Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Richard Wagners parsifal.

Opernkomposition mit neuen Ausdrucksmitteln bereichert. Was Wunder, daß
ihn die Vorsicht und der Zweifel an seinem instrumentalen Genie nicht mehr
beschleicht, und daß er gerade solche trockene, chronistische Partien besonders
leger hinwirft?

Eben ist Gurnemanz soweit gekommen, die Knappen von der Mitteilung
der mysteriösen Verheißung "Durch Mitleid wissend ?c." in Kenntnis zu setzen,
und ebeu singen diese die dunklen Worte sinnend nach, da erhebt sich vom See
her ein Lurn. Ritter bringen einen verwundeten Schwan und bald darauf auch
den Übelthäter, der das Tier erlegt hat, unsern Parsifal.

Das führt zu einem der frischesten Sützchen des Aktes. Die Ritter tumul-
tuiren in kurzen, heftigen Phrasen, Gurnemanz fragt, Parsifal antwortet dreist
und naiv. Lebhaft geht es weiter. Gurnemanz redet dem jungen Sausindiewclt
ins Gewissen und schildert ihm das glückliche Leben, welches solche Schwäne
führen. Dazwischen brechen die Knappen nach dem Bade auf, um deu König
mit znrückzugeleiten, und Parsifal beginnt von sich zu berichten.

Ganz besonders hervortretend ist in dieser Partie ein ausgeführter Orchester¬
satz, welcher die Idylle der Schwanenfamilic schildern soll. Gurnemanz giebt
dazu die Erklärung. In diesem erfindungsreichen, flotten und stimmungsvollen
Zuge geht es anch weiter, als Parsifal seine Jugendgeschichte vorträgt. Vorher
drückt die Musik uoch sehr schön deu Übergang aus vom Trotz zur Reue, welchen
Parsifal durchmacht, während Gurnemanz den getöteten Schwan beklagt. Als
ihn der alte Ritter fragt: "Sag, warum thatest du das?" antwortet er kleinlaut,
aber edel: "Ich wußte es nicht." Wirklich romantische Farbe hat das kleine
Orchesterbildchen, zu welchem Parsifal die Schilderung der Ritter bringt, denen
er nachgelaufen ist.

Dann kommt in der Komposition wieder eine Kuriosität. Kundry geht,
um für Parsifal, dem die Nachricht vom Tode seiner Mutter eine Ohnmacht
zugezogen hat, Weisser zu holen. Dazu spielt nun die Musik sechs Takte lang
dieselben Motive, mit welchen Kundry in die Szene eingeführt wurde. Kennen
wir denn die Kundry nocht nicht? Wozu hier die Visitenkarte? Gurnemanz,
für deu es passend wäre, hier ein Wort zu sagen, steht in Schweigen da. Ob
die Musik zu dem augenblicklichen Vorgange gehört oder zum folgenden, weiß
man nicht. Wahrscheinlich soll letzteres der Fall sein, denu alsbald melden sich
die ominösen Zaubermotive, und Kundry versinkt in ihren metamorphosischen
Schlaf.

Gurnemanz und Parsifal aber brechen auf nach der Gralsbnrg, um dem
Liebesmahle beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit ist ein Maschiuenstückchen
neuerer Erfindung zur Anwendung gekommen, nämlich die sogenannten Wandel¬
dekorationen. Die Akteurs sieht man hierbei schreiten. In Wirklichkeit bleiben
sie stehen und die Dekorationen gehen von der Stelle. In Bayreuth war dieser
Effekt nicht konsequent vorbereitet und erreichte deshalb nicht die volle Wirkung-


Richard Wagners parsifal.

Opernkomposition mit neuen Ausdrucksmitteln bereichert. Was Wunder, daß
ihn die Vorsicht und der Zweifel an seinem instrumentalen Genie nicht mehr
beschleicht, und daß er gerade solche trockene, chronistische Partien besonders
leger hinwirft?

Eben ist Gurnemanz soweit gekommen, die Knappen von der Mitteilung
der mysteriösen Verheißung „Durch Mitleid wissend ?c." in Kenntnis zu setzen,
und ebeu singen diese die dunklen Worte sinnend nach, da erhebt sich vom See
her ein Lurn. Ritter bringen einen verwundeten Schwan und bald darauf auch
den Übelthäter, der das Tier erlegt hat, unsern Parsifal.

Das führt zu einem der frischesten Sützchen des Aktes. Die Ritter tumul-
tuiren in kurzen, heftigen Phrasen, Gurnemanz fragt, Parsifal antwortet dreist
und naiv. Lebhaft geht es weiter. Gurnemanz redet dem jungen Sausindiewclt
ins Gewissen und schildert ihm das glückliche Leben, welches solche Schwäne
führen. Dazwischen brechen die Knappen nach dem Bade auf, um deu König
mit znrückzugeleiten, und Parsifal beginnt von sich zu berichten.

Ganz besonders hervortretend ist in dieser Partie ein ausgeführter Orchester¬
satz, welcher die Idylle der Schwanenfamilic schildern soll. Gurnemanz giebt
dazu die Erklärung. In diesem erfindungsreichen, flotten und stimmungsvollen
Zuge geht es anch weiter, als Parsifal seine Jugendgeschichte vorträgt. Vorher
drückt die Musik uoch sehr schön deu Übergang aus vom Trotz zur Reue, welchen
Parsifal durchmacht, während Gurnemanz den getöteten Schwan beklagt. Als
ihn der alte Ritter fragt: „Sag, warum thatest du das?" antwortet er kleinlaut,
aber edel: „Ich wußte es nicht." Wirklich romantische Farbe hat das kleine
Orchesterbildchen, zu welchem Parsifal die Schilderung der Ritter bringt, denen
er nachgelaufen ist.

Dann kommt in der Komposition wieder eine Kuriosität. Kundry geht,
um für Parsifal, dem die Nachricht vom Tode seiner Mutter eine Ohnmacht
zugezogen hat, Weisser zu holen. Dazu spielt nun die Musik sechs Takte lang
dieselben Motive, mit welchen Kundry in die Szene eingeführt wurde. Kennen
wir denn die Kundry nocht nicht? Wozu hier die Visitenkarte? Gurnemanz,
für deu es passend wäre, hier ein Wort zu sagen, steht in Schweigen da. Ob
die Musik zu dem augenblicklichen Vorgange gehört oder zum folgenden, weiß
man nicht. Wahrscheinlich soll letzteres der Fall sein, denu alsbald melden sich
die ominösen Zaubermotive, und Kundry versinkt in ihren metamorphosischen
Schlaf.

Gurnemanz und Parsifal aber brechen auf nach der Gralsbnrg, um dem
Liebesmahle beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit ist ein Maschiuenstückchen
neuerer Erfindung zur Anwendung gekommen, nämlich die sogenannten Wandel¬
dekorationen. Die Akteurs sieht man hierbei schreiten. In Wirklichkeit bleiben
sie stehen und die Dekorationen gehen von der Stelle. In Bayreuth war dieser
Effekt nicht konsequent vorbereitet und erreichte deshalb nicht die volle Wirkung-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193847"/>
          <fw type="header" place="top"> Richard Wagners parsifal.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1714" prev="#ID_1713"> Opernkomposition mit neuen Ausdrucksmitteln bereichert. Was Wunder, daß<lb/>
ihn die Vorsicht und der Zweifel an seinem instrumentalen Genie nicht mehr<lb/>
beschleicht, und daß er gerade solche trockene, chronistische Partien besonders<lb/>
leger hinwirft?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1715"> Eben ist Gurnemanz soweit gekommen, die Knappen von der Mitteilung<lb/>
der mysteriösen Verheißung &#x201E;Durch Mitleid wissend ?c." in Kenntnis zu setzen,<lb/>
und ebeu singen diese die dunklen Worte sinnend nach, da erhebt sich vom See<lb/>
her ein Lurn. Ritter bringen einen verwundeten Schwan und bald darauf auch<lb/>
den Übelthäter, der das Tier erlegt hat, unsern Parsifal.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1716"> Das führt zu einem der frischesten Sützchen des Aktes. Die Ritter tumul-<lb/>
tuiren in kurzen, heftigen Phrasen, Gurnemanz fragt, Parsifal antwortet dreist<lb/>
und naiv. Lebhaft geht es weiter. Gurnemanz redet dem jungen Sausindiewclt<lb/>
ins Gewissen und schildert ihm das glückliche Leben, welches solche Schwäne<lb/>
führen. Dazwischen brechen die Knappen nach dem Bade auf, um deu König<lb/>
mit znrückzugeleiten, und Parsifal beginnt von sich zu berichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1717"> Ganz besonders hervortretend ist in dieser Partie ein ausgeführter Orchester¬<lb/>
satz, welcher die Idylle der Schwanenfamilic schildern soll. Gurnemanz giebt<lb/>
dazu die Erklärung. In diesem erfindungsreichen, flotten und stimmungsvollen<lb/>
Zuge geht es anch weiter, als Parsifal seine Jugendgeschichte vorträgt. Vorher<lb/>
drückt die Musik uoch sehr schön deu Übergang aus vom Trotz zur Reue, welchen<lb/>
Parsifal durchmacht, während Gurnemanz den getöteten Schwan beklagt. Als<lb/>
ihn der alte Ritter fragt: &#x201E;Sag, warum thatest du das?" antwortet er kleinlaut,<lb/>
aber edel: &#x201E;Ich wußte es nicht." Wirklich romantische Farbe hat das kleine<lb/>
Orchesterbildchen, zu welchem Parsifal die Schilderung der Ritter bringt, denen<lb/>
er nachgelaufen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1718"> Dann kommt in der Komposition wieder eine Kuriosität. Kundry geht,<lb/>
um für Parsifal, dem die Nachricht vom Tode seiner Mutter eine Ohnmacht<lb/>
zugezogen hat, Weisser zu holen. Dazu spielt nun die Musik sechs Takte lang<lb/>
dieselben Motive, mit welchen Kundry in die Szene eingeführt wurde. Kennen<lb/>
wir denn die Kundry nocht nicht? Wozu hier die Visitenkarte? Gurnemanz,<lb/>
für deu es passend wäre, hier ein Wort zu sagen, steht in Schweigen da. Ob<lb/>
die Musik zu dem augenblicklichen Vorgange gehört oder zum folgenden, weiß<lb/>
man nicht. Wahrscheinlich soll letzteres der Fall sein, denu alsbald melden sich<lb/>
die ominösen Zaubermotive, und Kundry versinkt in ihren metamorphosischen<lb/>
Schlaf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1719"> Gurnemanz und Parsifal aber brechen auf nach der Gralsbnrg, um dem<lb/>
Liebesmahle beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit ist ein Maschiuenstückchen<lb/>
neuerer Erfindung zur Anwendung gekommen, nämlich die sogenannten Wandel¬<lb/>
dekorationen. Die Akteurs sieht man hierbei schreiten. In Wirklichkeit bleiben<lb/>
sie stehen und die Dekorationen gehen von der Stelle. In Bayreuth war dieser<lb/>
Effekt nicht konsequent vorbereitet und erreichte deshalb nicht die volle Wirkung-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] Richard Wagners parsifal. Opernkomposition mit neuen Ausdrucksmitteln bereichert. Was Wunder, daß ihn die Vorsicht und der Zweifel an seinem instrumentalen Genie nicht mehr beschleicht, und daß er gerade solche trockene, chronistische Partien besonders leger hinwirft? Eben ist Gurnemanz soweit gekommen, die Knappen von der Mitteilung der mysteriösen Verheißung „Durch Mitleid wissend ?c." in Kenntnis zu setzen, und ebeu singen diese die dunklen Worte sinnend nach, da erhebt sich vom See her ein Lurn. Ritter bringen einen verwundeten Schwan und bald darauf auch den Übelthäter, der das Tier erlegt hat, unsern Parsifal. Das führt zu einem der frischesten Sützchen des Aktes. Die Ritter tumul- tuiren in kurzen, heftigen Phrasen, Gurnemanz fragt, Parsifal antwortet dreist und naiv. Lebhaft geht es weiter. Gurnemanz redet dem jungen Sausindiewclt ins Gewissen und schildert ihm das glückliche Leben, welches solche Schwäne führen. Dazwischen brechen die Knappen nach dem Bade auf, um deu König mit znrückzugeleiten, und Parsifal beginnt von sich zu berichten. Ganz besonders hervortretend ist in dieser Partie ein ausgeführter Orchester¬ satz, welcher die Idylle der Schwanenfamilic schildern soll. Gurnemanz giebt dazu die Erklärung. In diesem erfindungsreichen, flotten und stimmungsvollen Zuge geht es anch weiter, als Parsifal seine Jugendgeschichte vorträgt. Vorher drückt die Musik uoch sehr schön deu Übergang aus vom Trotz zur Reue, welchen Parsifal durchmacht, während Gurnemanz den getöteten Schwan beklagt. Als ihn der alte Ritter fragt: „Sag, warum thatest du das?" antwortet er kleinlaut, aber edel: „Ich wußte es nicht." Wirklich romantische Farbe hat das kleine Orchesterbildchen, zu welchem Parsifal die Schilderung der Ritter bringt, denen er nachgelaufen ist. Dann kommt in der Komposition wieder eine Kuriosität. Kundry geht, um für Parsifal, dem die Nachricht vom Tode seiner Mutter eine Ohnmacht zugezogen hat, Weisser zu holen. Dazu spielt nun die Musik sechs Takte lang dieselben Motive, mit welchen Kundry in die Szene eingeführt wurde. Kennen wir denn die Kundry nocht nicht? Wozu hier die Visitenkarte? Gurnemanz, für deu es passend wäre, hier ein Wort zu sagen, steht in Schweigen da. Ob die Musik zu dem augenblicklichen Vorgange gehört oder zum folgenden, weiß man nicht. Wahrscheinlich soll letzteres der Fall sein, denu alsbald melden sich die ominösen Zaubermotive, und Kundry versinkt in ihren metamorphosischen Schlaf. Gurnemanz und Parsifal aber brechen auf nach der Gralsbnrg, um dem Liebesmahle beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit ist ein Maschiuenstückchen neuerer Erfindung zur Anwendung gekommen, nämlich die sogenannten Wandel¬ dekorationen. Die Akteurs sieht man hierbei schreiten. In Wirklichkeit bleiben sie stehen und die Dekorationen gehen von der Stelle. In Bayreuth war dieser Effekt nicht konsequent vorbereitet und erreichte deshalb nicht die volle Wirkung-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/506>, abgerufen am 23.07.2024.