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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

Wille. Denn wenn die Gefahre" einer solchen, der englischen Praxis, im Wider¬
spruch mit der preußischen Verfassung, entlehnten Doktrin für England selbst
bis jetzt mir wenig hervorgetreten sind, so verdankt die edle, verständige, national-
reale Brittannia dies eben nnr ihrer insularen Lage und Geschichte, ihrer ge¬
bietenden Seemacht und festen aristokratisch-monarchischen Gliederung, während
dagegen unsre kontiuentnle, demokratisch-ideale, fünfundzwanzigstaatliche Germania
durch Annahme eines solchen parlamentarischen Regimentes sofort den eigent¬
lichen Halt ihres einheitlichen Daseins, den persönlichen Begriff und Anblick,
Willen lind Entschluß ihres Buudesreichs preisgebe" und sich der Gefahr aus¬
setzen würde, daß dasselbe, von den wechselnden Majoritäten eines sogenannten
Volkswillens hin- und Hergetrieben, von neuem auseinauderbreche und dem
im Westen und Osten lauernden Feinde stückweise als zeitweilige Beute zufalle.
Das Reich, das nur kraft des einen kaiserlichen Willens, im Bunde mit dem
der Fürsten und der gesnmmten geschichtlich-wirklichen Nation, obwohl im zeit¬
weiligen Widerspruch mit dem des preußischen Landtags, geschaffen werden
konnte, kaun sich auch uur kraft der ungestörten Fortdauer eiuer solchen per¬
sönlichen Gewalt lebendig erhalten, kann nnr aus dem unmittelbaren persön¬
lichen Wort und Aublick des Kaisers das immer erneute Bewußtsein seiner
nguen Persönlichkeit, nur aus seinem immer wachen Blick und Entschluß die
siegreiche Sicherheit gegen feindliche Angriffe und Verschwörungen schöpfen. Und
so kaun auch der Kaiser selbst dieser seiner Aufgabe nur dadurch gewachsen
bleiben, daß ihm das Vollgefühl einer solchen persönlich-realen, niemandem als
Gott und ihm selbst verantwortlichen obersten Gewalt nicht entzogen werde,
Und kann dasselbe für sein Gewissen und pflichtgemäßes Handeln ebensowenig
entbehren, als er für seinen politischen Verstand, um denselben mit der fort¬
schreitenden Entwicklung des allgemeinen nationalen Bewußtseins im steten
Gleichgewicht zu erhalten, des Parlaments und Bundesrath und der mit beiden
M vereinbarenden Gesetzgebung entbehren kann.

Wie fremd und unbequem aber dieses nicht minder in der preußischen Ver¬
fassung als im allgemeinen Staatsrecht begründete Machtverhältnis des Mo-
^arclMi dem deutscheu Liberalismus erschien und wie sehr es dessen korporativer
Eitelkeit und parlamentarischer Omnipotenzsncht widerstebte, das zeigte sich,
^um Beginn des neuen Reichstags, in der mehr oder minder erbitterten Ver¬
wunderung, mit der von den liberalen Parteien die beiden ans Bethätigung
Jenes Verhältnisses gerichteten Kundgebungen, die kaiserliche Botschaft und der
Angliche Erlaß, entgegengenommen wurden. Während von den Nationallibe-
^ten zwar die Verfassungsmäßigkeit des neubethätigten Rechtes anerkannt, aber
"es die Zeitgemüßheit dieser Bethätigung bezweifelt wurde, erhob -- gleichsam
öUr Widerlegung solcher Zweifel -- die Fortschrittspartei gegen beide Künd¬
igungen, besonders gegen den Erlaß, eine Reihe der heftigsten oratorischen An-
^dem und Angriffe, als seien die kaiserlichen Worte nnr ein vom Reichskanzler


Grenzlwteu III. 1882. L7
Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

Wille. Denn wenn die Gefahre» einer solchen, der englischen Praxis, im Wider¬
spruch mit der preußischen Verfassung, entlehnten Doktrin für England selbst
bis jetzt mir wenig hervorgetreten sind, so verdankt die edle, verständige, national-
reale Brittannia dies eben nnr ihrer insularen Lage und Geschichte, ihrer ge¬
bietenden Seemacht und festen aristokratisch-monarchischen Gliederung, während
dagegen unsre kontiuentnle, demokratisch-ideale, fünfundzwanzigstaatliche Germania
durch Annahme eines solchen parlamentarischen Regimentes sofort den eigent¬
lichen Halt ihres einheitlichen Daseins, den persönlichen Begriff und Anblick,
Willen lind Entschluß ihres Buudesreichs preisgebe» und sich der Gefahr aus¬
setzen würde, daß dasselbe, von den wechselnden Majoritäten eines sogenannten
Volkswillens hin- und Hergetrieben, von neuem auseinauderbreche und dem
im Westen und Osten lauernden Feinde stückweise als zeitweilige Beute zufalle.
Das Reich, das nur kraft des einen kaiserlichen Willens, im Bunde mit dem
der Fürsten und der gesnmmten geschichtlich-wirklichen Nation, obwohl im zeit¬
weiligen Widerspruch mit dem des preußischen Landtags, geschaffen werden
konnte, kaun sich auch uur kraft der ungestörten Fortdauer eiuer solchen per¬
sönlichen Gewalt lebendig erhalten, kann nnr aus dem unmittelbaren persön¬
lichen Wort und Aublick des Kaisers das immer erneute Bewußtsein seiner
nguen Persönlichkeit, nur aus seinem immer wachen Blick und Entschluß die
siegreiche Sicherheit gegen feindliche Angriffe und Verschwörungen schöpfen. Und
so kaun auch der Kaiser selbst dieser seiner Aufgabe nur dadurch gewachsen
bleiben, daß ihm das Vollgefühl einer solchen persönlich-realen, niemandem als
Gott und ihm selbst verantwortlichen obersten Gewalt nicht entzogen werde,
Und kann dasselbe für sein Gewissen und pflichtgemäßes Handeln ebensowenig
entbehren, als er für seinen politischen Verstand, um denselben mit der fort¬
schreitenden Entwicklung des allgemeinen nationalen Bewußtseins im steten
Gleichgewicht zu erhalten, des Parlaments und Bundesrath und der mit beiden
M vereinbarenden Gesetzgebung entbehren kann.

Wie fremd und unbequem aber dieses nicht minder in der preußischen Ver¬
fassung als im allgemeinen Staatsrecht begründete Machtverhältnis des Mo-
^arclMi dem deutscheu Liberalismus erschien und wie sehr es dessen korporativer
Eitelkeit und parlamentarischer Omnipotenzsncht widerstebte, das zeigte sich,
^um Beginn des neuen Reichstags, in der mehr oder minder erbitterten Ver¬
wunderung, mit der von den liberalen Parteien die beiden ans Bethätigung
Jenes Verhältnisses gerichteten Kundgebungen, die kaiserliche Botschaft und der
Angliche Erlaß, entgegengenommen wurden. Während von den Nationallibe-
^ten zwar die Verfassungsmäßigkeit des neubethätigten Rechtes anerkannt, aber
"es die Zeitgemüßheit dieser Bethätigung bezweifelt wurde, erhob — gleichsam
öUr Widerlegung solcher Zweifel — die Fortschrittspartei gegen beide Künd¬
igungen, besonders gegen den Erlaß, eine Reihe der heftigsten oratorischen An-
^dem und Angriffe, als seien die kaiserlichen Worte nnr ein vom Reichskanzler


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[0457] Zur Geschichte des deutschen Liberalismus. Wille. Denn wenn die Gefahre» einer solchen, der englischen Praxis, im Wider¬ spruch mit der preußischen Verfassung, entlehnten Doktrin für England selbst bis jetzt mir wenig hervorgetreten sind, so verdankt die edle, verständige, national- reale Brittannia dies eben nnr ihrer insularen Lage und Geschichte, ihrer ge¬ bietenden Seemacht und festen aristokratisch-monarchischen Gliederung, während dagegen unsre kontiuentnle, demokratisch-ideale, fünfundzwanzigstaatliche Germania durch Annahme eines solchen parlamentarischen Regimentes sofort den eigent¬ lichen Halt ihres einheitlichen Daseins, den persönlichen Begriff und Anblick, Willen lind Entschluß ihres Buudesreichs preisgebe» und sich der Gefahr aus¬ setzen würde, daß dasselbe, von den wechselnden Majoritäten eines sogenannten Volkswillens hin- und Hergetrieben, von neuem auseinauderbreche und dem im Westen und Osten lauernden Feinde stückweise als zeitweilige Beute zufalle. Das Reich, das nur kraft des einen kaiserlichen Willens, im Bunde mit dem der Fürsten und der gesnmmten geschichtlich-wirklichen Nation, obwohl im zeit¬ weiligen Widerspruch mit dem des preußischen Landtags, geschaffen werden konnte, kaun sich auch uur kraft der ungestörten Fortdauer eiuer solchen per¬ sönlichen Gewalt lebendig erhalten, kann nnr aus dem unmittelbaren persön¬ lichen Wort und Aublick des Kaisers das immer erneute Bewußtsein seiner nguen Persönlichkeit, nur aus seinem immer wachen Blick und Entschluß die siegreiche Sicherheit gegen feindliche Angriffe und Verschwörungen schöpfen. Und so kaun auch der Kaiser selbst dieser seiner Aufgabe nur dadurch gewachsen bleiben, daß ihm das Vollgefühl einer solchen persönlich-realen, niemandem als Gott und ihm selbst verantwortlichen obersten Gewalt nicht entzogen werde, Und kann dasselbe für sein Gewissen und pflichtgemäßes Handeln ebensowenig entbehren, als er für seinen politischen Verstand, um denselben mit der fort¬ schreitenden Entwicklung des allgemeinen nationalen Bewußtseins im steten Gleichgewicht zu erhalten, des Parlaments und Bundesrath und der mit beiden M vereinbarenden Gesetzgebung entbehren kann. Wie fremd und unbequem aber dieses nicht minder in der preußischen Ver¬ fassung als im allgemeinen Staatsrecht begründete Machtverhältnis des Mo- ^arclMi dem deutscheu Liberalismus erschien und wie sehr es dessen korporativer Eitelkeit und parlamentarischer Omnipotenzsncht widerstebte, das zeigte sich, ^um Beginn des neuen Reichstags, in der mehr oder minder erbitterten Ver¬ wunderung, mit der von den liberalen Parteien die beiden ans Bethätigung Jenes Verhältnisses gerichteten Kundgebungen, die kaiserliche Botschaft und der Angliche Erlaß, entgegengenommen wurden. Während von den Nationallibe- ^ten zwar die Verfassungsmäßigkeit des neubethätigten Rechtes anerkannt, aber "es die Zeitgemüßheit dieser Bethätigung bezweifelt wurde, erhob — gleichsam öUr Widerlegung solcher Zweifel — die Fortschrittspartei gegen beide Künd¬ igungen, besonders gegen den Erlaß, eine Reihe der heftigsten oratorischen An- ^dem und Angriffe, als seien die kaiserlichen Worte nnr ein vom Reichskanzler Grenzlwteu III. 1882. L7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/457>, abgerufen am 25.08.2024.