone: er ist sehr, sehr interessant. Ja, sagte Schiller, ich verlange auch ihn kennen zu lernen. Über dies mündlich. So bald müssen Sie ihn nicht besuchen. Er musz Sie erwarten und der Ein¬ druck, den Sie auf die Menge machen, muß ihn von dem Geist und beglückenden Sinn Ihres Wesens überzeugen, nein, ich streiche es wieder aus, so ist er nicht, aber sehr von seiner Individualität — mehr mündlich." Die zweifelhafte Diplomatie dieses Briefes, der gereizte Ton und der un¬ willkürliche Durchbruch der besseren Einsicht und edleren Überzeugung vou Schillers Wesen sind allesammt gleich charakteristisch für die Schreiberin dieser Zeilen. Wenn unsre Feuilletonisten wiederum mit löblichem Eifer betonen sollten, daß dnrch die Briefe Charlottens an Jean Paul allerhand Menschlich¬ keiten unsrer klassischen Literaturperiode zu Tage träten, so mögen sie dabei nur nicht vergessen, von welcher Seite zuerst die Harmlosigkeit und das einfache menschliche Vertrauen verleugnet worden war. Es war eben nicht rein zufällig, wenn Charlottens erster Brief alle Elemente der Opposition nennt, welche sich in Weimar gegen den Freundschaftsbund und gegen die Knnstbestrebungcn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/516>, abgerufen am 24.07.2024.