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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zuknnfts - Philosophie.

heit, da er stets die Kriterien darbietet, wonach die Gewißheit der Resultate
geprüft werden kann.

In dieser Richtung liegt allein die Zukunft aller Philosophie, wenn sie
überhaupt auf Resultate hofft, die Dauer haben sollen. Unmöglich kann man
solche von den Versuchen erwarten, welche die Schranken des menschlichen Er¬
kenntnisvermögens gewaltsam durchbrechen wollen. Aber ehe unsre allgemeine
Bildung soweit vorgeschritten sein wird, daß niemand mehr so kühne Durchbrüche
versucht, mögen noch wer weiß wie viele Menschennlter vergehen. Selbst wenn
das gegenwärtig von dem Bibliothekar Reicke in Königsberg bearbeitete und zum
Teil noch im Druck befindliche Manuskript aus Knuts Nachlaß über "den Über¬
gang von den philosophischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik"
erschienen sein wird, welches, soweit nur bis jetzt haben hineinsehen können, in
erstaunlicher Weise die Auffassung bestätigt, daß alle wahre Naturphilosophie nur
auf diesem Wege vorwärtsgehen darf, selbst dann wird man immer noch in den
weitesten Kreisen der Kantschen Erkenntnistheorie apathisch und stumpf gegenüber-
stehen, weil ebeu ein Jahrhundert hindurch die Bedeutung der Kategorienlehre herab¬
gesetzt und vernachlässigt worden ist. Soll einmal eine bessere Zukunft für die
Philosophie erstehen, so muß mau sich an die Jugend wenden und die Denk¬
thätigkeit in der Richtung zu erziehen suchen, in welcher sie später große Re¬
sultate erreichen kaun. Gegenwärtig erscheint uns das Studium Kants noch als
übermäßig schwer, weil wir uicht daran gewöhnt sind. Innerhalb der Natur¬
wissenschaften wird dasselbe wohl meistens noch perhorreszirt, und uoch ist uuter
englischem Einfluß die Meinung herrschend, daß man mit der induktiven und
experimentellen Forschung allein auskommen könne. Zu diesem Zweck hat man
sogar den Begriff der Wahrheit in den der größten Wahrscheinlichkeit gefälscht.
Aber das bunte Bild der widerstreitenden unturphilosvphischen Theorien und
Hypothesen ist auch demgemäß chaotisch genng anzusehen.

Ob sich dies Chaos eimnnl lichten wird, häugt davou ab, ob mau sich
entschließen wird, die Jugend zu lehren, im Knutschen Sinne zu denken und
weiter zu forschen. Es wäre am Ende uicht unmöglich, in Primn bereits die
Grundzüge der Kantschen Erkenntnistheorie vorzutragen und unter die regel¬
mäßigen Lektionen nufzunehmeu, vielleicht mit Hilfe der populärem Darstellung
der Kritik der reinen Vernunft von Albrecht Krause. Freilich gehörten dazu Lehrer,
welche die Überzeugung in sich tragen, daß, wenn die Schüler auch unmöglich
das Ganze vollständig fassen, ihnen doch eine Stütze in die Hand gegeben wird,
für den Fall, daß es ihnen irgend einmal im spätern Leben bei ihrem kritischen
Bestreben um Kopf und Vnsen bange werden sollte. Es könnte das eine Stütze
sein, mit deren Hilfe jede Fachwissenschaft später viel leichter und schneller be¬
griffen werden würde, sodaß die Überbürdung mit unendlich wachsendem Lehrstoff
ganz von selbst überflüssig werden würde. Freilich, der Zustand, der durch eine
solche Erziehung herbeigeführt werden könnte, würde fast zu schön sein, als daß


Zuknnfts - Philosophie.

heit, da er stets die Kriterien darbietet, wonach die Gewißheit der Resultate
geprüft werden kann.

In dieser Richtung liegt allein die Zukunft aller Philosophie, wenn sie
überhaupt auf Resultate hofft, die Dauer haben sollen. Unmöglich kann man
solche von den Versuchen erwarten, welche die Schranken des menschlichen Er¬
kenntnisvermögens gewaltsam durchbrechen wollen. Aber ehe unsre allgemeine
Bildung soweit vorgeschritten sein wird, daß niemand mehr so kühne Durchbrüche
versucht, mögen noch wer weiß wie viele Menschennlter vergehen. Selbst wenn
das gegenwärtig von dem Bibliothekar Reicke in Königsberg bearbeitete und zum
Teil noch im Druck befindliche Manuskript aus Knuts Nachlaß über „den Über¬
gang von den philosophischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik"
erschienen sein wird, welches, soweit nur bis jetzt haben hineinsehen können, in
erstaunlicher Weise die Auffassung bestätigt, daß alle wahre Naturphilosophie nur
auf diesem Wege vorwärtsgehen darf, selbst dann wird man immer noch in den
weitesten Kreisen der Kantschen Erkenntnistheorie apathisch und stumpf gegenüber-
stehen, weil ebeu ein Jahrhundert hindurch die Bedeutung der Kategorienlehre herab¬
gesetzt und vernachlässigt worden ist. Soll einmal eine bessere Zukunft für die
Philosophie erstehen, so muß mau sich an die Jugend wenden und die Denk¬
thätigkeit in der Richtung zu erziehen suchen, in welcher sie später große Re¬
sultate erreichen kaun. Gegenwärtig erscheint uns das Studium Kants noch als
übermäßig schwer, weil wir uicht daran gewöhnt sind. Innerhalb der Natur¬
wissenschaften wird dasselbe wohl meistens noch perhorreszirt, und uoch ist uuter
englischem Einfluß die Meinung herrschend, daß man mit der induktiven und
experimentellen Forschung allein auskommen könne. Zu diesem Zweck hat man
sogar den Begriff der Wahrheit in den der größten Wahrscheinlichkeit gefälscht.
Aber das bunte Bild der widerstreitenden unturphilosvphischen Theorien und
Hypothesen ist auch demgemäß chaotisch genng anzusehen.

Ob sich dies Chaos eimnnl lichten wird, häugt davou ab, ob mau sich
entschließen wird, die Jugend zu lehren, im Knutschen Sinne zu denken und
weiter zu forschen. Es wäre am Ende uicht unmöglich, in Primn bereits die
Grundzüge der Kantschen Erkenntnistheorie vorzutragen und unter die regel¬
mäßigen Lektionen nufzunehmeu, vielleicht mit Hilfe der populärem Darstellung
der Kritik der reinen Vernunft von Albrecht Krause. Freilich gehörten dazu Lehrer,
welche die Überzeugung in sich tragen, daß, wenn die Schüler auch unmöglich
das Ganze vollständig fassen, ihnen doch eine Stütze in die Hand gegeben wird,
für den Fall, daß es ihnen irgend einmal im spätern Leben bei ihrem kritischen
Bestreben um Kopf und Vnsen bange werden sollte. Es könnte das eine Stütze
sein, mit deren Hilfe jede Fachwissenschaft später viel leichter und schneller be¬
griffen werden würde, sodaß die Überbürdung mit unendlich wachsendem Lehrstoff
ganz von selbst überflüssig werden würde. Freilich, der Zustand, der durch eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/411>, abgerufen am 25.08.2024.