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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Hero und Leander.

Die Wogen thürmen sich übereinander; von allen Seiten rasen die Stürme und
bekämpfei? sich, das Meer aufwühlend. Fnrchtbnr leidet Leander; in seiner Not
ruft er die Aphrodite an, den Poseidon, den Boreas und Eros. Aber keiner
hilft ihm; die Füße ermatten, und vergeblich arbeiten die Arme.


Und jetzt löschte die treulose Fackel ein feindlicher Windstos;,
Löschte Leben und Liebe ungleich dem Dulder Leander. "

- Hero ahnt Leanders Schicksal, als ihr die Fackel erlischt und er nicht kommt.
Nach schlafloser Nacht späht sie morgens umher,


Ob sie nicht irgend gewahre den Gatten, vom Wege verschlagen,
Weil ihr die Fackel erlosch. Doch als sie am Fuße des Thurmes
Und von den Klippen zerschellt erschaute, die Leiche des Gatten,
Da mit den Händen das reiche Gewand um die Brüste zerreisieud,
Warf sie sich rauschenden Flugs kopfüber vom ragenden Thurme.
So starb Hero dahin zugleich mit dem Gatten, und beide
Blieben einander vereint auch noch im letzten Verderben. --

Passow hat mit Recht einen Hnnptvorzug des Gedichts in der Vermischung
des antiken und modernen Elements gesehen. Antik ist die Form (Vers, Sprache,
Darstellung), modern der Stoff, die Idee eines erotischen Epos. Durch einen
zarten Anhauch höherer Sehnsucht, die hinnusstrcbt über die Lust des Augen¬
blicks, erscheine der einseitige, sinnliche Materialismus des antiken Liebesgennfses
gemildert nud doch noch angethan mit klassischem Gewände, die frohe Kraft noch
nicht geschieden vom scheiden Gefühl. "Über alle Begriffe schön aber ist der
allmähliche Übergang vom höchsten Leben zum grauenvollen Tode. Zu Anfang
ist die Szene reich mit jubelnden Gästen gestillt; sie wird immer leerer, bis die
beiden Liebenden und ihre treue Fackel die einzigen Gestalten in dem großen
Gemälde siud, das unendlich furchtbar wird dnrch den ungeheuren Hintergrund,
den das ahnungsvolle Meer bildet. Dann trennen sich mich die Liebenden,
dann verlöscht anch die Fackel, und das ist die Stunde des Todes. Parallel
damit läuft das Neigen der Jahreszeit, lind wie das frohe Fest der Vorbote
ihrer Liebe war, so verkündet am Ende der keineswegs ohne Grund so reich
ansgemnlte Wintersturm ihren Tod. . . . Besonderer Erwähnung wert ist noch
die Kürze, mit der Mnsäos über den Tod der beiden hinweggeht, und das
einfach anstönende Ende. . . . Die ruhige, zugleich antike und romantische Größe,
mit der Hero sich ohne ein Wort dem Tode hingiebt, und dann wieder die er¬
heiternde und beruhigende Wendung des Ausgangs, die die schönste Seite des
Untergangs der Liebenden, ihren gemeinsamen Untergang, überwiegend hervor¬
hebt, kann nie genug bewundert werden und ist des größten Dichters würdig."

Vergleichen wir aber des Mnsäos Epos mit Schillers Erzählung, so springt
der Unterschied beider Dichtungen sofort in die Angen. Abgesehen von Einzel¬
heiten, wie, daß bei Mnsäos Leander nicht als Jäger, der offene Ehebund nicht
als durch die Feindschaft der Eltern verhindert erscheint, ist schon die ganze


Hero und Leander.

Die Wogen thürmen sich übereinander; von allen Seiten rasen die Stürme und
bekämpfei? sich, das Meer aufwühlend. Fnrchtbnr leidet Leander; in seiner Not
ruft er die Aphrodite an, den Poseidon, den Boreas und Eros. Aber keiner
hilft ihm; die Füße ermatten, und vergeblich arbeiten die Arme.


Und jetzt löschte die treulose Fackel ein feindlicher Windstos;,
Löschte Leben und Liebe ungleich dem Dulder Leander. «

- Hero ahnt Leanders Schicksal, als ihr die Fackel erlischt und er nicht kommt.
Nach schlafloser Nacht späht sie morgens umher,


Ob sie nicht irgend gewahre den Gatten, vom Wege verschlagen,
Weil ihr die Fackel erlosch. Doch als sie am Fuße des Thurmes
Und von den Klippen zerschellt erschaute, die Leiche des Gatten,
Da mit den Händen das reiche Gewand um die Brüste zerreisieud,
Warf sie sich rauschenden Flugs kopfüber vom ragenden Thurme.
So starb Hero dahin zugleich mit dem Gatten, und beide
Blieben einander vereint auch noch im letzten Verderben. —

Passow hat mit Recht einen Hnnptvorzug des Gedichts in der Vermischung
des antiken und modernen Elements gesehen. Antik ist die Form (Vers, Sprache,
Darstellung), modern der Stoff, die Idee eines erotischen Epos. Durch einen
zarten Anhauch höherer Sehnsucht, die hinnusstrcbt über die Lust des Augen¬
blicks, erscheine der einseitige, sinnliche Materialismus des antiken Liebesgennfses
gemildert nud doch noch angethan mit klassischem Gewände, die frohe Kraft noch
nicht geschieden vom scheiden Gefühl. „Über alle Begriffe schön aber ist der
allmähliche Übergang vom höchsten Leben zum grauenvollen Tode. Zu Anfang
ist die Szene reich mit jubelnden Gästen gestillt; sie wird immer leerer, bis die
beiden Liebenden und ihre treue Fackel die einzigen Gestalten in dem großen
Gemälde siud, das unendlich furchtbar wird dnrch den ungeheuren Hintergrund,
den das ahnungsvolle Meer bildet. Dann trennen sich mich die Liebenden,
dann verlöscht anch die Fackel, und das ist die Stunde des Todes. Parallel
damit läuft das Neigen der Jahreszeit, lind wie das frohe Fest der Vorbote
ihrer Liebe war, so verkündet am Ende der keineswegs ohne Grund so reich
ansgemnlte Wintersturm ihren Tod. . . . Besonderer Erwähnung wert ist noch
die Kürze, mit der Mnsäos über den Tod der beiden hinweggeht, und das
einfach anstönende Ende. . . . Die ruhige, zugleich antike und romantische Größe,
mit der Hero sich ohne ein Wort dem Tode hingiebt, und dann wieder die er¬
heiternde und beruhigende Wendung des Ausgangs, die die schönste Seite des
Untergangs der Liebenden, ihren gemeinsamen Untergang, überwiegend hervor¬
hebt, kann nie genug bewundert werden und ist des größten Dichters würdig."

Vergleichen wir aber des Mnsäos Epos mit Schillers Erzählung, so springt
der Unterschied beider Dichtungen sofort in die Angen. Abgesehen von Einzel¬
heiten, wie, daß bei Mnsäos Leander nicht als Jäger, der offene Ehebund nicht
als durch die Feindschaft der Eltern verhindert erscheint, ist schon die ganze


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[0427] Hero und Leander. Die Wogen thürmen sich übereinander; von allen Seiten rasen die Stürme und bekämpfei? sich, das Meer aufwühlend. Fnrchtbnr leidet Leander; in seiner Not ruft er die Aphrodite an, den Poseidon, den Boreas und Eros. Aber keiner hilft ihm; die Füße ermatten, und vergeblich arbeiten die Arme. Und jetzt löschte die treulose Fackel ein feindlicher Windstos;, Löschte Leben und Liebe ungleich dem Dulder Leander. « - Hero ahnt Leanders Schicksal, als ihr die Fackel erlischt und er nicht kommt. Nach schlafloser Nacht späht sie morgens umher, Ob sie nicht irgend gewahre den Gatten, vom Wege verschlagen, Weil ihr die Fackel erlosch. Doch als sie am Fuße des Thurmes Und von den Klippen zerschellt erschaute, die Leiche des Gatten, Da mit den Händen das reiche Gewand um die Brüste zerreisieud, Warf sie sich rauschenden Flugs kopfüber vom ragenden Thurme. So starb Hero dahin zugleich mit dem Gatten, und beide Blieben einander vereint auch noch im letzten Verderben. — Passow hat mit Recht einen Hnnptvorzug des Gedichts in der Vermischung des antiken und modernen Elements gesehen. Antik ist die Form (Vers, Sprache, Darstellung), modern der Stoff, die Idee eines erotischen Epos. Durch einen zarten Anhauch höherer Sehnsucht, die hinnusstrcbt über die Lust des Augen¬ blicks, erscheine der einseitige, sinnliche Materialismus des antiken Liebesgennfses gemildert nud doch noch angethan mit klassischem Gewände, die frohe Kraft noch nicht geschieden vom scheiden Gefühl. „Über alle Begriffe schön aber ist der allmähliche Übergang vom höchsten Leben zum grauenvollen Tode. Zu Anfang ist die Szene reich mit jubelnden Gästen gestillt; sie wird immer leerer, bis die beiden Liebenden und ihre treue Fackel die einzigen Gestalten in dem großen Gemälde siud, das unendlich furchtbar wird dnrch den ungeheuren Hintergrund, den das ahnungsvolle Meer bildet. Dann trennen sich mich die Liebenden, dann verlöscht anch die Fackel, und das ist die Stunde des Todes. Parallel damit läuft das Neigen der Jahreszeit, lind wie das frohe Fest der Vorbote ihrer Liebe war, so verkündet am Ende der keineswegs ohne Grund so reich ansgemnlte Wintersturm ihren Tod. . . . Besonderer Erwähnung wert ist noch die Kürze, mit der Mnsäos über den Tod der beiden hinweggeht, und das einfach anstönende Ende. . . . Die ruhige, zugleich antike und romantische Größe, mit der Hero sich ohne ein Wort dem Tode hingiebt, und dann wieder die er¬ heiternde und beruhigende Wendung des Ausgangs, die die schönste Seite des Untergangs der Liebenden, ihren gemeinsamen Untergang, überwiegend hervor¬ hebt, kann nie genug bewundert werden und ist des größten Dichters würdig." Vergleichen wir aber des Mnsäos Epos mit Schillers Erzählung, so springt der Unterschied beider Dichtungen sofort in die Angen. Abgesehen von Einzel¬ heiten, wie, daß bei Mnsäos Leander nicht als Jäger, der offene Ehebund nicht als durch die Feindschaft der Eltern verhindert erscheint, ist schon die ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/427>, abgerufen am 01.10.2024.