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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

zur Deckung seiner eignen Person und seiner persönlichen Pläne versuchter neuer
Konflikt, ein Versuch, ebenso gefährlich für die konstitutionellen Rechte und bürger¬
lichen Freiheiten des Volkes als für die Würde und Sicherheit der Krone selbst;
ja und da das bisherige psendo-loyale Agitationsmittel einer Trennung der Person
des Monarchen von der des Reichskanzlers jetzt unmöglich geworden, so stand
der Führer der Fraktion nicht an, seine fortdauernde königstreue Gesinnung da¬
durch ztl bezeugen, daß er, über die gegenwärtige Negierung, deren Tage gezählt
seien, hinweg, der kommenden zuwinkte und die Hand bot!

Aber der Ton solcher Anklagen und Angriffe war nun bereits der Ausdruck
einer in der Geschichte des deutscheu Liberalisinus ncueiugetreteuen Entnativna-
lisirungsepoche und stand im Einklange mit dem regierungsfeindlichen Wahlpro¬
gramm, unter dem sich die fortschrittlichen Liberalen mit deu vou der national¬
liberalen Fraktion abgefallenen Sezessivnisten zusammengethan und, noch mit
beabsichtigter Aufnahme der süddeutschen Republikaner und Hinüberziehnng der
Nationalliberalen, als jene zu Anfang erwähnte eine große liberale Partei hin-
zustellen versucht hatten. Den positiven Teil des vereinbarten sezessivnistisch-fort-
schrittlichen Wahlprogramms bildeten jene egoistischen und materialistischen Frei-
heitsdvktriuen, auf die wir als Entartungen des deutschen Liberalismus bereits
mehrfach hingewiesen haben, jene pseudo-idealen Schlagwörter vom Rechte des
Individualismus, Konstitutionnlismus und freien Bürgertums, vom Schutze des
armen Mannes gegen Zoll und indirekte Steuer, und also namentlich auch
vom alleinigen Heil des -- wiederherzustellenden -- Freihandelssystems, eines
Systems, das nicht minder mit der Sitte und Geschichte aller übrigen großen
Nationen als mit der natürlichen Bedeutung eines der wichtigsten Elemente des
nationalen Lebens, des industrielle", im schroffen Widersprüche steht, und das,
indem es diesem Elemente nur eine individualistische und internationale Geltung
zumißt, das nationale Gewissen sowohl der Konsumtion als der Produktion
unterdrückt und, anstatt eines täglich wachsende,: allgemeinen Thätigkeitstriebes
und Znsammenhangsgefühls, nichts hervorzurufen geeignet ist als täglich ab¬
nehmenden Mut und Eifer zur Arbeit und wachsenden Unmut über den Druck
der direkten Besteuerung. Der pseudo-ideale Zauber aller solcher freiheitlichen
Schlagwörter aber erhielt daun in deu Wahlreden dadurch eine gewisse ver¬
zerrte Realität, daß er mit persönlichen Angriffen auf den Reichskanzler sowie
Protesten gegen dessen "absolutistisch-schlvindelhafte Steuerreformpolitik" in un¬
mittelbare Verbindung gesetzt wurde, insbesondre mit Protesten gegen das Ta-
baksmonopol, dieses in Aussicht genommene wichtige Reichseinkvmmensobjekt,
das, als ein zur Herstellung der finanziellen Selbständigkeit des Reichs vor¬
zugsweise geeignetes Mittel, doch jedenfalls von feiten eines deutschen Liberalis¬
mus keine solche Feindseligkeit hätte erwarten sollen, das aber, anstatt seiner
hohen nationalen Bedeutung, für den sezessionistisch-fortschrittlichen Liberalismus
nichts bedeutete als ein tressliches Wahlngitationsmittel, als ein "die Tabaks-


Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

zur Deckung seiner eignen Person und seiner persönlichen Pläne versuchter neuer
Konflikt, ein Versuch, ebenso gefährlich für die konstitutionellen Rechte und bürger¬
lichen Freiheiten des Volkes als für die Würde und Sicherheit der Krone selbst;
ja und da das bisherige psendo-loyale Agitationsmittel einer Trennung der Person
des Monarchen von der des Reichskanzlers jetzt unmöglich geworden, so stand
der Führer der Fraktion nicht an, seine fortdauernde königstreue Gesinnung da¬
durch ztl bezeugen, daß er, über die gegenwärtige Negierung, deren Tage gezählt
seien, hinweg, der kommenden zuwinkte und die Hand bot!

Aber der Ton solcher Anklagen und Angriffe war nun bereits der Ausdruck
einer in der Geschichte des deutscheu Liberalisinus ncueiugetreteuen Entnativna-
lisirungsepoche und stand im Einklange mit dem regierungsfeindlichen Wahlpro¬
gramm, unter dem sich die fortschrittlichen Liberalen mit deu vou der national¬
liberalen Fraktion abgefallenen Sezessivnisten zusammengethan und, noch mit
beabsichtigter Aufnahme der süddeutschen Republikaner und Hinüberziehnng der
Nationalliberalen, als jene zu Anfang erwähnte eine große liberale Partei hin-
zustellen versucht hatten. Den positiven Teil des vereinbarten sezessivnistisch-fort-
schrittlichen Wahlprogramms bildeten jene egoistischen und materialistischen Frei-
heitsdvktriuen, auf die wir als Entartungen des deutschen Liberalismus bereits
mehrfach hingewiesen haben, jene pseudo-idealen Schlagwörter vom Rechte des
Individualismus, Konstitutionnlismus und freien Bürgertums, vom Schutze des
armen Mannes gegen Zoll und indirekte Steuer, und also namentlich auch
vom alleinigen Heil des — wiederherzustellenden — Freihandelssystems, eines
Systems, das nicht minder mit der Sitte und Geschichte aller übrigen großen
Nationen als mit der natürlichen Bedeutung eines der wichtigsten Elemente des
nationalen Lebens, des industrielle«, im schroffen Widersprüche steht, und das,
indem es diesem Elemente nur eine individualistische und internationale Geltung
zumißt, das nationale Gewissen sowohl der Konsumtion als der Produktion
unterdrückt und, anstatt eines täglich wachsende,: allgemeinen Thätigkeitstriebes
und Znsammenhangsgefühls, nichts hervorzurufen geeignet ist als täglich ab¬
nehmenden Mut und Eifer zur Arbeit und wachsenden Unmut über den Druck
der direkten Besteuerung. Der pseudo-ideale Zauber aller solcher freiheitlichen
Schlagwörter aber erhielt daun in deu Wahlreden dadurch eine gewisse ver¬
zerrte Realität, daß er mit persönlichen Angriffen auf den Reichskanzler sowie
Protesten gegen dessen „absolutistisch-schlvindelhafte Steuerreformpolitik" in un¬
mittelbare Verbindung gesetzt wurde, insbesondre mit Protesten gegen das Ta-
baksmonopol, dieses in Aussicht genommene wichtige Reichseinkvmmensobjekt,
das, als ein zur Herstellung der finanziellen Selbständigkeit des Reichs vor¬
zugsweise geeignetes Mittel, doch jedenfalls von feiten eines deutschen Liberalis¬
mus keine solche Feindseligkeit hätte erwarten sollen, das aber, anstatt seiner
hohen nationalen Bedeutung, für den sezessionistisch-fortschrittlichen Liberalismus
nichts bedeutete als ein tressliches Wahlngitationsmittel, als ein „die Tabaks-


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[0458] Zur Geschichte des deutschen Liberalismus. zur Deckung seiner eignen Person und seiner persönlichen Pläne versuchter neuer Konflikt, ein Versuch, ebenso gefährlich für die konstitutionellen Rechte und bürger¬ lichen Freiheiten des Volkes als für die Würde und Sicherheit der Krone selbst; ja und da das bisherige psendo-loyale Agitationsmittel einer Trennung der Person des Monarchen von der des Reichskanzlers jetzt unmöglich geworden, so stand der Führer der Fraktion nicht an, seine fortdauernde königstreue Gesinnung da¬ durch ztl bezeugen, daß er, über die gegenwärtige Negierung, deren Tage gezählt seien, hinweg, der kommenden zuwinkte und die Hand bot! Aber der Ton solcher Anklagen und Angriffe war nun bereits der Ausdruck einer in der Geschichte des deutscheu Liberalisinus ncueiugetreteuen Entnativna- lisirungsepoche und stand im Einklange mit dem regierungsfeindlichen Wahlpro¬ gramm, unter dem sich die fortschrittlichen Liberalen mit deu vou der national¬ liberalen Fraktion abgefallenen Sezessivnisten zusammengethan und, noch mit beabsichtigter Aufnahme der süddeutschen Republikaner und Hinüberziehnng der Nationalliberalen, als jene zu Anfang erwähnte eine große liberale Partei hin- zustellen versucht hatten. Den positiven Teil des vereinbarten sezessivnistisch-fort- schrittlichen Wahlprogramms bildeten jene egoistischen und materialistischen Frei- heitsdvktriuen, auf die wir als Entartungen des deutschen Liberalismus bereits mehrfach hingewiesen haben, jene pseudo-idealen Schlagwörter vom Rechte des Individualismus, Konstitutionnlismus und freien Bürgertums, vom Schutze des armen Mannes gegen Zoll und indirekte Steuer, und also namentlich auch vom alleinigen Heil des — wiederherzustellenden — Freihandelssystems, eines Systems, das nicht minder mit der Sitte und Geschichte aller übrigen großen Nationen als mit der natürlichen Bedeutung eines der wichtigsten Elemente des nationalen Lebens, des industrielle«, im schroffen Widersprüche steht, und das, indem es diesem Elemente nur eine individualistische und internationale Geltung zumißt, das nationale Gewissen sowohl der Konsumtion als der Produktion unterdrückt und, anstatt eines täglich wachsende,: allgemeinen Thätigkeitstriebes und Znsammenhangsgefühls, nichts hervorzurufen geeignet ist als täglich ab¬ nehmenden Mut und Eifer zur Arbeit und wachsenden Unmut über den Druck der direkten Besteuerung. Der pseudo-ideale Zauber aller solcher freiheitlichen Schlagwörter aber erhielt daun in deu Wahlreden dadurch eine gewisse ver¬ zerrte Realität, daß er mit persönlichen Angriffen auf den Reichskanzler sowie Protesten gegen dessen „absolutistisch-schlvindelhafte Steuerreformpolitik" in un¬ mittelbare Verbindung gesetzt wurde, insbesondre mit Protesten gegen das Ta- baksmonopol, dieses in Aussicht genommene wichtige Reichseinkvmmensobjekt, das, als ein zur Herstellung der finanziellen Selbständigkeit des Reichs vor¬ zugsweise geeignetes Mittel, doch jedenfalls von feiten eines deutschen Liberalis¬ mus keine solche Feindseligkeit hätte erwarten sollen, das aber, anstatt seiner hohen nationalen Bedeutung, für den sezessionistisch-fortschrittlichen Liberalismus nichts bedeutete als ein tressliches Wahlngitationsmittel, als ein „die Tabaks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/458>, abgerufen am 25.08.2024.