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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Hero und Leander.

415

Recht als eine Überschätzung; aber trotz des Tadels, den seitdem die Gelehrten,
welche sich mit der Dichtung beschäftigten, über dieselbe ausgesprochen haben,
ist das Gedicht doch uach der Meinung des neuesten Übersetzers ein Kunstwerk
ersten Ranges, die Komposition desselben unvergleichlich schön -- ein Urteil,
dem sich jeder anschließen wird, der das Gedicht liest. Zwar ist auf Musäos
wie auf alle Dichter jener Zeit von dem größten Einflüsse Nonnos, der Dichter
der Dionysmka und der Metaphrase des Johannes-Evangeliums, gewesen, und
es ist ein Hauptverdienst Schwabes, dieses Verhältnis des Mnsäos zu Nonnos
bis ins einzelnste hinein nachgewiesen und gezeigt zu haben, daß Musäos als
ein Nachahmer des Nonnos anzusehen ist; er hat von diesem Dichter nicht allein
die Kunst des Versbaues gelernt, souderu auch in der Diktion hängt er ganz
von demselben ab; einen großen Teil des Wortschatzes, zahllose Formeln, Rede¬
wendungen und Versschlüsse hat er ihm entlehnt, hat viele Gedanken des Nonnos
in neue Form gekleidet und dieselben Worte in anderm Sinne angewendet, wie
auch in andern Blüteperioden der Dichtung bei allen Völkern solche Ent¬
lehnungen, gegenseitige Beziehungen und Nachahmungen, wenn anch nicht in so
großem Umfange wie zwischen Mnsäos lind Nonnos, sich finden. Aber alle
diese Entlehnungen beziehen sich doch nur auf die Form und sind auch da nicht
kritiklos entwendet, sondern mit Urteil benutzt; in der Behandlung des Stoffes
aber ist unser Dichter vollkommen selbständig; die Komposition ist bewunderns-
wert, der symmetrische Aufbau des Ganzen vollendet, die Schilderung der Liebe
rein und nicht ohne Idealität. So hat denn auch das Gedicht viele Be¬
wunderer gefunden und ist sehr oft übersetzt worden; ein älterer Herausgeber
zählte bis 1793 bereits ^8 Übersetzungen, welche seitdem noch vor der neuesten
Oelschlägers um sechs weitere vermehrt worden sind.

Was den Inhalt des Gedichts anlangt, so unterscheidet sich die Bearbeitung
der Erzählung bei Mnsäos wesentlich von der Schillerschen. Der griechische
Dichter beginnt nnter Anrufung der Muse:


Sing', o Göttin, das Lied von der Fackel, die heimlicher Minne
Zeugin war, von dem Manu, der um Liebe bei Nacht durch das Meer schwamm,
Sing' von dem düsteren Bund, unbeglänzt von der ewigen Eos,
Und von Abydos und Schlof, wo tzero sich nächtlich vermählte.

In diesen vier Versen haben wir das wesentliche der Erzählung zusammenge¬
drängt, nur daß der Name des Mannes nicht genannt ist. An erster Stelle
aber ist genannt die Fackel, die Zeugin des Liebcsbundes, welche für Leander
der Leitstern ist und die Liebenden zusammenführt; sie wird in den folgenden
Versen geradezu als das Symbol des Liebesbundes gefeiert:


Horch, schon vornehm' ich zugleich Leanders Tod und die Fackel,
Sie, Avhroditeus Geheiß mit strahlendem Glänze verkündend,
Heros nächtlichem Bund das Brautbett rüstende Botin,
Sie, der Liebe ein Bild! Es mußte der himmlische Zeus sie

Hero und Leander.

415

Recht als eine Überschätzung; aber trotz des Tadels, den seitdem die Gelehrten,
welche sich mit der Dichtung beschäftigten, über dieselbe ausgesprochen haben,
ist das Gedicht doch uach der Meinung des neuesten Übersetzers ein Kunstwerk
ersten Ranges, die Komposition desselben unvergleichlich schön — ein Urteil,
dem sich jeder anschließen wird, der das Gedicht liest. Zwar ist auf Musäos
wie auf alle Dichter jener Zeit von dem größten Einflüsse Nonnos, der Dichter
der Dionysmka und der Metaphrase des Johannes-Evangeliums, gewesen, und
es ist ein Hauptverdienst Schwabes, dieses Verhältnis des Mnsäos zu Nonnos
bis ins einzelnste hinein nachgewiesen und gezeigt zu haben, daß Musäos als
ein Nachahmer des Nonnos anzusehen ist; er hat von diesem Dichter nicht allein
die Kunst des Versbaues gelernt, souderu auch in der Diktion hängt er ganz
von demselben ab; einen großen Teil des Wortschatzes, zahllose Formeln, Rede¬
wendungen und Versschlüsse hat er ihm entlehnt, hat viele Gedanken des Nonnos
in neue Form gekleidet und dieselben Worte in anderm Sinne angewendet, wie
auch in andern Blüteperioden der Dichtung bei allen Völkern solche Ent¬
lehnungen, gegenseitige Beziehungen und Nachahmungen, wenn anch nicht in so
großem Umfange wie zwischen Mnsäos lind Nonnos, sich finden. Aber alle
diese Entlehnungen beziehen sich doch nur auf die Form und sind auch da nicht
kritiklos entwendet, sondern mit Urteil benutzt; in der Behandlung des Stoffes
aber ist unser Dichter vollkommen selbständig; die Komposition ist bewunderns-
wert, der symmetrische Aufbau des Ganzen vollendet, die Schilderung der Liebe
rein und nicht ohne Idealität. So hat denn auch das Gedicht viele Be¬
wunderer gefunden und ist sehr oft übersetzt worden; ein älterer Herausgeber
zählte bis 1793 bereits ^8 Übersetzungen, welche seitdem noch vor der neuesten
Oelschlägers um sechs weitere vermehrt worden sind.

Was den Inhalt des Gedichts anlangt, so unterscheidet sich die Bearbeitung
der Erzählung bei Mnsäos wesentlich von der Schillerschen. Der griechische
Dichter beginnt nnter Anrufung der Muse:


Sing', o Göttin, das Lied von der Fackel, die heimlicher Minne
Zeugin war, von dem Manu, der um Liebe bei Nacht durch das Meer schwamm,
Sing' von dem düsteren Bund, unbeglänzt von der ewigen Eos,
Und von Abydos und Schlof, wo tzero sich nächtlich vermählte.

In diesen vier Versen haben wir das wesentliche der Erzählung zusammenge¬
drängt, nur daß der Name des Mannes nicht genannt ist. An erster Stelle
aber ist genannt die Fackel, die Zeugin des Liebcsbundes, welche für Leander
der Leitstern ist und die Liebenden zusammenführt; sie wird in den folgenden
Versen geradezu als das Symbol des Liebesbundes gefeiert:


Horch, schon vornehm' ich zugleich Leanders Tod und die Fackel,
Sie, Avhroditeus Geheiß mit strahlendem Glänze verkündend,
Heros nächtlichem Bund das Brautbett rüstende Botin,
Sie, der Liebe ein Bild! Es mußte der himmlische Zeus sie

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[0423] Hero und Leander. 415 Recht als eine Überschätzung; aber trotz des Tadels, den seitdem die Gelehrten, welche sich mit der Dichtung beschäftigten, über dieselbe ausgesprochen haben, ist das Gedicht doch uach der Meinung des neuesten Übersetzers ein Kunstwerk ersten Ranges, die Komposition desselben unvergleichlich schön — ein Urteil, dem sich jeder anschließen wird, der das Gedicht liest. Zwar ist auf Musäos wie auf alle Dichter jener Zeit von dem größten Einflüsse Nonnos, der Dichter der Dionysmka und der Metaphrase des Johannes-Evangeliums, gewesen, und es ist ein Hauptverdienst Schwabes, dieses Verhältnis des Mnsäos zu Nonnos bis ins einzelnste hinein nachgewiesen und gezeigt zu haben, daß Musäos als ein Nachahmer des Nonnos anzusehen ist; er hat von diesem Dichter nicht allein die Kunst des Versbaues gelernt, souderu auch in der Diktion hängt er ganz von demselben ab; einen großen Teil des Wortschatzes, zahllose Formeln, Rede¬ wendungen und Versschlüsse hat er ihm entlehnt, hat viele Gedanken des Nonnos in neue Form gekleidet und dieselben Worte in anderm Sinne angewendet, wie auch in andern Blüteperioden der Dichtung bei allen Völkern solche Ent¬ lehnungen, gegenseitige Beziehungen und Nachahmungen, wenn anch nicht in so großem Umfange wie zwischen Mnsäos lind Nonnos, sich finden. Aber alle diese Entlehnungen beziehen sich doch nur auf die Form und sind auch da nicht kritiklos entwendet, sondern mit Urteil benutzt; in der Behandlung des Stoffes aber ist unser Dichter vollkommen selbständig; die Komposition ist bewunderns- wert, der symmetrische Aufbau des Ganzen vollendet, die Schilderung der Liebe rein und nicht ohne Idealität. So hat denn auch das Gedicht viele Be¬ wunderer gefunden und ist sehr oft übersetzt worden; ein älterer Herausgeber zählte bis 1793 bereits ^8 Übersetzungen, welche seitdem noch vor der neuesten Oelschlägers um sechs weitere vermehrt worden sind. Was den Inhalt des Gedichts anlangt, so unterscheidet sich die Bearbeitung der Erzählung bei Mnsäos wesentlich von der Schillerschen. Der griechische Dichter beginnt nnter Anrufung der Muse: Sing', o Göttin, das Lied von der Fackel, die heimlicher Minne Zeugin war, von dem Manu, der um Liebe bei Nacht durch das Meer schwamm, Sing' von dem düsteren Bund, unbeglänzt von der ewigen Eos, Und von Abydos und Schlof, wo tzero sich nächtlich vermählte. In diesen vier Versen haben wir das wesentliche der Erzählung zusammenge¬ drängt, nur daß der Name des Mannes nicht genannt ist. An erster Stelle aber ist genannt die Fackel, die Zeugin des Liebcsbundes, welche für Leander der Leitstern ist und die Liebenden zusammenführt; sie wird in den folgenden Versen geradezu als das Symbol des Liebesbundes gefeiert: Horch, schon vornehm' ich zugleich Leanders Tod und die Fackel, Sie, Avhroditeus Geheiß mit strahlendem Glänze verkündend, Heros nächtlichem Bund das Brautbett rüstende Botin, Sie, der Liebe ein Bild! Es mußte der himmlische Zeus sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/423>, abgerufen am 22.07.2024.