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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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sprechen wir. Sie geht unsers Bedünkens nicht entschlossen genug in den Kampf
gegen unsre -- des ganzen Volkes -- Tyrannen.

Die Tyrannen, gegen welche vor hundert Jahren gekämpft wurde, sind
nicht mehr, heute stehen wir unter der Tyrannei der Zeitungen, und bevor diese
nicht gebrochen wird, kann es überhaupt nicht besser werden. Wir leiden da
noch an den Folgen einer Kinderkrankheit. Man hat uns so lange wiederholt,
daß das höchste Gut eine freie Presse sei, und daß diese die Wunden, die sie
etwa schlüge, auch selbst wieder heile, bis wir den Mut verloren haben, diesen
Satz kritisch zu untersuchen. Insgeheim zweifelt ein jeder, aber die Zweifel
äußern, das hieße sich mutwillig mu seinen guten Ruf bei allen Biedermännern
bringen, die sich mit dem Schreckgespenst der Reaktion ebenso ins Bockshorn
jagen lassen, wie ihre Väter mit dem des Liberalismus. So kann es geschehen,
daß die tausend und abertausend Tropfen, Tag für Tag auf denselben Fleck
fallend, den Boden aufwühlen, nun öl Kock 8g.<zy6 vÄclvnclo. So haben wir uus,
weil Luft und Wasser zu unsrer Existenz notwendig ist, daran gewöhnt, mich ver¬
dorbene Luft und faules Wasser als heilsam zu betrachten, und wollen der ver¬
heerenden Wirkung derselben nicht Einhalt thun. Noch ist in Deutschland das
Unheil uicht so weit vorgeschritten wie in so manchem andern Lande, wo die
Regierung unter dem Kommando der Parlamentsmehrheit und diese unter dein
Kommando der Journalistik steht, und die Staatsmänner aller Grade bei ihren
Entschließungen und Kundgebungen vor allem andern erwägen, was "die öffent¬
liche Meinung," d. h. ein paar Dutzend Menschen in ihren Nedaktionsbnreans, dazu
sagen werde. So arg ist es noch nicht geworden, aber es dahin zu bringen,
ist das unablässige Bemühen eines Häufleins Wissender und eines großen blinden
Trosses.

Was läßt sich dagegen thun? Für die Wiedereinführung der Zensur würde
schwerlich ein Mensch in Deutschland stimmen. Nicht weil jedermann von der
Unanfechtbarkeit der Lehrmeinungen durchdrungen wäre, mit welchen eine Kon-
trole über das gedruckte Wort als Verletzung eines unveräußerlichen Rechtes
stigmatisirt zu werden pflegt; das Verbot, giftige Farben anzuwenden und
trichinöses Fleisch zu verkaufen, ist ja auch eine schwere Beeinträchtigung der
menschlichen Freiheit! Aber leider lassen sich für die Prüfung der geistigen
Nahrung nicht so genaue Vorschriften geben, es wird dabei immer zu viel von
der Urteilskraft und Stimmung des einzelnen Menschen abhängen, und folglich
ist die Zensur ein unzuverlässiges Werkzeug, welches oft versagt, wo es wirken
sollte, am unrechten Ort einschneidet und in Summa mehr schadet als nützt-
Um andre Schutzmaßregeln ist es wenig besser bestellt. Man hat wohl daran
gedacht, von dem Zeitungsschreiber einen Nachweis der Qualifikation zu fordern.
Allein mit den strengsten Prüfungen wäre nichts gewonnen, weil der Charakter
sich nicht prüfen läßt, und weil es unmöglich sein würde, allen Unbefugte",
allei: Winkeljourualisteu nachzuspüren "ut das Handwerk zu legen, welches auf


In t^ri>,uno«!

sprechen wir. Sie geht unsers Bedünkens nicht entschlossen genug in den Kampf
gegen unsre — des ganzen Volkes — Tyrannen.

Die Tyrannen, gegen welche vor hundert Jahren gekämpft wurde, sind
nicht mehr, heute stehen wir unter der Tyrannei der Zeitungen, und bevor diese
nicht gebrochen wird, kann es überhaupt nicht besser werden. Wir leiden da
noch an den Folgen einer Kinderkrankheit. Man hat uns so lange wiederholt,
daß das höchste Gut eine freie Presse sei, und daß diese die Wunden, die sie
etwa schlüge, auch selbst wieder heile, bis wir den Mut verloren haben, diesen
Satz kritisch zu untersuchen. Insgeheim zweifelt ein jeder, aber die Zweifel
äußern, das hieße sich mutwillig mu seinen guten Ruf bei allen Biedermännern
bringen, die sich mit dem Schreckgespenst der Reaktion ebenso ins Bockshorn
jagen lassen, wie ihre Väter mit dem des Liberalismus. So kann es geschehen,
daß die tausend und abertausend Tropfen, Tag für Tag auf denselben Fleck
fallend, den Boden aufwühlen, nun öl Kock 8g.<zy6 vÄclvnclo. So haben wir uus,
weil Luft und Wasser zu unsrer Existenz notwendig ist, daran gewöhnt, mich ver¬
dorbene Luft und faules Wasser als heilsam zu betrachten, und wollen der ver¬
heerenden Wirkung derselben nicht Einhalt thun. Noch ist in Deutschland das
Unheil uicht so weit vorgeschritten wie in so manchem andern Lande, wo die
Regierung unter dem Kommando der Parlamentsmehrheit und diese unter dein
Kommando der Journalistik steht, und die Staatsmänner aller Grade bei ihren
Entschließungen und Kundgebungen vor allem andern erwägen, was „die öffent¬
liche Meinung," d. h. ein paar Dutzend Menschen in ihren Nedaktionsbnreans, dazu
sagen werde. So arg ist es noch nicht geworden, aber es dahin zu bringen,
ist das unablässige Bemühen eines Häufleins Wissender und eines großen blinden
Trosses.

Was läßt sich dagegen thun? Für die Wiedereinführung der Zensur würde
schwerlich ein Mensch in Deutschland stimmen. Nicht weil jedermann von der
Unanfechtbarkeit der Lehrmeinungen durchdrungen wäre, mit welchen eine Kon-
trole über das gedruckte Wort als Verletzung eines unveräußerlichen Rechtes
stigmatisirt zu werden pflegt; das Verbot, giftige Farben anzuwenden und
trichinöses Fleisch zu verkaufen, ist ja auch eine schwere Beeinträchtigung der
menschlichen Freiheit! Aber leider lassen sich für die Prüfung der geistigen
Nahrung nicht so genaue Vorschriften geben, es wird dabei immer zu viel von
der Urteilskraft und Stimmung des einzelnen Menschen abhängen, und folglich
ist die Zensur ein unzuverlässiges Werkzeug, welches oft versagt, wo es wirken
sollte, am unrechten Ort einschneidet und in Summa mehr schadet als nützt-
Um andre Schutzmaßregeln ist es wenig besser bestellt. Man hat wohl daran
gedacht, von dem Zeitungsschreiber einen Nachweis der Qualifikation zu fordern.
Allein mit den strengsten Prüfungen wäre nichts gewonnen, weil der Charakter
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allei: Winkeljourualisteu nachzuspüren »ut das Handwerk zu legen, welches auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/444>, abgerufen am 24.08.2024.